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»Es ist ein großer Verlust für Amerika«, entgegnete sein Vater, »daß du nicht bei der verfassunggebenden Versammlung dabei warst, um diese Idee vorzuschlagen. Mal abgesehen davon, daß Washington nur Adoptivkinder hatte, ist der Vorschlag vernünftiger als vieles, was seitdem passiert ist.«

Alle lachten, doch plötzlich wurde Angus wieder ernst und sagte: »Die Berichterstattung in meinem Krieg - dem Zweiten Weltkrieg, Nicky - war anders als heutzutage. Wir hatten das Gefühl, daß die Leute, die über den Krieg schrieben oder im Radio über ihn sprachen, auf unserer Seite standen. Heute ist das ganz anders.«

»Es war ein anderer Krieg«, erwiderte Crawford, »und eine andere Zeit. So wie es neue Arten des Nachrichtensammelns gibt, so verändern sich auch die Vorstellungen über das Wesen der Nachrichten. Viele von uns glauben nicht mehr an >Mein Land im Guten wie im Schlechtem.«

»Ich hätte nie geglaubt, je mit anhören zu müssen, daß mein Sohn so etwas sagt«, jammerte Angus.

Sloane zuckte mit den Achseln. »Tut mir leid, aber jetzt hörst du es. Nachrichtenleute, denen an der Wahrheit gelegen ist, wollen wirklich sicher sein, daß in unserem Land alles in Ordnung ist, und sich von denen, die gerade an der Macht sind, keine Märchen erzählen lassen. Aber das findet man nur heraus, wenn man unbequeme, bohrende Fragen stellt.«

»Glaubst du nicht, daß in meinem Krieg auch bohrende Fragen gestellt wurden?«

»Aber eben nicht bohrend genug.« Er hielt inne und überlegte sich, ob er fortfahren sollte. Er entschloß sich dafür. »Du warst doch bei diesem ersten Bombenangriff mit den B-17 auf Schweinfurt dabei, oder?«

»Ja.« Dann zu Nicholas: »Das ist mitten in Deutschland, Nicky. Damals nicht eben ein angenehmer Ort.«

Mit einer gewissen Rücksichtslosigkeit fuhr Crawford fort: »Du hast mir einmal erzählt, Ziel des Angriffs auf Schweinfurt sei es gewesen, alle Kugellagerfabriken zu zerstören, weil diejenigen, die für das Bombardement verantwortlich waren, glaubten, ein Mangel an Kugellagern würde die deutsche Kriegsmaschinerie aufhalten können.«

Angus nickte bedächtig, er wußte, was nun kam. »Das hat man uns gesagt.«

»Dann weißt du auch, daß man nach dem Krieg herausfand, daß es nicht funktionierte. Trotz dieses Angriffs und anderer, die so viele Amerikaner das Leben kosteten, herrschte in Deutschland nie ein Mangel an Kugellagern. Die Politik, die Pläne waren einfach falsch. Ich will damit nicht sagen, daß die Presse damals diese entsetzliche Vergeudung von Menschenleben hätte aufhalten können. Aber heute würde man Fragen stellen - nicht erst nach, sondern schon während der Aktion, und diese Fragen und das öffentliche Bewußtsein würden wie ein Hemmschuh wirken und möglicherweise den Verlust von Menschenleben in Grenzen halten.«

Während Crawford sprach, sah man, wie sich Erinnerung und Schmerz im Gesicht seines Vaters arbeiteten. Er schien unter den Augen der anderen zu schrumpfen, in sich selbst zusammenzusinken, er schien plötzlich wirklich alt zu werden. Dann sagte er mit zitternder Stimme: »Über Schweinfurt haben wir fünfzig B-17 verloren. In jedem Bomber waren zehn Männer. Das waren fünfhundert Tote an einem einzigen Tag. Und in derselben Woche, in diesem Oktober '43, verloren wir noch einmal achtundachtzig Bomber - das sind fast neunhundert Männer.« Seine Stimme war nur noch ein Flüstern. »Ich war bei diesen Angriffen mit dabei. Das Schlimmste waren die vielen leeren Betten am Abend danach, die Betten der Männer, die nicht zurückgekommen waren. Ich bin in der Nacht oft aufgewacht, habe mich umgesehen und mich gefragt: Warum ich? Warum bin ich zurückgekommen - in dieser Woche und in denen danach - und so viele andere nicht?«

Einen Augenblick lang herrschte betroffenes Schweigen, und Sloane wünschte sich, er hätte nichts gesagt, hätte nicht versucht, in der Diskussion mit seinem Vater einen Punkt zu machen. »Tut mir leid, Dad«, sagte er dann. »Ich wollte keine alten Wunden aufreißen.«

Als hätte er das gar nicht gehört, fuhr sein Vater fort: »Es waren gute Männer. So viele gute Männer. So viele von meinen Freunden.«

Sloane schüttelte den Kopf. »Hören wir auf damit. Wie gesagt, es tut mir leid.«

»Opa?« fragte nun Nicky, der sehr aufmerksam zugehört hatte. »Als du im Krieg all diese Sachen gemacht hast, hast du da große Angst gehabt?«

»O Gott, Nicky! Angst? Das blanke Entsetzen könnte man es wohl eher nennen. Wenn überall die Flak-Granaten explodierten, die einen in winzige Stücke zerreißen könnten... wenn die deutschen Kampfflieger auf uns zurasten und uns mit Maschinengewehren und Kanonen beschossen, daß man meinte, sie hätten nur dich im Visier... wenn andere B-17 abstürzten, manchmal brennend oder in so engen Spiralen, daß man wußte, die Männer würden nicht mehr rechtzeitig genug herauskommen, um noch mit den Fallschirmen abspringen zu können... und das alles in fast neuntausend Metern Höhe, in einer Luft, die so dünn und so kalt war, daß einem der Angstschweiß auf der Haut gefror... Weißt du, da ist mir wirklich manchmal das Herz in die Hose gerutscht.«

Angus hielt inne. Keiner sagte in diesem Augenblick ein Wort, irgendwie war dies anders als seine üblichen Erinnerungen. Dann fuhr er fort, und er sprach nur zu Nicky, der jedes Wort seines Großvaters verschlang. Es schien fast, als würde eine geheime Verbindung zwischen den beiden, dem alten Mann und dem kleinen Jungen, bestehen.

»Ich will dir etwas erzählen, Nicky, etwas, das ich bis jetzt noch keinem einzigen Menschen erzählt habe. Einmal hatte ich solche Angst, daß ich...« Er sah sich um, als würde er um Verständnis bitten. »... Ich hatte solche Angst, daß ich mir in die Hose gemacht habe.«

»Was hast du dann getan?« fragte Nicky.

Jessica wollte aus Sorge um Angus schon das Gespräch unterbrechen, aber Crawford winkte ab.

Die Stimme des alten Mannes wurde langsam wieder kräftiger. Man sah, wie wieder ein wenig von seinem Stolz zurückkehrte. »Was konnte ich denn schon tun? Mir gefiel's zwar nicht, aber ich war nun mal da oben, und deshalb tat ich genau das, weswegen man mich hinaufgeschickt hatte. Ich war der Erste Bombenschütze des Geschwaders. Sobald nun der Geschwaderkommandant das Einsatzgebiet erreicht und uns auf Zielkurs gebracht hatte, sagte er zu mir über Bordfunk: >Jetzt bist du dran, Angus. Also los.< Na, und ich lag da über dem Bombenzielgerät und nahm in aller Ruhe Maß. Weißt du, Nicky, in diesen paar Minuten flog der Bombenschütze die Maschine. Als ich dann das Ziel genau im Fadenkreuz hatte, warf ich meine Bomben ab. Es war das Signal für die anderen Schützen des Geschwaders, ihre Schächte ebenfalls zu öffnen.«

»Ich will dir nur das eine sagen, Nicky«, fuhr Angus fort. »Es ist nicht schlimm, Todesangst zu haben. Das kann den Besten passieren. Wichtig ist nur, daß man dran bleibt, nicht den Kopf verliert und das tut, was man tun muß.«

»Ich weiß, was du meinst, Opa«, erwiderte Nicky im Brustton der Überzeugung, und Crawford fragte sich, wieviel der Junge wirklich verstanden hatte. Vermutlich sehr viel. Nicky war intelligent und sensibel. Und Crawford fragte sich auch, ob er selbst in der Vergangenheit sich die Mühe gemacht hatte, seinem Vater das nötige Verständnis entgegenzubringen.

Er sah auf die Uhr. Zeit zum Aufbruch. Für gewöhnlich traf er um 10 Uhr 30 bei CBA News ein, aber an diesem Morgen mußte er früher dort sein, weil er mit dem Präsidenten über die Chuck Insens Entlassung reden wollte. Die Erinnerung an den Zusammenstoß vom Vorabend nagte noch an ihm, und er war entschlossen wie eh und je, bei der Auswahl der Nachrichten für Veränderung zu sorgen.

Er stand auf, entschuldigte sich bei den anderen und ging nach oben, um sich fertig anzuziehen.

Während er sich eine Krawatte aussuchte - dieselbe, die er auch an diesem Abend vor der Kamera tragen würde - und sorgfältig einen Windsorknoten band, dachte er über seinen Vater nach. Er stellte sich die Szenen vor, die sein Vater beschrieben hatte, in der Luft über Schweinfurt und an anderen Orten. Angus mußte damals Anfang Zwanzig gewesen sein, also halb so alt wie Crawford jetzt war, ein halbes Kind, das noch kaum gelebt und doch schon furchtbare, entsetzliche Angst vor dem Sterben hatte. Crawford hatte etwas Vergleichbares noch nie erlebt, vor allem nicht während seiner Zeit als Journalist in Vietnam.