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Faussel beherrschte sich augenblicklich und trat an den Schreibtisch heran. Er verteilte das Papier auf die beiden anderen Stapel. »Das sind die Berichte, die Sie sehen wollten, Sir. Einzelheiten auf sämtlichen Gebieten, Schlußfolgerungen daraus, Vorschläge und so weiter.«

»Und der andere Stapel?«

»Korrespondenz, Rechnungen, Requisitionen und Bestandsmeldungen.« Faussel stieß die Bögen zusammen, während er antwortete. »Tagebuch, Krankenliste…« Seine Stimme erstarb, als Brion den gesamten Stapel über den Rand des Schreibtisches in den Papierkorb schob.

»Also überflüssiger Papierkram«, stellte Brion gelassen fest. »Schön, das wäre erledigt. Ich brauche Sie nicht mehr, Faussel.«

Ein Bericht nach dem anderen wanderte in den Papierkorb, bis der Schreibtisch wieder frei war. Nichts. Brion war keineswegs enttäuscht, weil er dieses Ergebnis erwartet hatte. Aber immerhin hätte doch einer der Spezialisten auf eine Möglichkeit stoßen können. Keiner hatte einen neuen Weg gefunden; alle bewegten sich in den gleichen ausgefahrenen Gleisen.

Draußen wurde es langsam dunkel. Der Wachtposten am Eingang hatte Anweisung, jeden sofort hereinzuführen, der nach dem Direktor fragte. Brion konnte nur darauf warten, daß sich jemand mit ihm in Verbindung setzte. Das war ein völlig ungewohntes Gefühl. Lea arbeitete wenigstens; er konnte sich nach ihren Fortschritten erkundigen.

Als er das Laboratorium betrat, bekam er einen Schreck, denn ihr Arbeitsplatz war leer. Das Mikroskop stand unter einer Plastikhülle. Sie ist zum Essen gegangen, überlegte er sich, oder — sie liegt in der Krankenstation. Brion machte sich auf die Suche.

»Selbstverständlich ist sie hier!« erklärte ihm Dr. Stine. »Wo sollte denn ein Mädchen in ihrer Verfassung sonst sein? Sie war heute lange genug auf. Morgen ist der letzte Tag, und wenn Sie weiterhin auf ihre Mitarbeit Wert legen, dann lassen Sie sie heute nacht ungestört schlafen. Gönnen Sie allen ein bißchen Ruhe. Ich habe heute den ganzen Tag nur Beruhigungstabletten ausgeteilt. Das Zeug ging weg wie warme Semmeln. Die Leute sind alle am Boden zerstört.«

»Vielleicht ist es dieser Planet auch bald. Wie geht es Lea?«

»Den Umständen nach ausgezeichnet. Überzeugen Sie sich doch selbst davon, wenn Sie es mir nicht glauben. Ich muß mich um die anderen Patienten kümmern.«

»Machen Sie sich solche Sorgen, Doktor?«

»Selbstverständlich! Schließlich bin ich auch nur ein Mensch. Wir sitzen hier auf einer tickenden Zeitbombe, und das gefällt mir nicht. Ich tue meine Pflicht, aber trotzdem bin ich heilfroh, wenn die Schiffe landen, um uns zu evakuieren. Im Augenblick geht es mir eigentlich nur noch um meine eigene Haut. Und wenn Sie ein offenes Geheimnis wissen möchten — die übrigen Angestellten denken nicht anders. Erwarten Sie also nicht zuviel von ihnen.«

»Diesen Fehler habe ich nie gemacht«, gab Brion zurück und verschwand in Leas Zimmer.

Lea schlief, deshalb ließ er sich leise auf einem Stuhl nieder, den er herangezogen hatte. Ihr junges Gesicht wirkte ruhig und friedlich — eine eigenartige Erscheinung in dieser häßlichen und gewalttätigen Welt. Aus einem plötzlichen Impuls heraus griff Brion nach ihrer Hand und hielt sie in der seinen, während er nachdenklich zum Fenster hinausstarrte.

Später sah er sie wieder an und bemerkte, daß sie die Augen geöffnet hatte, obwohl sie sich nicht bewegt hatte. Wie lange war sie schon wach? Schuldbewußt ließ er ihre Hand los.

»Sieht der Sklaventreiber nach den Sklaven, um zu sehen, ob sie morgen wieder in die Tretmühle geschickt werden können?« fragte sie. Das war eine Bemerkung von der Art, die sie so oft während ihres gemeinsamen Fluges gemacht hatte. Aber jetzt schien sie es nicht ernst zu meinen, denn sie lächelte.

»Wie geht es Ihnen?« erkundigte er sich und ärgerte sich im gleichen Augenblick darüber, daß ihm nichts anderes eingefallen war.

»Schrecklich. Wahrscheinlich bin ich morgen früh tot. Geben Sie mir bitte einen Apfel aus der Schüssel dort drüben? Ich habe einen fürchterlichen Geschmack im Mund — wie eine alte Stiefelsohle. Ich möchte nur wissen, wie das frische Obst hierherkommt. Vermutlich eine milde Gabe der Planetenzerstörer auf Nyjord.«

Sie nahm den Apfel entgegen, den Brion ihr reichte. »Haben Sie noch nie Lust gehabt, die gute alte Erde zu besuchen?«

Brion war über ihre Frage verblüfft, fing sich aber schnell wieder. »Noch nie«, antwortete er wahrheitsgemäß. »Bis vor wenigen Wochen wollte ich nicht einmal von Anvhar fort. Die Spiele erscheinen einem dort so wichtig, daß man kaum Gedanken für andere Dinge hat, wenn man selbst zu den Teilnehmern gehört.«

»Ersparen Sie mir die Spiele«, bat sie. »Ich habe Ihjel und Ihnen zuhören müssen, als wir auf dem Flug nach Dis waren. Aber wie sieht es auf Anvhar aus? Gibt es dort große Metropolen, wie wir sie auf der Erde haben?«

»Nichts in dieser Art. Anvhar ist äußerst dünn besiedelt. Keine Großstädte. Die Bevölkerung konzentriert sich um Schulen, Universitäten und größere Fabriken.«

»Und wie steht es mit Exobiologen?« fragte Lea.

»Wahrscheinlich gibt es in den Universitäten einige, obwohl ich das nicht sicher sagen kann. Sie müssen sich darüber im klaren sein, daß es bei uns auch keine Kleinstädte gibt. Unser Leben ist anders organisiert, denn die größte Lebenseinheit ist die Familie mit den dazugehörigen Freunden. Freunde sind sehr wichtig, weil die Familien sich sehr rasch auflösen, während die Kinder noch ziemlich jung sind. Wir sind alle lieber allein für uns. Wahrscheinlich hat diese Tatsache früher die ersten Siedler am Leben erhalten.«

»Hm, bis zu einem gewissen Punkt«, warf Lea ein und biß in ihren Apfel. »Wenn man in dieser Beziehung übertreibt, hat man am Ende gar keine Bevölkerung mehr. Eine gewisse Annäherung ist einfach unerläßlich.«

»Selbstverständlich. Außerdem gehört dazu auch eine bestimmte Form des Verhältnisses zueinander, sonst herrscht bald eine Anarchie. Auf Anvhar wird die persönliche Verantwortung des einzelnen immer wieder betont, und auf diese Weise wird die Frage gelöst. Wenn wir — äh — manchen Dingen gegenüber anders gegenübertreten würden, wäre unsere Lebensweise nicht zu verwirklichen. Die Beziehungen zwischen Erwachsenen beginnen entweder aus Zufall oder aus Absicht, aber immer mit der Gewißheit, daß…«

»Halt, da komme ich nicht mehr mit!« protestierte Lea. »Ich habe den Verdacht, daß Sie etwas vor mir verheimlichen wollen! Seien Sie doch endlich genauer — bringen Sie einfach zwei dieser hypothetischen Menschen zusammen und beschreiben Sie mir, was sich zwischen ihnen abspielt.«

Brion holte tief Luft, bevor er weitersprach. »Gut — nehmen wir also einen Junggesellen wie mich. Da ich gern Wintersport betreibe, wohne ich meistens in dem großen Haus im Gebirge, das unserer Familie gehört. Im Sommer hüte ich unser Vieh, aber wenn der erste Schnee fällt, habe ich wieder viel Zeit für mich allein. Früher war ich viel beim Skifahren und habe mich auf die Spiele vorbereitet. Manchmal stattete ich auch Freunden einen Besuch ab. Andere besuchten mich, wenn sie zufällig vorbeikamen. Wir haben nicht einmal Schlösser an unseren Haustüren. Gastfreundschaft wird ohne viel zu fragen gewährt. Jeder Besucher ist willkommen — männlich, weiblich, in Gruppen oder allein.«

»Aha, jetzt beginne ich klarzusehen. Für ein alleinstehendes Mädchen muß das Leben auf Ihrem Eisbergplaneten ziemlich langweilig sein.«

»Aber nur dann, wenn sie es nicht anders will. Sonst kann sie überall hingehen, wo es ihr Spaß macht, und wird immer als Einzelmensch respektiert werden. Ich nehme an, daß die Leute auf der Erde darüber lachen würden — aber auf Anvhar gibt es durchaus noch platonische Freundschaften zwischen Männern und Frauen.«

»Das klingt reichlich eintönig. Wenn die Menschen auf Anvhar alle so kalt und leidenschaftslos sind, woher kommen dann die Kinder?«