Das bedeutete, daß man Jessica und Nicky weder ins Cesar's Hotel noch zur Entel Peru bringen konnte, denn an beiden Orten wimmelte es von Reportern und Kamerateams. Ähnliches traf auch auf alle anderen Hotels in der Innenstadt von Lima zu.
Rita hatte deshalb mit Oswaldo Zileri vereinbart, daß die beiden die Wartezeit in seinem Haus in den Außenbezirken von Miraflores verbringen konnten. Nach 17 Uhr 30 war es dann gleichgültig, wann Presse und Fernsehen die befreiten Geiseln zu Gesicht bekamen, denn irgendwann mußten sich die beiden dieser Tortur sowieso stellen.
In der Zwischenzeit mußte Rita zusammen mit dem Cutter Bob Watson einen Bericht für die National Evening News zusammenstellen. Es würde ein langer Bericht werden mit einer Auswahl von Minhs besten Aufnahmen - von der Rettung, Harrys Partridges Tod und dem traurigen Augenblick, als Fernandez im Dschungel zurückgelassen werden mußte.
Es war nicht nötig, daß Rita New York um zusätzliche Sendezeit bat, denn sie wußte, daß sie bei einem Anlaß wie diesem so viel Zeit bekam, wie sie brauchte.
Rita war auch sicher, daß CBA für die Hauptsendezeit einen Sonderbericht ansetzen würde. Auch dafür hatte sie genug Material, etwa die Aufnahmen von Dolores, der Lebensgefährtin des amerikanischen Arztes Hartley Gossage alias Baudelio, der seine medizinischen Kenntnisse beim Transport der Geiseln nach Peru auf eine so schändliche Weise mißbraucht hatte. Harry hatte diesen Bericht zusammengestellt und selbst kommentiert, er war sendebereit.
Die Moderation sowohl der Nachrichtenmeldung wie auch des Sonderberichts würde natürlich Crawf übernehmen. Vielleicht würde es schwierig für ihn, denn schließlich mußte er über den Tod seines Vaters, über den von Harry Partridge und Fernandez Pabur und über die Verstümmelung von Nickys Hand reden. Crawf ließ sich manchmal von seinen Gefühlen übermannen, vielleicht würde ihm die Stimme versagen. Aber das machte nichts, dachte Rita. Die Geschichte gewann dadurch nur an Wirkung, und Crawf würde sich wieder fassen und fortfahren. Schließlich war er ein Profi wie Rita und die anderen auch.
Eine Meldung, das war Rita klar, konnte und durfte man allerdings nicht den ganzen Tag lang zurückhalten: Die Welt mußte erfahren, daß die Rettung geglückt und Nicky und Jessica in Sicherheit waren. Sie mußte eine Sondermeldung zusammenstellen. Sobald diese bei CBA News in New York eintraf, würde man das laufende Programm unterbrechen. Und wieder einmal wäre CBA der Konkurrenz voraus.
Rita sah noch einmal auf die Uhr: 9 Uhr 23, noch etwa zwanzig Minuten Flugzeit. Wenn sie die Fahrzeit vom Flughafen ins Stadtzentrum mit dazurechnete, müßte sie es schaffen, den Bericht um 10 Uhr 30 durchzugeben. Es würden nur wenige Bilder sein, ein »Schnellschuß« wie damals vom Flugzeugunglück in Dallas-Fort Worth, über das sie zusammen mit Harry, Minh und Ken O'Hara vor nicht einmal einem Monat berichtet hatte.
War das wirklich erst knappe vier Wochen her? Es schien viel länger und wie aus einer anderen Welt.
Sie brauchte also für 10 Uhr 30 Satellitenzeit. Rita beugte sich vor und klopfte Zileri auf die Schulter. Als er sich umdrehte, deutete sie auf das Funkgerät. »Können Sie mir damit eine Telefonverbindung herstellen? Ich möchte New York anrufen.«
»Aber natürlich.«
Sie kritzelte die Nummer auf einen Zettel und gab sie ihm. Nach überraschend kurzer Zeit kam eine Stimme aus dem Lautsprecher: »CBA Auslandsredaktion.«
Felipe gab Rita das Mikrofon. »Sie können sprechen«, sagte er.
Sie drückte die Sprechtaste. »Rita Abrams hier. Ich brauche für 10 Uhr 30 Ortszeit Peru eine Satellitenverbindung von Lima nach New York. Sorgt dafür, daß das Hufeisen davon erfährt.«
»Alles klar«, erwiderte die Stimme lakonisch. »Ich kümmere mich darum.«
»Vielen Dank.« Sie gab das Mikrofon zurück.
Für die Sondermeldung und für die späteren Berichte mußten Manuskripte ausgearbeitet werden. Rita schrieb ein paar Sätze, beschloß aber dann, den Rest Crawf zu überlassen. Er sollte die richtigen Worte finden, denn das war seine Spezialität. Wahrscheinlich würde er einen Teil aus dem Stegreif sprechen. Auch das konnte er sehr gut.
Für den Rest der Flugzeit mußte sie sich mit Crawf an die Arbeit machen, auch wenn das bedeutete, ihn aus Jessicas und Nickys Armen zu reißen. Aber er würde es verstehen und die beiden ebenfalls. Wie jeder andere, der in diesem Geschäft zu tun hatte, wußten auch sie, daß die Nachrichten immer an erster Stelle kamen.
»Crawf«, sagte Rita einfühlsam. »Wir beide haben noch viel zu erledigen. Es wird Zeit, daß wir damit anfangen.«