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Zunächst wischte Carlos alle Oberflächen ab, um die Suche nach Fingerabdrücken zu erschweren - eine Vorsichtsmaßnahme, falls der Bus der Polizei in seinem augenblicklichen Zustand in die Hände fallen sollte. Doch mit dem nächsten Schritt sorgte er dafür, daß das nicht passierte.

Aus dem Handschuhfach nahm Carlos einen Styroporbehälter mit brisantem Inhalt: ein beträchtliche Menge Plastiksprengstoff, ein kleiner Zünder mit Zündstift, zwei

Drahtstücke und eine Rolle Klebeband. Mit dem Band befestigte er Sprengstoff und Zünder unten an den Vordersitzen. Die beiden Drahtstücke führte er vom Zündstift zu den inneren Türgriffen auf beiden Seiten und verknotete sie dort. Wurde nun eine der beiden Türen geöffnet, zog der Draht den Stift aus dem Zünder und die Ladung explodierte.

Abschließend warf Carlos noch einen Blick in die Fahrerkabine und vergewisserte sich, daß weder Sprengstoff noch Drähte zu sehen waren.

Aller Wahrscheinlichkeit nach würde es mehrere Tage dauern, bis man den Bus entdeckte, und bis dahin waren die Entführer mit ihren Opfern längst über alle Berge. Doch bei der Entdeckung würde eine typische Terroristenüberraschung mit Nachdruck darauf hinweisen, daß mit den Entführern nicht zu spaßen war.

Carlos verließ das Parkhaus durch das Einkaufszentrum und machte sich mit öffentlichen Verkehrsmitteln auf den Rückweg nach Hackensack, wo er sich mit den anderen treffen wollte.

Der Lastwagen fuhr noch fünf Meilen bis zum Cross Bronx Expressway und bog dort nach Westen ab. Etwa zwölf Minuten später überquerte er den Harlem River und bald darauf die George Washington Bridge, die den Hudson River überspannte.

Die Brücke bildete die Grenze zwischen New York State und New Jersey. Für Miguel und den Rest der Medellin-Gruppe waren es nun nur noch wenige Meilen bis zu ihrem sicheren Unterschlupf in Hackensack.

13

Bert Fisher lebte und arbeitete in einer winzigen Wohnung in Larchmont. Er war achtundsechzig und seit Jahrzehnten Witwer. Seine Visitenkarten wiesen ihn als Nachrichtenreporter aus, doch im Fachjargon hieß er etwas wirklichkeitsnäher Stringer, der Mann fürs Grobe vor Ort.

Wie andere Stringer auch, war Bert der örtliche Vertreter verschiedener großer Nachrichtenorganisationen, die ihren Sitz in den Metropolen hatten, und von einigen dieser Konzerne erhielt er sogar ein kleines Vorabhonorar. Er lieferte Informationen oder fertige Berichte, wurde aber nur für das bezahlt, was wirklich verwendet wurde. Da Kleinstadtnachrichten nur selten regionale, geschweige denn nationale Bedeutung hatten, war es schwierig, Material bei großen Zeitungen oder Radio- und Fernsehsendern unterzubringen. Stringer wurden deshalb auch nie reich, die meisten hielten sich wie Bert Fisher gerade so über Wasser.

Trotzdem gefiel Bert seine Arbeit. Während des Zweiten Weltkrieges hatte er als amerikanischer G.I. in Europa für die Armeezeitung Stars and Stripes gearbeitet. Das hatte ihn auf den Geschmack gebracht, und seit dieser Zeit trug er seinen bescheidenen Teil zum amerikanischen Nachrichtenumsatz bei. Obwohl ihn das Alter inzwischen etwas langsamer gemacht hatte, telefonierte er noch täglich mit lokalen Informanten und hatte auch ständig mehrere Abhörgeräte eingeschaltet, mit denen er den Funkverkehr von Polizei, Feuerwehr, Krankenwagen und anderer öffentlicher Dienste überwachen konnte. Er hoffte immer, auf etwas zu stoßen, das eine Weiterverfolgung lohnte und das er einem der großen Nachrichtenkonzerne verkaufen konnte.

Mit einem dieser Geräte hatte Bert auch den Funkspruch des Revierbeamten an den Streifenwagen 423 aufgefangen. Zunächst schien es sich um einen reinen Routineeinsatz zu handeln, doch kurz darauf meldete der Beamte auf dem Parkplatz des Grand Union Supermarkts eine mögliche Entführung an das Revier. Beim Wort »Entführung« richtete Bert sich auf, stellte die Frequenz des Larchmonter Polizeifunks auf seinem Abhörgerät fest ein und griff zum Notizpapier.

Am Ende der Übertragung wußte Bert, daß er sofort zum Schauplatz mußte. Doch zuerst kam ein Anruf bei der New Yorker Fernsehstation WCBA.

Bei WCBA-TV nahm ein Assistant News Director Bert Fishers Anruf entgegen.

WCBA, eine Tochtergesellschaft von CBA, war ein renommierter Lokalsender, der das Stadtgebiet von New York mit Nachrichten versorgte. Sitz des Senders waren drei Stockwerke eines Bürohauses in Manhattan, etwa eine Meile von der Konzernmutter entfernt. Obwohl nur ein Lokalsender, erreichte er ein großes Publikum. WCBA News war nicht zuletzt wegen der Fülle von Nachrichten, die New York täglich lieferte, in gewisser Weise ein Mikrokosmos von CBA News.

In dem hektischen, lärmenden Redaktionssaal, in dem dreißig Leute Schulter an Schulter arbeiteten, verglich der Assistant News Director Bert Fishers Namen mit einer Liste aus einem Loseblattordner. »Okay«, sagte er schließlich, »was haben Sie?«

Bert wiederholte die Polizeimeldung und sagte dann, er wolle selbst sofort zum Schauplatz fahren.

»Also nur eine >mögliche< Entführung, hm?« fragte der Assistant.

»Ja, Sir.«

Obwohl Bert Fisher fast dreimal so alt war wie der junge Mann am anderen Ende der Leitung, sprach er ihn mit einer dem höheren Rang entsprechenden Höflichkeit an, die er sich aus einer anderen Zeit herübergerettet hatte.

»Also gut, Fisher. Machen Sie sich auf die Socken. Und rufen Sie sofort an, falls da wirklich was dahintersteckt.«

»Jawohl, Sir. Sie können sich auf mich verlassen.«

Beim Auflegen kam dem Assistant News Director der Gedanke, daß hier möglicherweise nur jemand falschen Alarm ausgelöst hatte. Er überlegte kurz, ob er ein Kamerateam nach Larchmont schicken sollte, entschied sich dann aber dagegen. Im Augenblick war der Bericht des Informanten noch sehr verworren. Außerdem waren alle verfügbaren Teams unterwegs, und das würde bedeuten, daß er eins von einer laufenden Story abziehen müßte. Ohne detaillierte Informationen gab es auch nichts, das man hätte senden können.

Trotzdem ging der Assistant hinüber zu dem etwas erhöhten Schreibtisch der Nachrichtenchefin und erzählte ihr von dem Anruf.

Sie hörte ihm zu und billigte seine Entscheidung. Doch dann fiel ihr etwas ein und sie griff zu einem Telefon, das sie über eine Standleitung direkt mit CBA News verband. Sie fragte nach Ernie LaSalle, dem Inlandschef, mit dem sie manchmal Informationen austauschte.

»Hör zu«, sagte sie, »ich hab' hier etwas, das sich möglicherweise als Ente erweist.« Sie wiederholte, was sie eben gehört hatte und fügte dann hinzu: »Aber hier geht es um Larchmont, und ich weiß, daß Crawford Sloane dort wohnt. Es ist ja nur ein kleiner Ort, und vielleicht ist jemand betroffen, den er kennt. Vielleicht solltest du es ihm sagen.«

»Danke«, erwiderte LaSalle. »Halt mich auf dem laufenden.«

Ernie LaSalle hängte ein und überlegte kurz, ob er dem eben Gehörten irgendeine Bedeutung beimessen sollte. Höchstwahrscheinlich würde die ganze Sache im Sand verlaufen. Aber trotzdem...

Kurz entschlossen griff er zum roten Haustelefon.

»Inlandsredaktion. LaSalle. Habe eben erfahren, daß im Polizeifunk von Larchmont, wiederhole, Larchmont, New York, von einer möglichen Entführung die Rede ist. Keine weiteren Informationen. Unsere Freunde von WCBA gehen der Sache nach und halten uns auf dem laufenden.«

Die Meldung des Inlandschefs war in der ganzen CBA NewsZentrale zu hören. Einige fragten sich, warum LaSalle etwas so Unwichtiges über die Haussprechanlage durchgegeben hatte. Andere dachten nicht weiter darüber nach und wandten sich wieder ihrer Arbeit zu. Doch die Chefproduzenten am Hufeisen im Stockwerk über dem Redaktionssaal hatten aufmerksam zugehört. Einer deutete auf Crawford Sloane, der hinter der geschlossenen Glastür in seinem Büro zu sehen war, und meinte: »Falls es in Larchmont wirklich eine Entführung gegeben hat, sollten wir dankbar sein, daß es nicht Crawf, sondern jemand anderen getroffen hat. Außer der da drin ist sein Doppelgänger.« Die anderen lachten.