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Vivien kam wieder ins Schlafzimmer und brachte ihm sein Frühstück, das aus mehreren Gängen bestand. Es war, wie sie versprochen hatte, eine sehr nahrhafte Mahlzeit: frischgepreßter Orangensaft und dicker, heißer Porridge mit Milch und braunem Zucker, gefolgt von pochierten Eiern auf Vollkorntoast zu starkem, schwarzen Kaffee aus frischgemahlenen Bohnen, und schließlich wieder Toast und Honig aus Alberta.

Daß sie an den Honig gedacht hatte, rührte Partridge. Er erinnerte ihn, und das hatte sie auch beabsichtigt, an seine Heimatprovinz, wo er bei einem lokalen Radiosender auch seine Journalistenlaufbahn begonnen hatte. Nun fiel ihm wieder ein, daß er Vivien einmal von seiner Arbeit bei einem sogenannten 20/20 Sender erzählt hatte. Das Kürzel bedeutete, daß das übliche Rock'n'Roll-Programm alle zwanzig Minuten von ein paar laut herausgeschrienen Schlagzeilen aus dem AP-Telegramm unterbrochen wurde. Ein junger Harry Partridge war damals der Schreihals gewesen. Er lächelte bei dieser Erinnerung; es schien schon so lange her.

Als er nach dem Frühstück noch im Pyjama durch die Wohnung streifte, sagte er plötzlich: »Das wird ja immer schäbiger hier. Ein neuer Anstrich und neue Möbel wären dringend notwendig.«

»Ich weiß«, gab Vivien zu. »Ich hab' auch schon die Hausbesitzer wegen einer Renovierung gefragt. Aber da hieß es, für diese Wohnung seien noch keine Investitionen vorgesehen.«

»Die können mich doch mal! Wir machen das ohne die Besitzer. Such dir einen Maler und bestell, was du brauchst. Ich laß dir genügend Geld da, bevor ich wieder verschwinde.«

»Du bist bei solchen Sachen immer so großzügig«, sagte sie und fügte dann hinzu: »Hast du eigentlich immer noch dieses einmalige Privileg, keine Einkommensteuer zahlen zu müssen?«

Er grinste. »Aber klar doch.«

»An niemand und nirgends?«

»Keinen Cent, und das ist vollkommen legal und ehrlich. Ich gebe keine Steuererklärung ab, weil ich nicht muß. Spart 'ne Menge Zeit und Geld.«

»Ich hab' nie verstanden, wie du das schaffst.«

»Dir kann ich's ja ruhig erzählen«, erwiderte er, »obwohl ich sonst nicht darüber rede. Leute, die Einkommensteuer zahlen, werden neidisch; man ist im Elend eben nicht gern allein.«

Entscheidend dafür sei, so erklärte er nun, daß er als kanadischer Staatsbürger mit einem kanadischen Paß im Ausland arbeite.

»Die meisten Leute wissen nicht, daß die Vereinigten Staaten als einziges großes Land der Welt ihre Bürger besteuern, gleichgültig wo sie leben. Auch wenn Amerikaner außerhalb der Vereinigten Staaten wohnen, müssen sie an Uncle Sam Steuern zahlen. In Kanada ist das anders. Kanadier, die das Land verlassen, sind in Kanada nicht mehr steuerpflichtig, und sobald das Finanzamt davon überzeugt ist, daß du nicht mehr da bist, hat es kein Interesse mehr an dir. Die Briten machen das genauso.«

»Bei mir läuft das nun so«, fuhr er fort, »daß CBA News mein Gehalt monatlich auf mein Konto bei der Chase Manhattan einzahlt. Von dort überweise ich das Geld auf Konten in anderen Ländern - auf den Bahamas, in Singapur, auf den Kanalinseln, wo das Geld steuerfrei Zinsen bringt.«

»Was ist mit Steuern in den Ländern, in denen du arbeitest?«

»Als Fernsehjournalist bleibe ich nie lange genug, um dort steuerpflichtig zu werden. Das trifft sogar auf die USA zu, vorausgesetzt, daß ich mich nie länger als 120 Tage im Jahr dort aufhalte, und du kannst sicher sein, daß ich nie so lange bleibe. Und in Kanada habe ich ja keinen offiziellen Wohnsitz, nicht einmal den hier. Das ist ganz allein deine Wohnung, Viv, wie wir beide wissen.«

Schließlich fügte er hinzu: »Wichtig ist nur, daß man keine Steuern hinterzieht. Das ist nicht nur illegal, sondern auch dumm und das Risiko nicht wert. Steuern umgehen ist etwas ganz anderes...« Er hielt inne. »Moment mal. Ich hab' da was.«

Partridge zog einen zusammengefalteten, abgenutzten Zeitungsausschnitt aus seiner Brieftasche. »Das ist ein Zitat aus einer Entscheidung aus dem Jahr 1934, getroffen von einem der größten Juristen Amerikas, Judge Learned Hand. Viele andere Richter haben sich bereits darauf berufen.«

Er las laut vor: »Jeder hat das Recht, seine Angelegenheiten so zu regeln, daß er so wenig Steuern wie möglich zahlt; er ist nicht verpflichtet, den für den Fiskus vorteilhaftesten Weg zu wählen; ja es existiert nicht einmal die patriotische Pflicht, soviel Steuern wie möglich zu zahlen.«

»Jetzt verstehe ich, warum die Leute dich beneiden«, sagte Vivien. »Gibt es beim Fernsehen noch andere, die das auch tun?«

»Du glaubst gar nicht, wie viele. Der Steuervorteil ist einer der Gründe, warum Kanadier gern im Ausland für amerikanische Sender arbeiten.«

Es gab noch andere Gründe, die er nicht erwähnte, nicht zuletzt die Gehälter, die bei den amerikanischen Sendern um einiges höher waren. Für einen amerikanischen Sender zu arbeiten, bedeutete aber auch, und das war wohl das Wichtigste, daß man »den großen Sprung« geschafft hatte und mit einem Mal im erregenden Mittelpunkt des Weltgeschehens stand.

Die amerikanischen Sender arbeiteten ihrerseits gern mit kanadischen Korrespondenten, denn die hatten bei CBC und CTV eine solide Ausbildung genossen. Außerdem stellte sich mit der Zeit heraus, daß die amerikanischen Zuschauer den kanadischen Akzent mochten; und das war mit ein Grund für die Popularität von Leuten wie Peter Jennings, Robert MacNeil, Morley Safer, Allen Pizzey, Barrie Dunsmore, Peter Kent, John Blackstone, Hilary Bowker, Harry Partridge und noch anderen mehr.

Während Partridge weiter durch die Wohnung schlenderte, entdeckte er auf einer Anrichte die Karten für das MozartKonzert. Er wußte, daß es ihm gefallen würde, und war einmal mehr dankbar dafür, daß Vivien seinen Geschmack immer so gut traf.

Dankbar war er auch für den dreiwöchigen Urlaub - eine Zeit des erholsamen Nichtstuns, wie er glaubte.

11

An jedem Donnerstagvormittag ging Jessica zum Einkaufen, und sie hatte nicht vor, an diesem Tag eine Ausnahme zu machen. Als Angus dies erfuhr, wollte er sie begleiten. Nicky, der schulfrei hatte, bat, ebenfalls mitkommen zu dürfen, weil er mit seinem Großvater Zusammensein wollte.

»Mußt du denn nicht üben?« fragte Jessica skeptisch.

»Doch, Mom. Aber das kann ich später auch noch. Ich habe ja Zeit.«

Da Jessica wußte, daß Nicky seine Musik sehr ernst nahm und manchmal bis zu sechs Stunden täglich übte, hatte sie nichts dagegen.

Kurz vor 11 Uhr verließen die drei in Jessicas Volvo das Haus an der Park Avenue, also etwa eineinviertel Stunden nach Crawfords Aufbruch. Es war ein wunderbarer Vormittag, die Blätter der Bäume leuchteten in herbstlichen Farben und die Sonne glitzerte auf dem Long Island Sound.

Florence, das Dienstmädchen der Sloanes, war zu der Zeit bereits im Haus und sah durch ein Fenster zu, wie die drei abfuhren. Dabei bemerkte sie, daß ein Auto, das in einer Seitenstraße geparkt stand, ebenfalls losfuhr und dem Volvo folgte. Doch in diesem Augenblick maß sie dem zweiten Auto noch keine Bedeutung zu.

Wie jeden Donnerstag fuhr Jessica zuerst zum Grand Union Supermarkt an der Chatsworth Avenue. Sie stellte den Volvo auf dem Kundenparkplatz ab und ging mit Angus und Nicky hinein.

Die beiden Kolumbianer Julio und Carlos in dem Chevrolet Celebrity waren dem Kombi in sicherem Abstand gefolgt.

Carlos, der zuvor bereits die Abfahrt gemeldet hatte, griff nun wieder zum Funktelefon und berichtete, daß »die drei Pakete im Container Nummer eins« seien.

An diesem Tag saß Julio am Steuer. Er fuhr jedoch nicht auf den Kundenparkplatz des Supermarkts, sondern blieb auf der Straße davor, um von dort aus die Umgebung beobachten zu können. Einem früheren Befehl Miguels folgend, stieg Carlos nun aus und ging zu Fuß zu einem Beobachtungsposten in der Nähe des Supermarkts. Im Gegensatz zur eher lässigen Kleidung der anderen Tage trug er heute einen ordentlichen braunen Anzug mit Krawatte.