»Wer wird denn zählen!« sagte Jessica. »Übrigens, wenn sich einer die Eier leisten kann, Crawf, dann du. Angus, magst du noch eins?«
»Nein, vielen Dank, meine Liebe«, erwiderte der alte Mann mit einem freundlichen Lächeln. Trotz seiner dreiundsiebzig Jahre wirkte er frisch und munter.
»Drei Eier sind doch nicht viel«, sagte Nicky. »Ich hab' mal einen Film über ein Gefängnis im Süden gesehen. Da hat jemand fünfzig Eier gegessen.«
Crawford Sloane ließ die Zeitung sinken. »Der Film, den du meinst, heißt Cool Hand Luke«, sagte er. »Er ist von 1967, und Paul Newman spielte die Hauptrolle. Aber ich bin mir sicher, daß Newman nicht wirklich alle Eier gegessen hat. Er ist nur ein guter Schauspieler, der dich im Glauben läßt, daß er es tut.«
»Vor kurzem war ein Vertreter hier«, bemerkte Jessica, »der uns die Encyclopedia Britannica verkaufen wollte. Ich sagte ihm, wir hätten bereits eine, den Hausherrn selbst.«
»Was kann ich denn dafür«, erwiderte Sloane, »daß ein paar von den Nachrichten, mit denen ich täglich umgehe, bei mir hängenbleiben. Nur weiß man nie, was hängenbleibt und was man wieder vergißt.«
Sie saßen im hellen Frühstückszimmer, das sich an die Küche anschloß. Erst vor einer halben Stunde war Angus eingetroffen; zur Begrüßung hatte er seine Schwiegertochter und seinen Enkel herzlich umarmt und Crawford etwas förmlicher die Hand geschüttelt.
Das leicht gespannte Verhältnis zwischen Vater und Sohn, das bei Crawford manchmal sogar zur Verärgerung führte, reichte weit zurück. Es hatte vorwiegend mit verschiedenen Ansichten und Wertvorstellungen zu tun. Angus hatte die Aufweichung nationaler und persönlicher Moralbegriffe, die ab Ende der Sechziger von den meisten Amerikanern akzeptiert wurde, nie verwunden. Er glaubte noch immer eifrig an »Ehre, Pflicht und Vaterland« und daß seine Landsleute weiterhin den gleichen kompromißlosen Patriotismus an den Tag legen sollten, der während des Zweiten Weltkriegs existiert hatte - dem Höhepunkt von Angus' Leben, über den er sich unendlich ausbreiten konnte. Gleichzeitig stand er vielen Grundsätzen kritisch gegenüber, die sein Sohn, als Nachrichtensammler, inzwischen für normal und progressiv hielt. Crawford seinerseits besaß wenig Toleranz für die Denkweise seines Vaters, die, wie er meinte, zu sehr in der Vergangenheit verwurzelt war und den immensen Zuwachs an naturwissenschaftlichen und philosophischen Erkenntnissen in den vier Jahrzehnten seit dem Krieg nicht berücksichtigte. Außerdem war Crawford so vermessen zu glauben, daß er, weil er den Gipfel seiner beruflichen Karriere erreicht hatte, zu einem qualifizierteren Urteil über die Welt und die Menschen fähig sei als die meisten anderen.
Nun zeigte sich bereits in diesen frühen Morgenstunden, daß sich die Kluft zwischen Crawford und seinem Vater nicht verringert hatte.
Wie schon unzählige Male zuvor hatte Angus ihnen auch heute wieder erzählt, daß er es sein ganzes Leben lang vorgezogen hatte, bei Reisen möglichst früh am Morgen an seinem Zielort einzutreffen. Deshalb war er schon am Abend zuvor von Florida nach La Guardia geflogen, hatte bei einem alten Kumpel aus der American Legion, der in der Nähe des Flughafens wohnte, übernachtet und war schließlich, kurz nach Sonnenaufgang, mit Bus und Taxi nach Larchmont gekommen.
Crawford hatte während dieses altvertrauten Berichts die Augen zur Decke gehoben. Und Jessica, die lächelte und nickte, als würde sie die Geschichte zum ersten Mal hören, hatte Angus unterdessen seine geliebten Eier mit Schinken gebraten und für sich und die beiden anderen ein etwas gesünderes Müsli zubereitet.
»Wegen meinem Herz und den Eiern«, sagte Angus nun, denn er brauchte manchmal ein paar Minuten, um eine Bemerkung zu verdauen und darauf zu reagieren. »Ich glaube, wenn's die Pumpe schon so lange ausgehalten hat, dann brauch' ich mir wegen dem Cholesterin jetzt auch keine Sorgen mehr zu machen. Na, und wir beide, mein Herz und ich, waren schon in einigen brenzligen Situationen und sind immer wieder heil rausgekommen. Da könnt' ich euch einiges erzählen.«
Crawford ließ die Zeitung eben so weit sinken, daß er Jessica einen warnenden Blick zuwerfen konnte. Wechsel schnell das Thema, sonst fängt er wieder mit seinen Kriegserinnerungen an. Doch Jessica zuckte nur leicht mit den Achseln, was bedeuten sollte: Tu's doch selber, wenn du meinst, es wird dir zuviel.
Sloane faltete die Times zusammen und sagte: »Inzwischen gibt es genaue Angaben über die Anzahl der Opfer bei dem Flugzeugunglück in Dallas. Sieht ziemlich schlimm aus. Wir werden wahrscheinlich noch die ganze nächste Woche darüber berichten.«
»Ich hab' gestern abend euren Filmbeitrag gesehen«, bemerkte Angus. »Von diesem Partridge. Der Kerl gefällt mir. Wenn der aus dem Ausland berichtet, vor allem über unsere Streitkräfte, dann macht der mich wieder richtig stolz, Amerikaner zu sein. Viele von deinen Leuten tun das nicht, Crawford.«
»Die Sache hat aber leider einen Haken«, erwiderte Sloane. »Harry Partridge ist kein Amerikaner. Er ist Kanadier. Und außerdem wirst du eine Weile ohne ihn auskommen müssen. Er hat nämlich Urlaub.« Dann setzte er neugierig hinzu: »Wer von unseren Leuten macht dich denn nicht stolz?«
»So ziemlich alle anderen. Es ist die Art, wie die meisten Fernsehleute alles in den Schmutz ziehen, besonders unsere Regierung. Sie lassen kein gutes Haar an unserem Staat und versuchen beständig, den Präsidenten lächerlich zu machen. Kein Mensch ist mehr auf irgend etwas stolz. Macht dir denn das überhaupt nichts aus?«
Als Sloane nicht antwortete, sagte Jessica leise zu ihm: »Dein Vater hat deine Frage beantwortet. Jetzt solltest du auch auf seine antworten.«
»Dad«, erwiderte Sloane, »wie beide haben über dieses Thema doch schon öfters gesprochen, und ich glaube nicht, daß wir da je zu einer Übereinstimmung kommen werden. Was du >in den Schmutz ziehen< nennst, halten wir im Nachrichtengewerbe für legitimes Hinterfragen, für das Recht der Öffentlichkeit auf Information. Es gehört zu den Aufgaben der Nachrichtenmedien, Politiker und Bürokraten zu kritisieren, alles in Frage zu stellen, was man uns erzählt - und das ist auch gut so. Denn wenn man es genau nimmt, lügen alle Regierungen, ob nun Demokraten oder Republikaner, Liberale, Sozialisten oder Konservative. Sobald sie im Amt sind, tun sie es alle.
Natürlich gehen wir, die die Nachrichten aufspüren, manchmal sehr hart ran und gelegentlich, das muß ich zugeben, auch zu weit. Aber dank unserer Arbeit kommt ein Menge an Gaunereien und Heuchelei ans Tageslicht, die sich die Mächtigen früherer Tage ungestraft erlauben konnten. Gerade wegen der kritischeren Berichterstattung, für die übrigens das Fernsehen ein Wegbereiter war, wird unsere Gesellschaft ein wenig besser, ein wenig sauberer, kommt dieses Land seinem Ideal ein wenig näher.
Und was die Präsidenten betrifft, Dad, wenn einige von ihnen lächerlich wirken, und bei den meisten ist es der Fall, dann haben sie sich das selber zuzuschreiben. Natürlich helfen wir von den Medien ab und zu ein wenig nach, weil wir eben Skeptiker und manchmal auch Zyniker sind, und weil wir uns von diesen Präsidenten keinen Honig ums Maul schmieren lassen. Und die ganzen Mauscheleien in hohen und höchsten Ämtern geben uns allen Grund, so zu sein, wie wir sind.«
»Ich finde, der Präsident sollte irgendwie allen gehören und nicht nur einer Partei«, sagte Nicky. Dann fügte er nachdenklich hinzu: »Wäre es nicht besser gewesen, wenn die Gründerväter Washington zum König gemacht hätten und Franklin oder Jefferson zum Präsidenten? Dann wären Washingtons Kinder und Enkel und Urenkel Könige und Königinnen geworden, und wir hätten ein Staatsoberhaupt, auf das wir stolz sein, und einen Präsidenten, dem wir für alles die Schuld geben könnten, so wie es die Briten mit ihrem Premierminister tun.«