Aber Ulv umklammerte das Handgelenk des anderen und hinderte ihn daran. Keiner der beiden sprach, als sie verbissen miteinander rangen. Brion wich ihnen aus und richtete seine Waffe auf den Unbekannten. Der Disaner starrte ihn wütend an und ließ das Beil fallen, als er erkannte, daß sein Angriff fehlgeschlagen war.
»Warum hast du ihn hergebracht?« fuhr er Ulv an. »Du hättest ihn gleich umbringen sollen!«
»Er ist hier, damit wir uns anhören können, was er zu sagen hat, Gebk. Er ist der Mann, den ich in der Wüste gefunden habe.«
»Gut, wir hören uns an, was er zu sagen hat, und bringen ihn dann um.« Gebk stieß diese Worte mit einem erbarmungslosen Lächeln hervor. Sie waren keineswegs humorvoll gemeint, sondern bitter ernst. Brion erkannte jedoch daraus, daß ihm im Augenblick keine Gefahr drohte. Er steckte die Waffe fort und sah sich in der Höhle um.
Dabei bemerkte er, daß im Hintergrund eine Frau und ein Kind saßen, die sich mit dem Feuer beschäftigten, von dem die Höhle schwach erleuchtet wurde. Die Frau griff nach einer Kelle und füllte drei Tonschalen aus dem Topf, der über der Glut hing. Das Zeug stank entsetzlich, und Brion hätte sich am liebsten die Nase zugehalten, während er es aß. Er gebrauchte seine Finger dazu, wie er es von den anderen sah, und schwieg, während er aß. Er konnte nicht feststellen, ob dieses Schweigen Ritual oder Gewohnheit war. Jedenfalls hatte er auf diese Weise Gelegenheit, sich in aller Ruhe umzusehen.
Die Höhle war offensichtlich nicht auf natürliche Art entstanden, denn überall an den Wänden waren Spuren von Werkzeugen zu sehen. Die Decke war von einem Netz aus dünnen Wurzeln überzogen, die in dem harten Lehm verschwanden. An einer Stelle waren sie zu einem armdicken Strang miteinander verflochten, an dem vier Vaedes hingen, denn auch Ulv hatte seine abgelegt, bevor er sich setzte. Ihre Zähne mußten sofort zugebissen haben, weil sie an dem Flechtwerk hängengeblieben war — ein weiteres Glied in dem Lebenszyklus der Disaner. Dies schien die Wasserquelle der Vaedes zu sein, von denen die Menschen tranken.
Brion bemerkte, daß man ihn ansah, und lächelte das kleine Mädchen an. Sie war bestimmt nicht älter als sechs Jahre, aber trotzdem bereits in jeder Beziehung eine echte Disanerin. Ihr Gesichtsausdruck veränderte sich nicht, als sie Brion anstarrte, ohne sein Lächeln zu erwidern. Er spürte den Haß, der von ihr ausging.
Ulv stellte seine Schale beiseite und rülpste laut. Er wandte sich an Brion. »Ich habe dich in die Stadt gebracht, wie ich es versprochen hatte. Hast du dort getan, was du versprochen hast?«
»Was hat er versprochen?« fragte Gebk.
»Daß er den Krieg verhindern würde? Hast du ihn verhindert?«
»Ich versuche ihn zu verhindern«, sagte Brion. »Aber das ist nicht so einfach. Ich brauche Hilfe dabei. Euer Leben muß geändert werden — von Grund auf. Wenn ihr mir helfen würdet, könnte ich…«
»Soll das die Wahrheit sein?« unterbrach ihn Ulv. »Ich höre immer nur andere Meinungen, aber die Wahrheit bleibt verborgen. Wir haben immer getan, was uns die Magter sagten. Wir bringen ihnen Essen und erhalten dafür Metall und manchmal auch Wasser, wenn wir es brauchen. Wenn wir ihre Befehle ausführen, bringen sie uns nicht um. Vielleicht ist es falsch, daß wir ihnen gehorchen, aber sie geben mir Bronze für meine Werkzeuge. Sie haben uns gesagt, daß sie für uns eine Welt von den Himmelsmenschen erobern wollen, und das ist gut.«
»Wir alle wissen, daß die Himmelsmenschen in jeder Beziehung schlecht und verdorben sind«, warf Gebk ein. »Deshalb ist es nur gut, wenn man sie umbringt.«
Brion starrte die beiden Disaner verblüfft und erschrocken an. »Warum hast du mich dann nicht auch umgebracht, Ulv?« fragte er langsam. »Damals in der Wüste, oder heute, als du Gebk davon abgehalten hast?«
»Ich hätte es tun können. Aber ich wollte eine Frage beantwortet haben. Was ist die Wahrheit? Sollen wir das glauben, was wir immer für wahr gehalten haben? Oder sollten wir dem hier Glauben schenken?«
Er warf Brion ein quadratisches Stück Plastikmaterial zu, das nicht größer als seine Handfläche war. Brion hielt es gegen das Licht und erkannte eine simple Darstellung, die eine Bedienungsanleitung darstellte. Wenn man eine bestimmte Stelle zwischen Daumen und Zeigefinger nahm, wurde genügend Strom erzeugt, um die Aufzeichnung hörbar zu machen. Die übrige Fläche diente als Lautsprecher, indem sie vibrierte.
Obwohl die Stimme dünn und mechanisch klang, waren die Worte deutlich zu verstehen. Es handelte sich dabei um einen Aufruf an die Disaner, den Magter nicht mehr Gehorsam zu leisten. Dann wurde erklärt, daß die Magter einen Krieg begonnen hatten, der nur ein Ende haben konnte — die Zerstörung von Dis. Nur wenn die Magter ausgeschaltet und ihre Waffen entdeckt wurden, bestand noch eine Hoffnung auf Frieden.
»Ist das wahr?« fragte Ulv.
»Ja«, antwortete Brion.
»Vielleicht sind diese Worte wahr«, gab Gebk zu, »aber wir können nichts tun. Ich war mit meinem Bruder zusammen, als diese Wortdinger aus dem Himmel fielen, und er hörte sich eines an und ging damit zu den Magter, um sie danach zu fragen. Sie brachten ihn um, wie er es sich hätte denken können. Die Magter töten uns, wenn sie erfahren, daß wir die Worte hören.«
»Und die Worte sagen uns, daß wir sterben müssen, wenn wir auf die Magter hören!« rief Ulv aus. Auf seinem Gesicht war deutlich die Verwirrung zu erkennen, die er empfand, während er die beiden Gesichtspunkte miteinander in Einklang zu bringen versuchte. Bis vor kurzer Zeit hatte sein Weltbild noch Ähnlichkeit mit einer Schwarz-Weiß-Zeichnung gehabt, in der es keine Zwischentöne gab.
»Es gibt aber einen Weg, wie ihr den Krieg verhindern könnt, ohne euch selbst oder den Magter zu schaden«, sagte Brion, der die beiden Männer unbedingt für sich gewinnen wollte.
»Welchen?« erkundigte sich Ulv.
»Es braucht nicht zu einem Krieg zu kommen, wenn jemand die Magter zur Vernunft bringen könnte. Sie stürzen euch alle ins Unglück. Ihr könntet mir sagen, wie man mit den Magter spricht, wie ich sie verstehen könnte…«
»Niemand kann mit den Magter sprechen«, unterbrach ihn die Frau, die bisher schweigend zugehört hatte. »Wenn man anderer Meinung als sie ist, bringen sie einen um, wie sie Gebks Bruder getötet haben. Deshalb sind sie leicht zu verstehen. So sind sie eben. Sie verändern sich nie.«
»Mor hat recht«, stimmte Ulv zu. »Mit den Magter kann man nicht sprechen. Gibt es sonst noch eine Möglichkeit?«
Brion sah die beiden Eingeborenen nachdenklich an und veränderte seine Haltung leicht. Dabei näherte sich seine rechte Hand unmerklich dem Griff der Waffe. »Die Magter verfügen über Waffen, mit denen sie Nyjord zerstören wollen — das ist der nächste Planet, ein Stern an eurem Himmel. Wenn ich die Bomben finde, werde ich sie fortschaffen lassen, damit es keinen Krieg gibt.«
»Du willst den Teufeln im Himmel gegen unser eigenes Volk beistehen!« rief Gebk empört und wollte aufspringen. Ulv zog ihn zu sich herab, aber auch seine Stimme war kalt und unfreundlich geworden.
»Du verlangst zuviel. Du mußt jetzt gehen.«
»Wollt ihr mir nicht trotzdem helfen? Wollt ihr nicht auch den Krieg verhindern?« fragte Brion. Er erkannte, daß er zu weit gegangen war, aber trotzdem wollte er die beiden Männer noch einmal auf den Grund seines Kommens hinweisen.
»Du verlangst zuviel«, wiederholte Ulv. »Geh jetzt. Wir werden darüber nachdenken.«
»Werde ich dich wiedersehen? Wie kann ich mich mit dir in Verbindung setzen?«
»Wir werden dich finden, wenn wir mit dir sprechen wollen«, antwortete Ulv. Wenn sie der Meinung waren, daß er, Brion, gelogen hatte, würde er sie nie wieder zu Gesicht bekommen. Dagegen ließ sich nichts tun.