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Sobald Carlos an Ort und Stelle war, fuhr Julio den Chevrolet weg und versteckte ihn, zur Sicherheit, falls er beobachtet worden war, in ihrem abgelegenen Hauptquartier in Hackensack.

Der erste der beiden Anrufe erreichte Miguel in dem Nissan Kleinbus, der in der Nähe des Bahnhofs von Larchmont geparkt stand. In der Menge der anderen Autos, die New Yorker Pendler dort abgestellt hatten, fiel der Transporter nicht weiter auf. Miguel hatte Luis, Rafael und Baudelio bei sich, doch von den vier Insassen war kaum etwas zu sehen, weil die Heck- und Seitenscheiben mit dünner, dunkler Plastikfolie überklebt waren. Luis, der Fahrkünstler, saß am Steuer.

Als sie erfuhren, daß drei Personen das Haus verlassen hatten, rief Rafaeclass="underline" »Ay! Das heißt, daß der viejo mit dabei ist. Verdammt, der wird uns im Weg sein.«

»Dann legen wir den alten Trottel eben um«, sagte Luis und griff sich an die Ausbuchtung in seiner Wildlederjacke. »Eine Kugel reicht.«

»Du befolgst genau meine Befehle«, bellte Miguel ihn an. »Tu nichts, ohne daß ich es dir sage.« Er wußte, daß in Rafael und Luis beständig eine versteckte Aggressivität lauerte, wie ein schwelendes Feuer, das jeden Augenblick auflodern konnte. Der schwere und kräftige Rafael war eine Zeitlang Profiboxer gewesen und trug aus dieser Zeit deutlich sichtbare Narben. Luis war Exsoldat der kolumbianischen Armee - eine harte Schule. Es war durchaus möglich, daß die Aggressivität der beiden Männer später einmal nützlich würde, aber bis dahin mußte man sie im Zaum halten.

Was Miguel im Augenblick mehr Sorgen machte, war das Problem der überraschend dazugekommenen dritten Person. In ihrem Plan waren zu diesem Zeitpunkt nur die Frau und der Junge vorgesehen. Denn von Anfang an waren die beiden, und nicht Crawford Sloane, das Ziel der Operation gewesen. Sie sollten entführt und für spätere noch unbestimmte Forderungen als Geiseln gehalten werden.

Die Frage war nun, was mit dem alten Mann passieren sollte. Ihn zu töten, wie Luis vorgeschlagen hatte, wäre sehr einfach, konnte aber auch neue Probleme schaffen. Höchstwahrscheinlich würde Miguel die endgültige Entscheidung erst treffen, wenn sie unausweichlich wurde. Doch dieser Augenblick stand kurz bevor.

In einer Hinsicht hatten sie Glück: Die Frau und der Junge waren zusammen. Die Wochen der Beschattung hatten gezeigt, daß die Frau immer am Donnerstagmorgen zum Einkaufen ging. Daß der Junge schulfrei hatte, war ebenfalls bekannt. Carlos, der sich am Telefon als Vater eines Schülers ausgab, hatte dies bei der Grammar School in der Chatsworth Avenue, die Nicky besuchte, in Erfahrung gebracht. Fraglich war nur, ob sie die Frau und den Jungen zusammenbringen konnten. Doch nun hatten die beiden, ohne es zu wissen, dieses Problem für sie gelöst.

Sobald Carlos meldete, daß alle drei den Supermarkt betreten hatten, nickte Miguel Luis zu. »Okay. Fahr los!«

Luis legte den Gang ein. Ihr Ziel war der nur wenige Blocks entfernte Parkplatz des Supermarkts.

Während der Fahrt drehte Miguel sich um und sah Baudelio an, den Amerikaner in der Medellin-Truppe, der ihm immer noch Sorgen machte.

Baudelio - so lautete der ihm zugewiesene Deckname - war Mitte Fünfzig, sah aber zwanzig Jahre älter aus. Mit seinem ausgemergelten, hohlwangigen Gesicht, der bleichen Haut und dem hängenden, ungepflegten Schnurrbart glich er fast einem Gespenst. Er war früher Arzt gewesen, ein in Boston praktizierender Anästhesiespezialist, und vor allem ein Säufer. Wenn man ihn sich selbst überließ, war er nur noch Säufer, aber kein Arzt mehr, das auch schon lange nicht mehr offiziell. Vor zehn Jahren hatte man ihm auf Lebzeiten die Approbation als Arzt entzogen, weil er unter Alkoholeinfluß einem Patienten auf dem Operationstisch eine zu hohe Narkosedosis verabreicht hatte. Bis dahin hatten die Kollegen ihn bei ähnlichen Vorfällen immer gedeckt, doch diesmal starb der Patient, und das konnte nicht mehr vertuscht werden.

In den Vereinigten Staaten gab es danach für ihn keine Zukunft mehr, auch besaß er weder Familie noch Kinder. Seine Frau hatte ihn bereits einige Jahre zuvor verlassen. Da er schon öfters in Kolumbien gewesen war und ihm auch sonst nichts Besseres einfiel, beschloß er, dorthin zu gehen. Nach einiger Zeit entdeckte er, daß er seine beachtlichen medizinischen Fähigkeiten für zwielichtige, manchmal auch kriminelle Zwecke einsetzen konnte, ohne je Verdacht zu erregen. In seiner Situation konnte er nicht wählerisch sein, und er nahm deshalb alles, was sich ihm bot. Nebenbei schaffte er es, durch die Lektüre medizinischer Fachzeitschriften in seinem Fachgebiet auf dem neuesten Stand zu bleiben. Und dies war der Grund, warum das Medellin-Kartell, für das er zuvor schon tätig gewesen war, ihn für dieses Unternehmen ausgesucht hatte.

Miguel kannte diese Vorgeschichte und hatte den Befehl, Baudelio während der Aktion vom Alkohol fernzuhalten. Zu diesem Zweck mußte der Ex-Doktor täglich eine Antabuse-Tablette schlucken. Wer nach der Einnahme dieser Tabletten Alkohol trank, dem wurde entsetzlich schlecht, und das wußte Baudelio sehr genau.

Da es unter Alkoholikern üblich war, die Tablette heimlich wieder auszuspucken, hatte Miguel den Auftrag, sehr genau darauf zu achten, daß Baudelio sie auch wirklich schluckte. Miguel kümmerte sich auch darum, aber ohne sonderliche Begeisterung. Da er in der relativ kurzen verfügbaren Zeit ein Fülle von Pflichten zu erfüllen hatte, konnte er auf die einer Krankenschwester durchaus verzichten.

Ebenfalls in Hinblick auf Baudelios Labilität beschloß Miguel, ihm keine Waffe anzuvertrauen. So war er der einzige Unbewaffnete in der Truppe.

Mit einem argwöhnischen Blick wandte Miguel sich an Baudelio: »Bist du bereit? Weißt du, was zu tun ist?«

Der Arzt nickte. Ein Rest seines beruflichen Stolzes flackerte wieder auf. Er sah Miguel in die Augen und sagte: »Ich weiß genau, was notwendig ist. Wenn es erst so weit ist, kannst du dich auf mich verlassen und dich ganz auf das konzentrieren, was du zu tun hast.«

Miguel war zwar noch nicht ganz überzeugt, aber er drehte sich wieder um. Der Supermarkt lag direkt vor ihnen.

Carlos sah den Nissan Kleinbus kommen. Der Parkplatz war noch nicht überfüllt, und Julio fand eine freie Bucht direkt neben Jessicas Volvo. Während er einparkte, ging Carlos in den Supermarkt.

Jessica deutete auf den halbvollen Einkaufswagen. »Wenn ihr noch irgendwas Besonderes wollt, werft es einfach rein.«

»Opa mag Kaviar«, sagte Nicky.

»Wie konnte ich das nur vergessen«, sagte Jessica. »Dann holen wir welchen.«

Sie gingen zur Feinkostabteilung, wo sie eine große Auswahl verschiedener Kaviarsorten entdeckten. Angus sah sich die Preise an und sagte: »Das ist aber furchtbar teuer.«

»Weißt du überhaupt, wieviel dein Sohn verdient?« fragt Jessica leise.

Der alte Mann lächelte, und als er antwortete, flüsterte er ebenfalls: »Ich hab' irgendwo was von knappen drei Millionen pro Jahr gelesen.«

»Knapp ist gut.« Jessica lachte; in Angus' Gesellschaft fühlte sie sich immer wohl. »Dann laß uns doch ein bißchen was davon auf den Kopf hauen.« Sie deutete auf eine Zweihundertgrammdose Belugakaviar zum Preis von $ 199,95. »Den gibt's heute abend zum Aperitif.«

In diesem Augenblick bemerkte Jessica einen jungen, schlanken und elegant gekleideten Mann, der auf eine Frau in der Nähe zuging. Er schien sie etwas zu fragen. Die Frau schüttelte den Kopf. Er wandte sich an eine zweite und erhielt offensichtlich wieder eine negative Antwort. Neugierig geworden sah Jessica nun, daß der junge Mann auf sie zukam.

»Entschuldigen Sie, Madam«, sagte Carlos. »Ich suche jemanden.« Er hatte Jessica die ganze Zeit im Auge gehabt, hatte aber absichtlich zuerst andere angesprochen, damit sie auf ihn aufmerksam wurde.

Jessica bemerkte einen spanischen Akzent, aber das war in New York nichts Ungewöhnliches. Ihr fielen auch die harten, kalten Augen des Mannes auf, doch das ging sie nichts an.