Der Chefproduzent, der diese Operationen am häufigsten leitete, war Will Kazazis, ein in Brooklyn geborener Sohn griechischer Eltern, deren hitziges Temperament er geerbt hatte. Doch diese Erregbarkeit schien genau zu seiner Arbeit zu passen, denn er verlor trotz allem nie die Kontrolle. So war es Kazazis, der Ritas Satellitenüberspielung aus Dallas empfing, zuerst Minh Van Canhs »Schnellschuß« und dann Harry Partridges Tonspur und seine Absage.
Es war 18 Uhr 48... noch zehn Minuten Sendezeit. Die Werbung hatte eben begonnen.
Dem Cutter, der die Überspielung aufgefangen hatte, rief Kazazis zu: »Klatsch das Zeug zusammen, schnell. Nimm Partridge komplett. Und leg die besten Bilder drüber. Du weißt schon, wie. Aber Tempo, Tempo!«
Über einen Assistenten hatte Kazazis das Hufeisen bereits informiert, daß der Bericht aus Dallas hereinkam. Nun wollte Chuck Insen, der im Sendekontrollraum saß, wissen: »Wie ist er?«
»Fantastisch! Wunderbar!« antwortete Kazazis. »Genau das, was man von Harry und Minh erwartet.«
Da Insen wußte, daß er keine Zeit hatte, sich das Band selber anzusehen, und er Kazazis vertraute, sagte er einfach: »Wir bringen es nach diesem Werbespot. Haltet euch bereit.«
Dem Cutter, der trotz seines klimatisierten Arbeitsplatzes schwitzte, blieb weniger als eine Minute, um die Bilder zu schneiden und mit Kommentar und Umweltgeräuschen zu unterlegen.
Insens Befehl ging auch an den Moderator und einen Texter, der neben ihm saß. Die Einleitung war bereits fertig, und der Texter gab das einzelne Blatt nun an Crawford Sloane weiter, der es kurz überflog, schnell ein paar Worte änderte und dem Texter dankbar zunickte. Einen Augenblick später war die Einführung zum ursprünglich geplanten Beitrag vom Teleprompter verschwunden und der Dallas-Text erschien auf dem Monitor. Der Sendeleiter im Studio zählte die Sekunden bis zum Ende der Werbung: »Zehn... fünf... vier... zwei...«
Auf ein Handzeichen begann Sloane mit ernster Miene: »Am Anfang dieser Sendung berichteten wir über eine Kollision zwischen einem Airbus der Muskegon Airlines und einer Privatmaschine im Luftraum über Dallas. Das Privatflugzeug stürzte ab. Es gibt keine Überlebenden. Dem brennenden Airbus gelang vor wenigen Minuten eine Notlandung auf dem Flughafen Dallas-Fort Worth. Die Zahl der Opfer ist allerdings hoch. CBA News-Korrespondent Harry Partridge war Augenzeuge der Katastrophe. Eben erreichte uns sein Bericht.«
Erst wenige Sekunden zuvor war der Film im Einzollband-Raum fertiggestellt worden. Nun flimmerten über die Monitore im ganzen Haus und über Millionen von Bildschirmen im Osten und Mittelwesten der Vereinigten Staaten sowie in den Grenzbezirken Kanadas die dramatischen Bilder von der Landung des brennenden Airbus, während Partridges Stimme begann: »Die Piloten eines längst vergangenen Krieges nannten es Landung mit einem Flügel und einem Gebet<...«
So hatte es der Exklusivbericht aus Dallas doch noch in die Erstausgabe der National Evening News geschafft.
Die Zweitausgabe der Abendnachrichten schloß sich immer direkt an die erste an. Sie wurde im Osten sowie in großen Teilen des Mittelwestens von Tochterstationen, die die erste nicht übernahmen, gesendet und im Westen von den meisten Stationen für eine spätere Ausstrahlung aufgezeichnet.
Partridges Bericht aus Dallas würde natürlich den Schwerpunkt der Zweitausgabe bilden. Während die Sender der Konkurrenz für ihre Zweitausgaben inzwischen aller Wahrscheinlichkeit nach Bilder von den Ereignissen nach der Notlandung hatten, blieben die Liveaufnahmen von CBA weltweit exklusiv und sollten in den folgenden Tagen noch oft wiederholt werden.
Zwischen der Erstausgabe und der zweiten lag eine zweiminütige Pause und Crawford Sloane nutzte sie, um mit Chuck Insen zu telefonieren.
»Hör zu«, sagte Sloane. »Ich glaube, wir sollten die SaudiStory wieder mit hineinnehmen.«
»Ich weiß, daß du ausgezeichnete Beziehungen hast«, erwiderte Insen sarkastisch. »Kannst du vielleicht fünf Minuten mehr Sendezeit herausschlagen?«
»Ich meine das ernst. Der Bericht ist wichtig.«
»Und stinklangweilig. Ich sage nein.«
»Und was ist, wenn ich ja sage?«
»Darüber werden wir uns morgen unterhalten. Aber inzwischen sitze ich hier mit gewissen Verantwortlichkeiten.«
»Dazu sollte aber auch ein vernünftiges Urteilsvermögen über Auslandsnachrichten gehören.«
»Jeder von uns hat seinen Job«, sagte Insen, »und bei deinem wird langsam die Zeit knapp. Ach übrigens, die Art, wie du die Dallas-Sache gebracht hast - mein Kompliment.«
Ohne zu antworten, legte Sloane auf. Dann fiel ihm noch etwas ein, und er sagte zu dem Texter neben sich: »Jemand soll mir Harry Partridge in Dallas ans Telefon holen. Ich möchte während der ersten Pause mit ihm reden. Ich will ihm und den anderen gratulieren.«
»Fünfzehn Sekunden«, rief der Sendeleiter.
Ja, dachte Sloane, es würde morgen wirklich zu einer Diskussion zwischen ihm und Insen kommen oder, besser gesagt, zu einer Kraftprobe. Vielleicht sollte man Insen klarmachen, daß er seine Schuldigkeit getan hatte und daß es Zeit für ihn war zu gehen.
Mit ernstem, verkniffenen Gesicht kehrte Chuck Insen nach dem Ende der Zweitausgabe in sein Büro zurück, um sich noch ein paar Zeitschriften zu holen, die er später zu Hause lesen wollte.
Lesen, lesen, lesen, um in allen Bereichen informiert zu sein, das war die Last eines Chefproduzenten der Nachrichtenredaktion. Zu jeder Zeit und an jedem Ort fühlte er sich verpflichtet, nach einer Zeitung, einer Zeitschrift, einem Buch und selbst nach den obskursten Publikationen zu greifen, so wie andere nach einer Tasse Kaffee, einem Taschentuch, einer Zigarette griffen. Oft wachte er mitten in der Nacht auf und las oder hörte die Auslandsnachrichten der Kurzwellensender. Zu Hause hatte er über seinen Personal Computer Zugang zu allen wichtigen Presseagenturen, und jeden Morgen um fünf rief er sie alle ab. Bei der Fahrt zur Arbeit hörte er die Radionachrichten - gewöhnlich die von CBS, weil er die, wie die meisten Nachrichtenprofis, für die besten hielt.
Dieses Wissen um die Bandbreite der möglichen Ingredienzen und um die Themen, die das normale Publikum interessierten, war es seiner Meinung nach, was sein Urteilsvermögen in bezug auf Nachrichten dem Crawford Sloanes überlegen machte, der zu oft in elitären Begriffen dachte.
Insen hatte seine eigene Philosophie hinsichtlich der Millionen, die jeden Abend die National Evening News sahen. Was die meisten Leute wollten, so glaubte er, waren Antworten auf drei grundlegende Fragen: Ist die Welt sicher? Ist mein Zuhause und meine Familie sicher? Ist heute etwas Interessantes passiert? Und Insen war es vor allem daran gelegen, daß die allabendlichen Nachrichten diese Antworten lieferten.
Er hatte inzwischen mehr als genug von der besserwisserischen, moralinsauren Einstellung des Chefsprechers zur Auswahl der Nachrichten, und deshalb würde es morgen auch zu einer knallharten Auseinandersetzung zwischen den beiden kommen, in der er, Insen, Sloane offen sagen wollte, was er dachte, ohne an die Konsequenzen zu denken.
Zu welchen Konsequenzen konnte es überhaupt kommen? In der Vergangenheit hatte bei einem Streit zwischen dem Nachrichtensprecher und dem Chefproduzenten einer Sendeanstalt immer der Sprecher gewonnen, und der Produzent mußte sich nach einer neuen Arbeit umsehen. Doch inzwischen hatte sich vieles verändert. Es herrschte ein anderes Klima in den Sendeanstalten, und es war durchaus möglich, daß jetzt einmal der Produzent blieb und der Sprecher gehen mußte. Schließlich gibt es für alles ein erstes Mal.
Mit dieser Möglichkeit im Hinterkopf hatte Insen vor einigen Tagen am Telefon ein streng vertrauliches Sondierungsgespräch mit Harry Partridge geführt. Ob Partridge, wollte der Chefproduzent wissen, Interesse habe, aus der Kälte der großen Welt zurückzukommen, um sich in New York niederzulassen und Chefsprecher der National Evening News zu werden? Harry könne in dieser Position Autorität ausstrahlen und sei außerdem genau der richtige Mann dafür - wie er als Urlaubsvertreter für Sloane schon oft genug bewiesen habe.