»Setzen Sie sich, Faussel. Setzen Sie sich und ruhen Sie sich aus.« Brions Stimme klang freundlich, aber trotzdem bestimmt. Faussel zögerte einen Augenblick, ließ sich dann aber in den Sitz fallen. Er schloß die Augen und murmelte leise vor sich hin. Offensichtlich hatten seine Nerven unter der langen Anspannung gelitten.
Das gesamte G.K.B.-Gebäude schien von einer ähnlichen Atmosphäre erfüllt, als sie es endlich erreichten. Verzweiflung und Untergangsstimmung. Nur der Arzt, der Lea sofort in die Krankenstation bringen ließ, schien von der allgemeinen Hysterie nicht betroffen zu sein. Er hatte wahrscheinlich genug mit seinen Patienten zu tun, als daß er sich noch um andere Dinge kümmern konnte. Alle anderen schienen zutiefst deprimiert zu sein.
Sofort nach dem Essen ging Brion mit Faussel in das Büro, das für Ihjel vorgesehen gewesen war. Auf der anderen Seite der durchsichtigen Trennwand sah er die Angestellten, die Akten in große Transportkisten verpackten. Faussel schien jetzt weniger nervös, nachdem die Verantwortung von seinen Schultern genommen war. Brion nahm sich vor, dem Mann auf keinen Fall zu erzählen, daß dies sein erster Auftrag im Dienst der Gesellschaft war. Er brauchte jedes Quentchen Autorität, denn die anderen würden sich nicht ohne weiteres mit den Maßnahmen abfinden, die er anordnen wollte.
»Faussel, ich möchte Ihnen etwas diktieren, das Sie bitte abschreiben lassen wollen. Ich werde es dann unterzeichnen.« Das geschriebene Wort machte mehr Eindruck. »Sämtliche Vorbereitungen zum Aufbruch sind sofort einzustellen. Die Akten werden an die alten Plätze zurückgestellt. Wir bleiben hier, bis die Nyjorder uns benachrichtigen. Wenn unsere Bemühungen keinen Erfolg haben, verlassen wir Dis gemeinsam. Dabei wird nur persönliches Gepäck mitgenommen; alles andere bleibt hier. Sie alle müssen daran denken, daß wir hier sind, um einen Planeten zu retten — nicht aber Aktenschränke voll Papier.«
Aus dem Augenwinkel heraus sah er Faussel vor Ärger rot werden. »Legen Sie es mir zur Unterschrift vor, wenn es abgeschrieben ist. Und bringen Sie mir alle Berichte über den gegenwärtigen Stand unserer Arbeit. Danke, das wäre im Augenblick alles.«
Faussel stapfte hinaus, und eine Minute später sah Brion die wütenden Gesichter der übrigen Angestellten. Er kehrte ihnen den Rücken zu und öffnete eine Schreibtischschublade nach der anderen. In der obersten fand er einen versiegelten Umschlag. Er war an Sieger Ihjel adressiert.
Brion betrachtete ihn nachdenklich und riß ihn schließlich auf. Der Brief selbst war mit der Hand geschrieben.
Ihjel,
ich habe eben die offizielle Bestätigung erhalten, daß Du bereits unterwegs bist, um mich abzulösen. Ich muß sagen, daß ich mich seitdem ausgesprochen erleichtert fühle. Du hast genügend Erfahrung mit dergleichen Aufgaben und kommst vielleicht besser mit diesen Menschen aus. Ich habe mich seit zwanzig Jahren auf Forschungsaufgaben spezialisiert und bin nur deshalb nach Nyjord geschickt worden, weil ich meine Arbeiten dort am besten fortsetzen konnte. Ich fühle mich in einem Laboratorium wohler als in einem Büro; diese Tatsache kann niemand bestreiten.
Du wirst mit den Angestellten Schwierigkeiten haben, deshalb ist es besser, wenn Du weißt, daß sie alle zwangsverpflichtet sind. Die eine Hälfte hat schon früher bei mir gearbeitet, die andere besteht aus Leuten, die zufällig erreichbar waren, als dieser Auftrag vorbereitet wurde. Niemand konnte damals ahnen, wie rasend schnell sich die Dinge entwickeln würden.
Ich fürchte allerdings, daß wir nichts oder zu wenig getan haben, um diese Entwicklung aufzuhalten. Wir haben keinerlei Kontakt zu den Eingeborenen aufnehmen können. Es ist geradezu erschreckend! Sie passen in kein Schema. Ich habe es mit den Poisson-Distributionen für mindestens ein Dutzend Faktoren versucht, aber keine zwei stimmen miteinander überein. Auch die Pareto-Extrapolationen lassen sich nicht anwenden. Unsere Leute haben einsehen müssen, daß die Eingeborenen nicht mit sich sprechen lassen — zwei sind bei vergeblichen Versuchen ums Leben gekommen. Die herrschende Oberschicht ist unnahbar, die übrigen halten einfach den Mund und gehen wortlos weiter.
Ich will mit Lig-magte zu sprechen versuchen, vielleicht kann ich ihn zur Vernunft bringen. Ich bezweifle allerdings, daß dieser Versuch sehr sinnvoll ist. Vielleicht wird Lig-magte sogar gewalttätig, denn die Angehörigen der Oberklasse neigen sehr dazu. Wenn ich gesund zurückkomme, wirst Du diesen Brief nicht zu sehen bekommen. Wenn nicht — auf Wiedersehen, Ihjel. Ich wünsche Dir viel Glück für Deine Arbeit. Hoffentlich hast Du mehr Erfolg als ich.
P. S. Noch eine Warnung wegen der Angestellten. Sie sind eigentlich als Retter hier, hassen die Disaner aber wie die Pest. Ich fürchte, daß ich von diesem Vorurteil ebenfalls nicht frei bin.
Brion unterstrich die wichtigen Stellen des Briefes. Er mußte unter anderem herausbekommen, was diese Pareto-Extrapolationen waren, ohne dabei seine Unkenntnis zu verraten. Die Angestellten würden innerhalb von fünf Minuten das Weite suchen, wenn sie erfuhren, wie wenig Erfahrung Brion hatte. Mit den Poisson-Distributionen war er schon eher vertraut. Allerdings schienen sie hier nicht anwendbar zu sein, denn auf Dis paßten keine Regeln. Ihjel hatte diese Tatsache zugegeben, und Mervvs Tod bewies sie endgültig. Brion fragte sich, wer dieser Lig-magte sein mochte, der anscheinend Mervv umgebracht hatte.
Erst als jemand sich verlegen räusperte, bemerkte Brion, daß Faussel schon seit einiger Zeit vor seinem Schreibtisch wartete. Brion sah auf und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
»Ihre Klimaanlage scheint nicht richtig zu funktionieren«, meinte Faussel. »Soll ich einen Mechaniker schicken, damit er sie überprüft?«
»Nein, das Gerät ist völlig in Ordnung; ich gewöhne mich nur an das Klima hier. Was wollten Sie noch, Faussel?«
Der andere warf ihm einen ungläubigen Blick zu, während er einige dünne Ordner auf Brions Schreibtisch legte.
»Das sind die Berichte, in denen alle Einzelheiten enthalten sind, die wir bisher über die Disaner zusammengetragen haben. Es ist nicht sehr viel, aber angesichts der schroffen Zurückweisungen, denen wir auf diesem verdammten Planeten ständig ausgesetzt waren, ist es doch nicht so wenig.« Er kniff die Augen zusammen und starrte Brion nachdenklich an. »Ich kann es nicht ändern, aber einige der Leute wundern sich wegen des Eingeborenen, der uns benachrichtigte. Wie haben Sie ihn nur dazu gebracht, daß er Ihnen behilflich war? Wir haben nie viel bei diesen Leuten erreicht, aber Sie finden gleich einen, der für Sie arbeitet. Deswegen sprechen die anderen auch darüber. Schließlich ist es auch ein bißchen seltsam, daß Sie so schnell…« Faussel hielt betroffen inne, als Brion ihn wütend ansah.
»Ich kann nicht verhindern, daß die anderen sich damit beschäftigen — aber ich werde durchsetzen, daß nicht mehr darüber gesprochen wird. Unsere Aufgabe ist es, mit den Disanern in Verbindung zu treten, um diesen selbstmörderischen Krieg zu verhindern. Ich habe in einem Tag mehr erreicht als ihr alle miteinander in den vielen Wochen, die ihr bereits hier seid. Ich habe es geschafft, weil ich meine Arbeit besser als jeder andere hier verstehe. Das ist alles, was ich zu diesem Thema zu sagen habe. Sie dürfen gehen.«
Faussel war vor Ärger weiß, als er sich umdrehte und das Büro verließ, um den anderen zu berichten, daß der neue Direktor ein erbarmungsloser Sklaventreiber wäre. Sie würden Brion aus tiefster Seele hassen — und er war damit durchaus zufrieden. Er durfte nicht riskieren, daß sie auf den Gedanken kamen, dies könne sein erster Auftrag sein. Und vielleicht spornte dieser Haß sie zu besseren Arbeitsleistungen an.