Brion trank nochmals und hielt die Vaede dann an Leas Mund. Ihre Lippen bewegten sich, als sie langsam trank. Als sie genug getrunken hatte, zog Brion vorsichtig die Stacheln heraus und trank selbst noch einmal. Der Disaner hatte sich niedergekauert und beobachtete sie ausdruckslos. Brion gab die Vaede zurück und kauerte sich ebenfalls nieder, um den anderen besser sehen zu können.
Der Disaner schien sich in der Sonnenhitze durchaus wohl zu fühlen. Auf seiner dunkelbraunen Haut zeigte sich nicht ein einziger Schweißtropfen. Er hatte lange schwarze Haare und leuchtend blaue Augen, die tief in den Höhlen lagen. Seine Bekleidung bestand nur aus einem Stück Tuch, das er um die Hüften gewickelt trug. An seinem Gürtel baumelten einige der Gegenstände, die Brion schon früher auf dem Bild gesehen hatte. Wenn man annahm, daß sie einen bestimmten Zweck erfüllten — also nicht nur zur Dekoration dienten -, dann mußte man ihren Besitzer nicht mehr als Wilden, sondern als halbwegs zivilisiert ansehen.
»Ich heiße Brion. Und du…«
»Du brauchst meinen Namen nicht zu wissen. Warum seid ihr hier? Um mein Volk zu vernichten?«
Brion verdrängte alle Gedanken an die vergangene Nacht, in der er tatsächlich Disaner getötet hatte. Der andere schien eine unbestimmte Hoffnung zu nähren, die Brion unterstützen mußte, indem er offen sprach.
»Ich bin hier, um dafür zu sorgen, daß dein Volk nicht vernichtet wird. Ich will den Krieg verhindern.«
»Kannst du das beweisen?«
»Ja, wenn du mich in die Stadt zu der Gesellschaft für kulturelle Beziehungen bringst. Hier in der Wüste kann ich nichts tun. Nur sterben.«
Zum erstenmal veränderte sich der starre Gesichtsausdruck des Disaners. Der Mann murmelte etwas vor sich hin und runzelte dabei die Stirn. Über seinen Augenbrauen erschienen plötzlich Schweißperlen, als er mit sich selbst kämpfte. Dann hatte er seine Entscheidung getroffen und stand auf. Brion erhob sich ebenfalls.
»Komm mit. Ich bringe euch nach Hovedstad. Aber zuvor möchte ich etwas wissen — kommt ihr von Nyjord?«
»Nein.«
Der namenlose Disaner nickte zufrieden und drehte sich um. Brion hob die noch immer bewußtlose Lea vom Boden auf und folgte ihm. Sie marschierten fast zwei Stunden lang, bevor sie wieder eine Ansammlung von größeren Felsen erreichten. Der Eingeborene zeigte auf einen besonders markanten Felsbrocken. »Wartet hier«, sagte er. »Ich werde jemand schicken.« Er sah zu, wie Brion Lea im Schatten des Felsens ablegte, und gab ihm noch einmal die Vaede. Als er schon gehen wollte, drehte er sich nochmals zögernd um.
»Ich heiße Ulv«, sagte er. Dann verschwand er hinter den Felsen.
Brion gab sich größte Mühe, um Lea so gut wie möglich zu versorgen, aber er konnte nicht viel für sie tun. Wenn sie nicht bald in ärztliche Behandlung kam, würde sie sterben. Wassermangel und der Hitzeschock schwächten ihren angegriffenen Körper zusehends.
Kurz vor Sonnenuntergang hörte er das Motorengeräusch eines Sandwagens, der von Westen her näherkam.
8
Das Geräusch wurde mit jeder Sekunde lauter. Die Ketten mahlten quietschend durch den Sand, als der Wagen auf der Suche nach Brion und Lea um die Felsen herumkurvte. Ein großer Transporter hielt in einer Staubwolke vor ihnen. Der Fahrer stieß die Tür von innen auf.
»Los, steigt ein — aber schnell!« rief der Mann. »Sonst wird es hier drinnen zu heiß!« Er ließ ungeduldig den Motor aufjaulen und starrte Brion gereizt an.
Brion überhörte die Aufforderung des Fahrers und legte Lea zunächst vorsichtig auf den Rücksitz des Wagens, bevor er die Tür schloß. Sofort setzte der Sandwagen sich wieder in Bewegung, während ein Strom kühler Luft aus der Klimaanlage blies. Im Innern des Wagens war es nicht wirklich kalt — aber die hier erzeugte Temperatur lag mindestens zwanzig Grad unter der draußen herrschenden. Brion deckte Lea mit allen zur Verfügung stehenden Kleidungsstücken zu, um zu verhindern, daß ihr Körper einem weiteren Schock ausgesetzt wurde. Der Fahrer, der über das Steuerrad gebeugt saß und mit halsbrecherischer Geschwindigkeit dahinraste, hatte kein weiteres Wort mit ihnen gewechselt.
Brion sah auf, als der andere Mann aus dem Motorraum im hinteren Teil des Wagens kam. Der andere war sehr schlank und machte ein sorgenvolles Gesicht. Und er trug eine Pistole in der Hand.
»Wer sind Sie?« fragte er. Seine Stimme klang kalt und abweisend.
Das war ein eigenartiger Empfang, aber Brion kam allmählich zu der Einsicht, daß Dis ein eigenartiger Planet war. Der andere kaute aufgeregt auf seiner Unterlippe herum. Brion ließ sich Zeit mit seiner Antwort und sprach sehr langsam, weil er verhindern wollte, daß der Mann in seiner Erregung den Abzug der Pistole betätigte.
»Ich heiße Brandd. Wir sind vorletzte Nacht in der Wüste gelandet und bis hierher marschiert. Regen Sie sich nicht auf und schießen Sie nicht aus Versehen, wenn ich Ihnen noch etwas erzähle: Vion und Ihjel sind tot.«
Der Mann mit der Pistole riß erschrocken die Augen auf. Der Fahrer warf einen kurzen Blick über die Schulter zurück und konzentrierte sich dann wieder auf den Weg vor sich. Brions Versuch hatte Erfolg gehabt. Selbst wenn diese beiden Männer nicht Angestellte der Gesellschaft für kulturelle Beziehungen waren, wußten sie doch viel darüber. Brion war davon überzeugt, daß er Agenten der G.K.B. vor sich hatte.
»Sie wurden erschossen, während wir zwei mit dem Leben davonkamen. Wir waren auf dem Weg in die Stadt, um mit Ihnen in Verbindung zu treten. Sie gehören zu der Gesellschaft, nicht wahr?«
»Ja. Selbstverständlich«, sagte der Mann und senkte die Pistole. Er starrte einen Augenblick lang zu Boden und riß dann seine Waffe wieder hoch, als sei er über seine Unaufmerksamkeit erschrocken.
»Wenn Sie wirklich Brandd sind, dann möchte ich etwas von Ihnen wissen.« Er griff mit seiner freien Hand in die Brusttasche und holte einen gelben Spruchvordruck heraus. Seine Lippen bewegten sich, als er den Funkspruch noch einmal durchlas. »Beantworten Sie — falls Sie es können — mir folgende Frage…« Er warf erneut einen Blick auf das Blatt. »In welcher Reihenfolge finden die drei letzten Disziplinen in den Spielen statt?«
»Schach, Tontaubenschießen und Florettfechten. Warum fragen Sie das?«
Der Mann nickte zufrieden mit dem Kopf und schob die Pistole in den Halfter. »Ich heiße Faussel«, erklärte er Brion und schwenkte dabei den gelben Vordruck. »Hier ist Ihjels Testament, das uns von einem der Blockadeschiffe übermittelt wurde. Er ahnte, daß er sterben würde, und hatte recht damit. Ihjel hat Ihnen seine Aufgabe übertragen. Sie müssen hier das Kommando übernehmen. Ich war Mervvs Stellvertreter, bis der arme Kerl vergiftet wurde. Ich sollte für Ihjel arbeiten, aber jetzt sind Sie der Chef. Jedenfalls bis morgen, bis wir alles verpackt haben, damit wir von diesem verdammten Planeten wegkommen.«
»Warum haben Sie es denn so fürchterlich eilig?« erkundigte sich Brion. »Schließlich läuft das Ultimatum erst in drei Tagen ab. Bis dahin läßt sich noch eine Menge Arbeit erledigen!«
Faussel, der sich auf einen der Sitze niedergelassen hatte, sprang wieder auf. Um das Gleichgewicht nicht zu verlieren, mußte er sich mit beiden Händen an der Rückenlehne festhalten.
»Drei Tage, drei Wochen, drei Minuten — finden Sie, daß das einen so großen Unterschied macht?« Seine Stimme klang bei jedem Wort schriller, und er mußte sich mühsam beherrschen, bevor er weitersprechen konnte. »Hören Sie. Sie haben keine Ahnung von der ganzen Sache. Sie sind eben erst angekommen, das ist Ihr Pech. Mein Pech ist es, daß ich in dieser Mausefalle bleiben und die dreckigen Eingeborenen beobachten muß. Ich muß ihnen gegenüber höflich bleiben, obwohl sie meine Freunde ermorden, obwohl dort oben die Raumschiffe von Nyjord kreisen. Früher oder später wird einer der Bombenschützen bestimmt nervös, wenn er an die Kobaltbomben denkt, die seine Heimat bedrohen. Und dann kracht es, selbst wenn das Ultimatum noch längst nicht abgelaufen sein sollte.«