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Nun, seine kluge Bettgenossin hatte recht gehabt, der Tag war wirklich gekommen... Aber er wollte einfach nicht daran denken. In diesem Augenblick brachte Vivien das Tablett mit dem Tee herein.

Vivien war Mitte Vierzig, mit kantigen, kräftigen Gesichtszügen und glatten, schwarzen Haaren, in denen sich inzwischen einige graue Strähnen zeigten. Obwohl weder aufregend noch im konventionellen Sinne schön, besaß sie doch ein herzliches, unbeschwertes und großzügiges Wesen. Sie war verwitwet, als Partridge sie kennenlernte, und er nahm an, daß es keine glückliche Ehe gewesen war, doch sie sprach kaum darüber. Ihr einziges Kind, eine Tochter, lebte in Vancouver. Sie kam manchmal zu Besuch, doch nie, wenn Vivien Partridge erwartete.

Partridge mochte Vivien, doch er liebte sie nicht, und er kannte sie lange genug um zu wissen, daß er sie nie lieben würde. Er hatte den Verdacht, daß Vivien in ihn verliebt war und ihn noch mehr lieben würde, wenn er sie dazu ermutigte. Aber so akzeptierte sie die Beziehung, wie sie war.

Während er seinen Tee trank, musterte Vivien ihn kritisch. Sie bemerkte, daß seine immer schon schlanke Gestalt noch dünner geworden war und sein Gesicht, trotz einer gewissen Jungenhaftigkeit, die er sich bewahrt hatte, Falten der Überlastung und Erschöpfung zeigte. Seine widerspenstigen blonden Haare, die inzwischen deutlich grauer geworden waren, mußten dringend geschnitten werden.

Partridge spürte ihren prüfenden Blick und sagte: »Also, leg schon los.«

Vivien schüttelte in gespielter Verzweiflung den Kopf. »Sieh dich nur an! Du warst gesund und kräftig, als ich dich losgeschickt habe. Und zweieinhalb Monate später kommst du müde, blaß und unterernährt zurück.«

»Ich weiß.« Er schnitt eine Grimasse. »Es ist das Leben, das ich führe. Zuviel Streß, zuwenig Schlaf, schlechtes Essen und zuviel Alkohol.« Dann fügte er mit einem Lächeln hinzu: »Da bin ich also, total am Boden wie immer. Was kannst du für mich tun?«

Mit einer Mischung aus Zuneigung und Bestimmtheit antwortete sie: »Zuerst bekommst du ein gutes, gesundes Frühstück. Du kannst im Bett bleiben, ich werd's dir bringen. Zu den anderen Mahlzeiten gibt's nahrhafte Sachen wie Fisch und Geflügel, frisches Gemüse und Obst. Gleich nach dem Frühstück werde ich dir die Haare schneiden. Danach Sauna und Massage, ein Termin ist schon reserviert.«

Partridge legte sich zurück und streckte die Hände in die Luft. »Na wunderbar.«

Vivien fuhr fort: »Ich dachte mir, daß du morgen deine alten Freunde bei CBC besuchen willst, das machst du ja immer. Für den Abend habe ich dann Karten für ein Mozart-Konzert in der Roy Thomson Hall in Toronto. Da kannst du dich ganz der Musik hingeben. Ich weiß, daß du das magst. Ansonsten wirst du dich ausruhen und tun und lassen, was du willst.« Sie hob die Schultern. »Vielleicht hast du zwischendurch mal Lust auf ein bißchen Zärtlichkeit. Du hast es gestern abend noch versucht, aber du warst zu müde. Bist einfach eingeschlafen.«

In diesem Augenblick empfand Partridge mehr Dankbarkeit für Vivien als je zuvor. Sie war wie ein Fels in der Brandung, ein sicherer Hafen. In der Nacht zuvor hatte sie im Flughafen geduldig auf seine verspätete Ankunft gewartet und ihn dann in die Wohnung gebracht.

»Mußt du denn nicht arbeiten?« fragte er.

»Ich habe mir ab heute Urlaub genommen. Eine andere Schwester wird mich vertreten.«

»Vivien, du bist unersetzlich.«

Nachdem Vivien gegangen war und Partridge sie in der Küche herumhantieren hörte, kehrten seine Gedanken zum vergangenen Tag zurück.

Noch in der Abfertigungshalle hatte ihn ein Anruf von Crawford Sloane erreicht, der ihm gratulieren wollte.

Crawf hatte verlegen geklungen, wie so oft, wenn sie miteinander sprachen. Es gab Zeiten, da hätte Partridge ihm am liebsten gesagt: »Hör mal, wenn du glaubst, daß ich dir wegen irgendwas böse bin, wegen Jessica oder dem Job oder sonstwas, vergiß es. Ich bin's nicht und war's auch nie.« Aber er wußte, daß eine solche Bemerkung ihre Beziehung nur noch mehr belasten würde, und wahrscheinlich würde Crawf ihm sowieso nicht glauben.

In Vietnam hatte Partridge sehr wohl gewußt, daß Sloane sich nie weit von Saigon entfernte, um so oft wie möglich in den CBA News auftreten zu können. Doch es war ihm damals ebenso gleichgültig wie jetzt. Er hatte seine eigenen Prioritäten. Eine davon war fast als Sucht zu bezeichnen - die Sucht nach den Bildern und den Geräuschen des Krieges.

Der Krieg... das blutige Schlachtgetümmel... das Donnern und Blitzen schwerer Artillerie, das schrille Pfeifen und furchterregende Krachen fallender Bomben, das überlaute Knattern der Maschinengewehre, wenn man nicht wußte, wer schoß, und von wo und auf wen... die beinahe sinnliche Erregung des Angegriffenwerdens, obwohl man vor Angst zitterte... dies alles faszinierte Partridge, es brachte sein Blut in Wallung.

Er hatte dieses Gefühl in Vietnam entdeckt, seiner ersten Kriegserfahrung. Seitdem wurde er es nicht mehr los. Mehr als einmal hatte er sich gesagt: Gib's doch zu - du bist verrückt danach; und sich dann eingestanden: Ja, ich bin's, ich gottverdammter Trottel.

Ob nun Trottel oder nicht, er hatte sich nie gewehrt, von CBA an Kriegsschauplätze geschickt zu werden. Er wußte, daß manche Kollegen ihn »Päng-päng« nannten, eine leicht verächtliche Bezeichnung für einen Fernsehreporter, den die Kriegssucht gepackt hatte, eine schlimmere Sucht, so hieß es manchmal, als die nach Heroin und Kokain, aber mit einem fast ebenso vorhersehbaren tödlichen Ausgang.

Doch in der Zentrale von CBA News wußte man auch, daß Harry Partridge für diese Art der Berichterstattung der Beste war, und das war schließlich das wichtigste.

Es hatte ihm deshalb nicht allzuviel ausgemacht, als Sloane zum Chefsprecher der National Evening News befördert wurde. Wie jeder andere Korrespondent hatte auch Partridge mit dem Gedanken ge spielt, eines Tages in diesem Stuhl an der Spitze zu sitzen, als aber dann Sloane das Glück hatte, fühlte Partridge sich in seiner Position so wohl, daß es ihm gleichgültig war.

Doch nun war die Frage nach dem Job des Chefsprechers plötzlich und unerwartet wieder aufgetaucht. Vor zwei Wochen hatte Chuck Insen ihn in einer »streng vertraulichen Unterhaltung«, wie der Sendeleiter es nannte, wissen lassen, daß es innerhalb der National Evening News zu größeren Veränderungen kommen könne. »Falls das passiert«, hatte Insen ihn gefragt, »hättest du Lust, aus der Kälte der großen Welt zurückzukommen und Chefsprecher der National Evening News zu werden? Du kannst das verdammt gut.«

Partridge war so überrascht gewesen, daß er nicht wußte, wie er reagieren sollte. Doch dann hatte Insen hinzugefügt: »Du mußt nicht gleich antworten. Ich will nur, daß du darüber nachdenkst, falls ich später noch einmal darauf zurückkomme.«

Über seine eigenen Kanäle hatte Partridge dann von dem Machtkampf zwischen Chuck Insen und Crawford Sloane erfahren. Aber auch falls Insen gewinnen sollte, was eher unwahrscheinlich schien, war sich Partridge ganz und gar nicht sicher, ob ihm der Job des Chefsprechers zusagte und ob er ihn überhaupt ertragen konnte. Vor allem, so sagte er sich halb im Spaß, solange noch an so vielen Orten der Welt Gewehrschüsse krachten.

Immer wenn Partridge über seine persönliche Beziehung zu Crawford Sloane nachdachte, kam unausweichlich die Erinnerung an Jessica. Doch es blieb immer nur eine Erinnerung, weil keine Beziehung, nicht einmal mehr ein gelegentlicher Kontakt, zwischen ihnen bestand, und auf gesellschaftlicher Ebene sahen sie sich höchstens ein- oder zweimal im Jahr. Partridge hatte auch nie Sloane die Schuld am Verlust Jessicas gegeben, denn er wußte, daß seine eigene törichte Haltung der Grund dafür gewesen war. Als er Jessica hätte heiraten können, hatte er sich dagegen entschieden, und so war Sloane an seine Stelle getreten, der zu der Zeit ganz offensichtlich der Klügere und Weitsichtigere von beiden gewesen war...