Brion lag auf dem Rücken in der Sonne und schwitzte. Also war er wenigstens noch am Leben. Aber was war mit ihm? Sie versuchte sich an die Dinge zu erinnern, die sie auf der Universität gelernt hatte, fand aber keine Erklärung für dieses Phänomen. Jeder Quadratzentimeter seines Körpers war mit dicken Schweißperlen bedeckt, die aus einer öligen Flüssigkeit bestanden. Seine Brust hob und senkte sich rasch, als er keuchend nach Atem rang. Lea beobachtete ihn fassungslos und fragte sich nur, ob sie verrückt werden würde, bevor das Ende kam.
Brions Körper wurde von einem heftigen Hustenanfall geschüttelt. Nun atmete er wieder leichter, obwohl der Schweiß noch immer aus allen Poren trat. Sekunden später bewegte er sich, rollte sich auf die Seite und sah zu Lea hinüber. Er lächelte.
»Tut mir leid, wenn ich Sie eben erschreckt habe. Ich war selbst völlig überrascht davon, deshalb hat es mir einen solchen Schlag versetzt. Ich werde Ihnen einen Schluck Wasser bringen — wir haben noch etwas übrig.«
»Was war denn mit Ihnen los? Als Sie plötzlich umfielen, dachte ich…«
»Einen Schluck, aber nicht mehr«, sagte er und hielt ihr die Wasserflasche an den Mund. »Nur die Umstellung auf den Sommer, sonst nichts. Auf Anvhar ist das jedes Jahr so — allerdings nicht so heftig. Im Winter setzen unsere Körper Fett an, um sich vor der Kälte zu schützen. Sobald die heiße Jahreszeit kommt, läuft dieser Prozeß in umgekehrter Richtung ab, und das Fett wird einfach ausgeschwitzt. Die hier herrschende Hitze muß diesen Vorgang beschleunigt haben.«
»Sie meinen — Sie haben sich also an diesen schrecklichen Planeten angepaßt?«
»Beinahe. Allerdings ist mir ein bißchen warm. Ich brauche bald eine Menge Wasser, deshalb können wir nicht hierbleiben. Glauben Sie, daß Sie die Sonne aushalten können, wenn ich Sie trage?«
»Nein, aber hier fühle ich mich auch nicht besser.« Lea zuckte erschöpft mit den Schultern. »Tun Sie, was Sie für richtig halten.«
Brion hob sie auf und setzte seinen Weg fort. Schon nach wenigen Metern im vollen Sonnenlicht wurde Lea wieder ohnmächtig. Er stolperte weiter und spürte dabei, daß er bald am Ende seiner Kräfte angelangt sein würde. Er kam immer langsamer voran, denn jetzt erschien ihm eine Düne höher als die andere. Riesige Felsbrocken versperrten ihm den Weg und mußten mühsam umgangen werden. Unterhalb eines dieser Felsen sah Brion einige Pflanzen stehen. Er wollte schon vorbeigehen, blieb aber doch nachdenklich stehen. Was war ihm an den Pflanzen aufgefallen? Sie waren irgendwie anders. Diese Pflanzen hier unterschieden sich von allen anderen, die er im Laufe des Tages gesehen hatte.
Er mußte sich überwinden, bevor er schließlich doch die wenigen Schritte zurückging. Dann sah er hilflos auf die Pflanzen hinunter. Richtig, sie waren anders — einige von ihnen waren dicht über dem Sand abgeschnitten worden. Nicht auf natürliche Weise abgebrochen, sondern offensichtlich mit einem Messer vom Stiel getrennt. Die Schnittstellen waren längst vertrocknet, aber trotzdem faßte Brion wieder etwas Hoffnung. Dies war das erste Anzeichen dafür, daß auf diesem Planeten wirklich Menschen außerhalb der Städte lebten. Und zu welchem Zweck diese Pflanzen auch abgeschnitten worden waren, sie konnten sich jedenfalls als nützlich erweisen. Essen — vielleicht sogar Trinken. Brions Hände zitterten, als er Lea in den Schatten eines Felsens gleiten ließ. Sie bewegte sich nicht.
Sein Messer war scharf, aber seine Hände hatten kaum noch Kraft. Er keuchte vor Anstrengung, als er einen Stengel durchtrennte. Von der Schnittstelle tropfte eine weißliche Flüssigkeit zu Boden. Brion hielt seine Hand darunter und wartete, bis sie sich mit dem Pflanzensaft gefüllt hatte.
Die Flüssigkeit war nicht so warm, wie er es erwartet hätte.
Bestimmt bestand sie zum größten Teil aus Wasser. Aber Brion zögerte trotzdem einen Augenblick, als er die Hand an die Lippen hob, und versuchte den Saft zuerst einmal mit der Zungenspitze.
Nichts — aber dann folgte ein stechender Schmerz, der seine Kehle lähmte. Brion sank in die Knie und preßte beide Hände gegen den Magen. Er übergab sich und verlor dabei eine beträchtliche Menge lebensnotwendiger Körperflüssigkeit.
Die Verzweiflung war schlimmer als die Schmerzen. Der Pflanzensaft mußte sich irgendwie verwenden lassen; es mußte eine Methode geben, nach der er sich entgiften oder neutralisieren ließ. Aber Brion, der auf diesem Planeten fremd war, würde längst tot sein, bevor er dieses Verfahren entdeckt hatte.
Er versuchte nicht daran zu denken, wie nahe ihm dieses Ende bereits bevorstand. Lea schien plötzlich doppelt so schwer wie zuvor, und einen Augenblick lang überlegte er, ob er sie nicht zurücklassen solle. Aber gleichzeitig hob er sie auf und schleppte sich weiter. Langsam näherte er sich dem höchsten Punkt der Düne. Endlich hatte er ihn erreicht und sah den Disaner wenige Schritte von sich entfernt stehen.
Sie waren durch dieses plötzliche Zusammentreffen beide zu überrascht, um sofort zu reagieren. Einige Sekunden lang starrten sie sich unbeweglich an. Als sie dann doch reagierten, bewiesen sie beide ihre Angst. Brion ließ Lea fallen und riß seine Pistole aus dem Halfter. Der Disaner zog eine kurze Röhre aus dem Gürtel und setzte sie an den Mund.
Brion schoß nicht. Sein toter Freund hatte ihn gelehrt, wie er seine außergewöhnliche Begabung anzuwenden hatte. Trotz der Angst, aus der heraus er am liebsten geschossen hätte, registrierte er die Gefühlsregungen des Disaners. Er spürte Angst und Haß. Aber auch ein starkes Bedürfnis, diesmal nicht zum Angriff überzugehen, sondern zu einer Verständigung zu gelangen. Brion erkannte, daß er schnell handeln mußte, um eine nachteilige Entwicklung aufzuhalten. Er ließ seine Pistole fallen.
Im selben Augenblick bereute er es. Er hatte Leas und sein Leben aufs Spiel gesetzt, obwohl er sich seiner Fähigkeit noch nicht völlig sicher war. Der Disaner hielt die Röhre noch immer an den Mund. Dann steckte er sie langsam in den Gürtel zurück.
»Hast du etwas Wasser für uns?« fragte Brion.
»Ich habe Wasser«, antwortete der Mann. Er hatte sich noch immer nicht bewegt. »Wer seid ihr? Was tut ihr hier?«
»Wir kommen von einem anderen Planeten. Wir haben… einen Unfall gehabt. Wir müssen in die Stadt. Das Wasser.«
Der Disaner warf einen Blick auf die bewußtlose Lea und faßte einen Entschluß. Über der linken Schulter trug er eine Art grüne Ranke, die Brion von dem Bild her wiedererkannte. Er nahm das Ding herunter — es bewegte sich in seinen Händen. An einem Ende war eine Öffnung zu erkennen, die wie ein Blütenkelch geformt war. Der Disaner hielt sie Brion entgegen. »Hier, daran kannst du trinken. Du mußt sie an den Mund halten«, erklärte er.
Lea brauchte das Wasser dringender, aber Brion wollte diese lebende Wasserquelle zunächst selbst versuchen. Er hob sie an den Mund und trank. Die Flüssigkeit schmeckte heiß und abgestanden. Brion spürte einen scharfen Schmerz um den Mund herum und riß das Ding von sich fort. Winzige Stacheln standen aus dem Blütenkelch hervor und waren nun von seinem Blut rot gefärbt. Brion wandte sich ärgerlich zu dem Disaner um — und schwieg, als er einen Blick auf das Gesicht des Mannes geworfen hatte. Der Mund des anderen war von kleinen weißen Narben umgeben.
»Die Vaede gibt ihr Wasser nicht gern her, aber sie tut es trotzdem immer«, sagte der Mann.