Miguel schickte die drei Anträge, jeden mit einer Zahlungsanweisung über fünfzehn Pfund, mit der Post, obwohl er wußte, daß es mindestens vier Wochen dauern würde, bis die Pässe ausgestellt und zurückgeschickt waren. Die ermüdende Wartezeit nahm er um der erhöhten Sicherheit willen in Kauf.
In der Zwischenzeit schickte er mehrere, an sich selbst adressierte Briefe an seine drei Postadressen. Nach ein paar Tagen rief er bei den Agenturen an, fragte, ob Post für ihn eingetroffen sei, und teilte ihnen bei einer positiven Antwort mit, daß er sie von einem Boten abholen lasse. Dann suchte er sich irgendwelche Jungen von der Straße, gab ihnen ein paar Pfund und schickte sie zu den Agenturen. Bei ihrer Rückkehr achtete er sorgfältig darauf, daß sie nicht verfolgt wurden, bevor er mit ihnen wieder in Kontakt trat. Sobald die Pässe bei seinen Lageradressen eintrafen, wollte er sie auf die gleiche Weise abholen lassen.
In der fünften Woche kamen alle drei Pässe innerhalb weniger Tage an und konnten ohne Probleme eingesammelt werden. Miguel lächelte, als er den dritten in Händen hielt. Excelente! Er hatte vor, den Paß auf den Namen Dudley Martin zu benützen und die anderen zwei für eine spätere Verwendung aufzuheben.
Nun blieb nur noch eins zutun: Er mußte sich ein Rückflugticket für die Vereinigten Staaten kaufen. Miguel erledigte das noch am selben Tag.
Bis 1988 brauchten alle Inhaber eines britischen Passes ein Visum für die Einreise in die U.S.A.. Das war inzwischen nicht mehr nötig, sofern der Reisende ein Rückflugticket besaß und sich nicht länger als neunzig Tage in den Vereinigten Staaten aufhielt. Natürlich hatte Miguel nicht die Absicht, den Rückflug wirklich anzutreten, aber die Mehrkosten waren belanglos im Vergleich zum Risiko eines erneuten Gangs durch die Bürokratie. Die Neunzigtagefrist war für ihn ohne Bedeutung, denn er hatte gar nicht vor, so lange zu bleiben, und würde die Staaten ohnehin heimlich oder wiederum unter falschem Namen verlassen.
Miguel hatte sich sehr über die Änderung der amerikanischen Visabestimmungen gefreut. Wieder einmal begünstigten diese so angenehm liberalen Systeme ihn und die Leute seines Schlags.
Am nächsten Morgen flog er nach New York und passierte im John F. Kennedy Airport ohne Probleme die Paßkontrolle.
Nach seiner Ankunft in New York fuhr Miguel sofort in das große kolumbianische Viertel in Queens, wo ein Agent des Medellin-Kartells bereits ein sicheres Haus für ihn besorgt hatte.
»Little Columbia« in Jackson Heights erstreckte sich von der Sixty-ninth bis zur Eighty-ninth Street. Es war ein blühendes Zentrum des Drogenhandels und eine der gefährlichsten Gegenden New Yorks, in der Gewalt eine Nebensächlichkeit und Mord an der Tagesordnung waren. Uniformierte Polizisten wagten sich allein kaum dorthin, und nachts waren sie auch zu zweit nie zu Fuß unterwegs.
Für Miguel war der Ruf des Viertels kein Problem, er betrachtete ihn im Gegenteil eher als Schutz, während er plante, heimlich bereitgestelltes Geld abrief und die kleine Truppe um sich versammelte, die unter seiner Führung operieren sollte. Die sieben Mitglieder dieser Truppe, Miguel eingeschlossen, waren in Bogota ausgesucht worden.
Julio, der im Augenblick vor Sloanes Haus Dienst tat, und Socorro, die einzige Frau der Gruppe, waren Kolumbianer, die das Medellin-Kartell als »Schläfer« eingesetzt hatte. Vor einigen Jahren hatte man sie nach Amerika geschickt, wo sie als Immigranten auftraten und keinen anderen Auftrag hatten, als sich einzurichten und einzuleben und zu warten, bis ihre Dienste bei Drogengeschäften oder anderen kriminellen Aktivitäten benötigt würden.
Julio war der Kommunikationsspezialist. Socorro hatte während ihrer »Schläfer«-Zeit eine Ausbildung als Schwesternhelferin abgeschlossen.
Socorro hatte noch eine zusätzliche Verbindung. Über Freunde in Peru war sie zur Symphatisantin des revolutionären Sendero Luminoso geworden und arbeitete gelegentlich in Amerika als Agentin für diese Organisation. Unter Lateinamerikanern kamen solche Grenzüberschreitungen zwischen dem politisch motivierten und dem profitorientierten Verbrechen häufig vor; und wegen ihrer Doppelrolle fungierte Socorro in dieser Operation auch als Beobachterin für den Sendero.
Von den restlichen vier waren drei ebenfalls Kolumbianer, denen man die Decknamen Rafael, Luis und Carlos zugewiesen hatte. Rafael war Mechaniker und der Handwerker der Gruppe. Luis war wegen seiner fahrerischen Fähigkeiten ausgesucht worden; er war Experte, wenn es darum ging, Verfolger abzuschütteln, vor allem bei einer Flucht vom Tatort eines Verbrechens. Carlos war jung und aufgeweckt, er hatte die Beschattungsaktion der vergangenen vier Wochen organisiert. Alle drei sprachen fließend Englisch und waren schon öfters in den Vereinigten Staaten gewesen. Für diese Operation waren sie einzeln, ohne sich gegenseitig zu kennen, und mit gefälschten Papieren eingereist. Sie hatten den Befehl, sich bei dem Medellin-Agenten zu melden, der Miguel das Haus vermittelt hatte, und sich dann direkt Miguel zu unterstellen.
Das letzte Mitglied der Truppe war ein Amerikaner mit dem Decknamen Baudelio. Miguel mißtraute Baudelio zutiefst, aber das Wissen und die Fähigkeiten dieses Mannes waren für den Erfolg der Mission unabdingbar.
Als Miguel jetzt im provisorischen Hauptquartier der Gruppe in Hackensack über den suspekten Amerikaner nachdachte, stieg die Wut in ihm hoch. Sie verstärkte nur noch seinen Unmut über Julio wegen dessen sorglosen Rückfalls in die normale Sprache. Er hatte den Hörer noch in der Hand und zwang sich, seine persönlichen Gefühle zu unterdrücken, während er sich eine Antwort überlegte.
Julio hatte von einem etwa fünfundsiebzigj ährigen Mann berichtet, der vor wenigen Minuten mit einem Koffer in der Hand das Haus der Sloanes betreten hatte, »als wolle er länger bleiben«, wie Julio so unvorsichtig bemerkt hatte.
Vor seiner Abreise aus Bogota hatte Miguel ausführliche Informationen erhalten, die er jedoch nur teilweise an seine Truppe weitergegeben hatte. So wußte er unter anderem auch, daß Crawford Sloane einen Vater hatte, auf den die Beschreibung des Neuankömmlings paßte. Miguel überlegte nun: Der Alte, der seinen Sohn besuchte, war für sie zwar lästig, aber auch nicht mehr. Man würde ihn mit Sicherheit noch an diesem Tag töten müssen, doch das war kein Problem.
Miguel drückte die Sprechtaste und befahl Julio: »Unternehmt nichts wegen des blauen Pakets. Meldet euch nur, wenn neue Bestellung eingeht.« »Neue Bestellung« hieß: Wenn eine Veränderung eintritt.
»Roger«, antwortete Julio knapp.
Miguel legte das Funktelefon weg und sah auf die Uhr. Beinahe 7 Uhr 45. In zwei Stunden würden alle sieben Mitglieder seiner Gruppe auf ihren Plätzen und bereit zum Handeln sein. Alles war sorgfältig geplant, an alle möglichen Probleme war gedacht und Vorkehrungen waren getroffen worden. Während der Aktion waren vielleicht ein paar Improvisationen nötig, aber nicht viele.
Ein Verschieben war unmöglich. Denn außerhalb der Vereinigten Staaten waren bereits andere Aktionen angelaufen, die mit der ihren präzise abgestimmt waren.
9
Angus Sloane seufzte zufrieden, stellte seine Kaffeetasse ab und wischte sich mit einer Serviette über den Mund und den silbergrauen Schnurrbart. »Eines steht fest«, verkündete er, »im ganzen Staat New York ist an diesem Morgen kein besseres Frühstück serviert worden.«
»Und auch keins mit einem höheren Cholesteringehalt«, erwiderte sein Sohn hinter einer aufgeschlagenen New York Times. »Weißt du denn nicht, daß diese Spiegeleier schlecht fürs Herz sind? Wie viele waren es? Drei?«