Rita Abrams sprach von einer Telefonzelle in der Abfertigungshalle mit dem CBA-Büro in Dallas. Sie hatte erfahren, daß der Bürochef bereits von dem Unfall wußte und versucht hatte, ein lokales CBA-Team zum Schauplatz zu schicken. Er war hoch erfreut, als er von der Anwesenheit Ritas und der anderen erfuhr.
Sie sagte ihm, er solle New York informieren, und fragte dann: »Wie sieht's mit Übertragungsmöglichkeiten via Satellit aus?«
»Gut. Ein Übertragungswagen ist bereits von Arlington aus unterwegs.«
Arlington, erfuhr sie nun, war nur dreizehn Meilen entfernt. Der Wagen, der KDLS-TV, einer Tochtergesellschaft von CBA gehörte, war für eine Sportübertragung aus dem Stadion von Arlington bereitgestellt worden, doch nun ließ man diesen Bericht fallen und schickte den Wagen nach DFW. Fahrer und Techniker würden über Autotelefon von ihrem neuen Auftrag erfahren.
Die Nachricht versetzte sie in freudige Erregung. Jetzt bestand doch noch eine gute Chance, rechtzeitig zur Erstausgabe einen Bildbericht nach New York schicken zu können.
Der Kombi mit dem CBA-Trio und dem Mann von der Times näherte sich der Landebahn 17L. Die Zahl bedeutete eine Polabweichung von 170 Grad, die Bahn verlief also fast genau in südlicher Richtung; das L bedeutete, daß es sich um die linke der beiden Rollbahnen handelte. Wie auf allen Flughäfen war die Bezeichnung in großen weißen Buchstaben auf den Asphalt gemalt.
Während sie mit unverminderter Geschwindigkeit weiterfuhren, erläuterte Vernon: »Ein Pilot in Not darf sich seine Landebahn selbst aussuchen. Bei uns ist es meistens die 17L. Die ist fast siebzig Meter breit und von den Rettungsdiensten am schnellsten zu erreichen.«
Der Kombi hielt auf einer Rollbahn an, die die 17L kreuzte. Von dort aus würde der Anflug und die Landung des Airbus gut zu beobachten sein.
»Das hier wird der Kommandostand vor Ort«, erklärte Vernon.
Noch immer trafen Rettungsfahrzeuge ein, einige stellten sich in der Nähe des Kombis in Position. Die Flughafenfeuerwehr hatte sieben Lastzüge abgestellt, vier riesige Oshkosh M15 Schaumlöschzüge, einen Drehleiterwagen und zwei kleinere Spezialfahrzeuge für schnelle Eingreifkommandos, sogenannte RIVs. Die Schaumlöschzüge mit ihren riesigen, fast zwei Meter hohen Reifen, den zwei Motoren, je einer vorne und einer hinten, und den Hochdruckspritzen waren praktisch selbständige Brandbekämpfungseinheiten. Die schnellen und wendigen RIVs waren für den Ersteinsatz in allernächster Nähe des brennenden Flugzeugs gedacht.
Polizisten sprangen aus ihren blauweißen Limousinen, holten silberfarbene Schutzanzüge aus den Kofferräumen und zogen sie an. Die Flughafenpolizei sei auch für die Brandbekämpfung ausgebildet, erklärte Vernon. Aus dem Funkgerät des Kombis drang ein Wirrwarr von Befehlen.
Die Löschzüge, die von einem Lieutenant in einer gelben Limousine dirigiert wurden, postierten sich nun in Abständen am Rand der Landebahn. Von allen umliegenden Gemeinden zusammengerufene Krankenwagen strömten auf das Flughafengelände und bezogen etwas abseits der Landebahn Stellung.
Partridge war als erster aus dem Auto gesprungen, er stand jetzt daneben und machte sich Notizen. Broderick, der es nicht ganz so eilig hatte, folgte ihm. Minh Van Canh war auf das Dach des Kombis geklettert und suchte, die schußbereite Kamera auf der Schulter, den Himmel ab. Hinter ihm stand Ken O'Hara mit seinem Aufnahmegerät, Drähte hinter sich herziehend.
Und plötzlich tauchte das havarierte Flugzeug in etwa fünf Meilen Entfernung am Horizont auf, dichter, schwarzer Rauch quoll aus seinem Heck. Minh hob die Kamera, richtete sie aus und drückte sich den Sucher fest ans Auge.
Er war eine kräftige, stämmige Gestalt, nur etwas über einsfünfzig groß, aber mit breiten Schultern und langen, muskulösen Armen. Aus seinem kantigen, dunklen, pockennarbigen Gesicht sahen große, braune Augen mit Gleichmut auf die Welt, sie verrieten nichts von dem, was hinter ihnen liegen mochte. Leute, die Minh nahestanden, behaupteten, es habe lange gedauert, bis sie ihn näher kennenlernten.
Aber in einigen Dingen herrschte Übereinstimmung, nämlich daß er fleißig, verläßlich und ehrlich war und einer der besten Kameramänner im Gewerbe. Seine Filme waren mehr als gut; sie erregten immer große Aufmerksamkeit und waren häufig von hohem künstlerischen Wert. Seine Arbeit für CBA hatte er in Vietnam begonnen - als Einheimischer, der sein Handwerk von einem amerikanischen Kameramann lernte, für den er die Ausrüstung durch den heiß umkämpften Dschungel schleppte. Als sein Lehrer auf eine Mine trat und von ihr getötet wurde, trug Minh die Leiche ins Lager und kehrte dann mit der Kamera in den Dschungel zurück, um weiterzufilmen. Keiner bei CBA konnte sich daran erinnern, ihn je offiziell eingestellt zu haben. Sein Engagement wurde einfach zu einem fait accompli.
Im Jahr 1975, kurz vor dem Fall Saigons, waren Minh, seine Frau und seine zwei Kinder unter den wenigen Glücklichen, die vom Hof der Amerikanischen Botschaft in CH-53 Militärhubschraubern an Bord der Siebten Amerikanischen Flotte auf hoher See in Sicherheit gebracht wurden. Selbst da filmte er noch die ganze Aktion, und ein Großteil seines Materials wurde in den National Evening News verwendet.
Nun war es wieder eine Fliegergeschichte, ein ganz andere zwar, aber eine ebenso dramatische und eine, deren Ausgang noch ungewiß war.
Im Sucher wurden die Umrisse des näher kommenden Airbus' langsam deutlich. Klarer erkennbar war nun aber auch der helle Flammenkranz auf der rechten Seite mit der dichten Rauchwolke dahinter. Die Flammen schlugen aus der Stelle, wo das Triebwerk abgerissen und jetzt nur noch Teile der Halterung zu erkennen waren. Minh und die anderen Augenzeugen waren erstaunt, daß das Feuer noch nicht das ganze Flugzeug erfaßt hatte.
Vernon im Inneren des Kombi hatte inzwischen auf die Funkfrequenz des Luftverkehrs umgeschaltet. Man hörte, wie die Bodenkontrolle mit dem Airbuspiloten sprach. Der Fluglotse, der den Anflug auf dem Radarschirm überwachte, warnte mit ruhiger Stimme: »Sie sind leicht unterhalb des Gleitwegs... weichen nach links von der Mittellinie ab... Jetzt wieder auf dem Gleitweg, auf der Mittellinie...«
Aber die Airbuspiloten hatten offensichtlich Schwierigkeiten, Höhe und Kurs zu halten. Das Flugzeug schien seitwärts hereinzuschweben, den beschädigten rechten Flügel höher gestellt als den linken. Manchmal brach die Nase der Maschine aus, um sich dann, wie nach einer verzweifelten Anstrengung der Piloten im Cockpit, wieder auszurichten. Es war ein unruhiges Auf und Ab, weil das Flugzeug immer wieder absackte und dann nur mühsam wieder an Höhe gewann. Am Boden stellten sich alle dieselbe unausgesprochene bange Frage: Würde der Airbus, nachdem er nun so lange durchgehalten hatte, auch noch den Rest der Strecke schaffen? Die Antwort wußte niemand.
Aus dem Funkgerät kam die Stimme von einem der Piloten. »Tower, wir haben Probleme mit dem Fahrwerk... die Hydraulik ist ausgefallen.« Eine Pause. »Wir versuchen, das Gestell im freien Fall< auszufahren... jetzt.« Ein Feuerwehrhauptmann, der es ebenfalls gehört hatte, war stehengeblieben. Partridge fragte ihn: »Was heißt das?«
»Bei Passagiermaschinen gibt es ein Notsystem, um das Fahrgestell auszufahren, wenn die Hydraulik ausfällt. Die Piloten lassen den gesamten Druck aus der Hydraulik ab, damit das Fahrgestell, das sehr schwer ist, von seinem eigenen Gewicht heruntergezogen wird und dann einrastet. Aber wenn es erst mal unten ist, bringen sie es nicht mehr hoch, auch wenn sie wollten.«
Während der Erläuterung des Feuerwehrmanns war zu sehen, wie das Fahrwerk des Airbus sich langsam senkte.
Augenblicke später kam die ruhige Stimme eines Fluglotsen: »Muskegon, das Fahrgestell ist raus. Aber Achtung: Die Flammen kommen dem vorderen rechten Reifensatz sehr nahe.«
Würden diese Reifen vom Feuer erfaßt, so bestand die Gefahr, daß das Gestell beim Aufsetzen einknickte und das Flugzeug mit hoher Geschwindigkeit nach rechts ausbrach.