»Was passiert dann mit der Post?«
»Die Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit kümmert sich darum. Dort werden die Briefe beantwortet und alle, die man für wichtig hält, an den Präsidenten der Nachrichtenabteilung weitergeleitet.«
»Ich nehme an, daß die eingegangene Post aufbewahrt wird.«
»Ich glaube schon.«
Havelock machte sich Notizen. »Wir werden auch die durchsehen lassen.«
Während einer Pause klopfte Chuck Insen an die Tür und trat ein.
»Darf ich einen Augenblick stören?« Als die beiden nickten, fuhr der Studioleiter fort. »Crawf, du weißt, wir alle wollen nur das Beste - für dich und Jessica und Nicky...«
Sloane nickte. »Ja, das weiß ich.«
»Wir meinen, du solltest die Nachrichten heute abend nicht machen. Zum einen werden sie sich ja vorwiegend um dich drehen. Und zum zweiten, auch wenn du nur den Rest moderierst, würde es so aussehen, als würden wir einfach zur Tagesordnung zurückkehren, als hätten wir vom Sender keinen Funken Mitgefühl, was ja nicht stimmt.«
Sloane überlegte eine Weile und sagte dann nachdenklich: »Ich glaube, du hast recht.«
»Wir haben uns gefragt, ob du dich vielleicht in der Lage fühlst, ein Interview zu geben - live.«
»Glaubst du, daß ich das sollte?«
»Jetzt, da die Geschichte draußen ist«, erwiderte Insen, »ist es meiner Meinung nach am besten, wenn sie so viel Aufmerksamkeit wie möglich erhält. Es besteht immer die Chance, daß Leute zusehen, die neue Informationen liefern könnten.«
»Dann mache ich es.«
Insen nickte. »Du weißt, daß die anderen Sender und die Presse dich ebenfalls interviewen wollen. Was hältst du von einer Pressekonferenz heute nachmittag?«
Sloane machte eine hilflose Geste, stimmte dann aber zu. »Also gut, ja.«
»Wenn du hier fertig bist, Crawf, kannst du dann in mein Büro kommen?« fragte Insen. »Les und ich möchten mit dir einige andere Pläne besprechen.«
Havelock mischte sich ein. »Mir wäre es am liebsten, wenn Mr. Sloane möglichst in seinem Büro und nahe am Telefon bleiben würde.«
»Keine Sorge«, versicherte ihm Sloane.
Leslie Chippingham hatte bereits mit Rita Abrams in Minnesota telefoniert und ihr mitgeteilt, daß aus ihrem Liebeswochenende leider nichts würde. Er könne unmöglich mitten in dieser Geschichte New York verlassen, erklärte er ihr. Rita war zwar enttäuscht, aber sie hatte Verständnis. Die Leute im Nachrichtengewerbe waren daran gewöhnt, daß unerwartete Ereignisse ihr Leben, und eben auch ihre heimlichen Affären, durcheinanderbrachten.
»Braucht ihr mich für diese Geschichte?« hatte sie ihn gefragt.
»Wenn wir dich brauchen, erfährst du es früh genug«, hatte er geantwortet.
Es sah so aus, als wollte Havelock, der Crawford Sloane nicht mehr von der Seite ging, ihm auch zu der Besprechung in Insens Büro folgen. Aber Insen stellte sich ihm in den Weg.
»Wir haben hier einige vertrauliche Angelegenheiten zu besprechen. Sie bekommen Mr. Sloane wieder, sobald wir fertig sind. Aber wenn es irgend etwas Dringendes gibt, dürfen Sie natürlich jederzeit hereinplatzen.«
»Wenn es Ihnen nichts ausmacht«, entgegnete Have lock, »dann platze ich jetzt gleich herein und sehe mir mal das Zimmer an.« Er schob sich entschlossen an Insen vorbei und sah sich um.
Hinter Insens Tisch gab es zwei Türen. Havelock öffnete beide. Hinter der ersten befand sich nur ein Wandschrank. Er sah kurz hinein und schloß ihn wieder. Die zweite führte in eine Toilette. Der FBI-Mann ging hinein, sah sich um und kam dann wieder heraus.
»Wollte nur sichergehen«, sagte er zu Insen, »daß es hier keinen zweiten Ausgang gibt.«
»Das hätte ich Ihnen gleich sagen können«, erwiderte Insen.
Havelock zeigte ein dünnes Lächeln. »Einige Dinge überprüfe ich am liebsten selbst.« Dann verließ er das Büro und setzte sich vor der Tür auf einen Stuhl.
Während Havelocks Inspektion hatte Leslie Chippingham abwartend in Insens Büro gesessen. Als sich nun Sloane und Insen zu ihm gesellten, sagte er: »Chuck, erzähl es Crawf.«
»Die Sache ist die«, begann Insen, »wir trauen den staatlichen Stellen nicht zu, daß sie die Situation in den Griff bekommen. Wir wollen dich nicht deprimieren, Crawf, aber wir alle wissen doch noch, wie lange das FBI brauchte, um Patricia Hearst zu finden - über eineinhalb Jahre. Aber da ist noch etwas anderes.«
Insen wühlte in den Papieren auf seinem Schreibtisch und zog ein Buch hervor, dessen Verfasser vor ihm saß. Insen schlug eine mit einem Einleger markierte Seite auf.
»Crawf, du schreibst in Die Kamera und die Wahrheit: >Wir, in den Vereinigten Staaten, müssen in nächster Zukunft mit Terrorismus in unserem eigenen Hinterhof rechnen. Doch sind wir weder gedanklich noch in irgendeiner Weise auf diese skrupellose, allgegenwärtige Art der Kriegsführung vorbereitete.« Insen klappte das Buch wieder zu. »Les und ich stimmen dir voll und ganz zu.«
Es folgte ein Schweigen. In dieser Form an seine eigenen Worte erinnert zu werden, überraschte und erschreckte Sloane. Er begann sich insgeheim zu fragen, ob hinter der Entführung von Jessica, Nicky und seinem Vater möglicherweise ein terroristisches Motiv steckte. Oder war der Gedanke zu absurd, um ihn überhaupt in Erwägung zu ziehen? Offensichtlich nicht, denn noch zwei andere erfahrene Journalisten dachten in dieser Richtung.
Schließlich sagte er: »Glaubt ihr wirklich, daß Terroristen...« »Es ist immerhin möglich, oder?« erwiderte Insen.
»Ja.« Sloane nickte bedächtig. »Ich habe mir das auch schon überlegt.«
»Vergiß aber nicht«, warf Chippingham ein, »daß wir im Augenblick auch nicht die leiseste Ahnung haben, wer die Leute sind, die deine Familie entführt haben, oder was sie wollen. Es könnte auch nur eine gewöhnliche Entführung mit anschließender Lösegeldforderung sein, und bei Gott, das wäre schlimm genug. Aber wegen dir und deiner besonderen Stellung denken wir eben auch über andere, entferntere Möglichkeiten nach.«
Insen nahm den Faden von zuvor wieder auf. »Wir haben bereits vom FBI gesprochen. Und wie gesagt, wir wollen dir nicht alle Hoffnung nehmen, aber wenn Jessica und die anderen außer Landes gebracht werden, was ja immerhin möglich ist, dann hat die Regierung, fürchte ich, keine andere Wahl, als auf die CIA zurückzugreifen. Na, und in all den Jahren, die amerikanische Bürger nun schon in Gefangenschaft im Libanon verbringen, hat es die CIA, trotz ihrer Macht und ihrer Möglichkeiten, trotz Spionagesatelliten, Aufklärung und Infiltration, nie geschafft heraus zufinden, wo ein zusammengewürfeltes Pack verwilderter Terroristen sie versteckt hält. Und das in einem Land, das kaum größer ist als Delaware. Da kann man wohl kaum annehmen, daß ebendiese CIA in einem anderen Land mehr Erfolg haben wird.«
Der Präsident der Nachrichtenabteilung war es, der nun eine Lösung aufzeigte.
»Das haben wir gemeint«, begann Chippingham, »als wir sagten, wir hätten kein Vertrauen in die staatlichen Stellen. Aber wir sind der Ansicht, daß wir selbst - eine große Nachrichtenorganisation mit viel Erfahrung in journalistischer Ermittlungsarbeit - durchaus Chancen haben, deine Familie aufzuspüren.«
Zum ersten Mal an diesem Tag faßte Sloane wieder Mut.
Chippingham fuhr fort. »Wir haben also beschlossen, eine CBA-interne Spezialeinheit aufzustellen, die unabhängige Ermittlungen anstellen soll. Sie wird zunächst nur in den Staaten operieren, dann aber, wenn es nötig wird, auch weltweit. Wir werden alle unsere Möglichkeiten ausschöpfen und Ermittlungstechniken benutzen, die sich in der Vergangenheit bereits bewährt haben. Was die Leute angeht, da nehmen wir die besten, die wir haben. Und zwar von diesem Augenblick an.«