Noch eine Straßenecke, dann hatte er das ehemalige G.K.B.-Gebäude vor sich. Einige Meter davon entfernt stand ein stumpfer Metallkegel — die Pinasse eines Raumschiffs. Zwei Männer stiegen aus dem geöffneten Luk und gingen auf den Trümmerhaufen zu.
Brions Stiefel zermalmten die zertrümmerten Fensterscheiben, als er näher kam. Die Männer warfen sich herum und hoben ihre Waffen. Beide trugen Ionengewehre. Sie grinsten erleichtert, als sie erkannten, daß Brion kein Disaner war.
»Verdammte Wilde!« knurrte der eine, dessen Mütze zwei gekreuzte Rechenschieber trug, die ihn als Spezialist für Elektronenrechner auswiesen.
»Eigentlich kann man ihnen keinen Vorwurf machen«, meinte der andere. Seinem Abzeichen nach mußte er der Zahlmeister eines Raumschiffs sein. »Um Mitternacht fliegt ihr ganzer Planet in die Luft. Sieht so aus, als ob die Kerle endlich begriffen hätten, was ihnen bevorsteht. Hoffentlich sind wir bis dahin bereits im Hyperraum. Ich habe miterlebt, wie Estradas Welt unterging — das reicht mir für das ganze Leben!«
Der Raumfahrer, der zuerst gesprochen hatte, wandte sich an Brion. »Wollen Sie mitfliegen?« erkundigte er sich. »Unser Schiff ist das letzte auf dem gesamten Raumhafen, und wir dampfen ab, sowie wir unsere Ladung an Bord haben. Wenn Sie mitkommen wollen, nehmen wir Sie gern mit.«
Brion beherrschte sich mühsam, um sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr ihn der Anblick des zertrümmerten Gebäudes beeindruckte und bedrückte. »Nein«, antwortete er. »Sehr freundlich von Ihnen, aber das ist nicht nötig. Ich habe Verbindung mit der Blockadeflotte und werde um Mitternacht abgeholt.«
»Stammen Sie von Nyjord?« erkundigte sich der Zahlmeister.
»Nein.« Brion schüttelte den Kopf und versuchte die Augen von den Trümmern zu wenden. »Aber ich habe Schwierigkeiten mit meinem eigenen Schiff gehabt.« Er bemerkte, daß die beiden Männer ihn neugierig anstarrten, als ob sie auf eine Erklärung von ihm warteten. »Ich dachte, daß ich einen Weg finden könnte, um den Krieg zu verhindern. Aber jetzt bin ich nicht mehr so sicher.« Er hatte Fremden gegenüber nicht so offenherzig sein wollen, aber die Worte waren ihm wie von allein herausgeschlüpft.
Der Elektronenrechnerspezialist wollte etwas sagen, aber der andere Raumfahrer stieß ihm den Ellbogen in die Rippen. »Wir starten bald — und mir paßt es nicht, wie die Disaner uns anstarren. Der Captain hat nur gesagt, wir sollten herausbekommen, was hinter dem Brand steckt, und dann so schnell wie möglich zurückkommen. Los, hauen wir ab!«
»Verpassen Sie Ihr Schiff nicht«, sagte der andere und wollte auf die Pinasse zugehen. Dann blieb er noch einmal stehen. »Können wir Ihnen nicht irgendwie behilflich sein?« fragte er.
Brion überlegte. »Doch, das können Sie«, meinte er dann. »Ich brauche dringend ein Skalpell und andere chirurgische Instrumente.« Lea war darauf angewiesen. Dann erinnerte er sich an Telts nicht überlieferte Nachricht. »Haben Sie ein tragbares Funkgerät an Bord? Ich will es nicht umsonst, ich kann dafür bezahlen.«
Der Mann verschwand im Innern der Rakete und tauchte eine Minute später mit einem Päckchen in der Hand wieder auf. »Hier, das ist alles, was ich finden konnte — ein Skalpell und eine Pinzette. Hoffentlich genügt es.« Er griff hinter sich und holte ein mit Batterien betriebenes Funkgerät hervor. »Nehmen Sie das, es hat eine ziemlich große Reichweite, selbst in den höheren Frequenzen.«
Der Raumfahrer hob abwehrend die Hand, als Brion ihm Geld anbot. »Wenn Sie diesen Planeten tatsächlich retten, schenke ich Ihnen auch noch die Pinasse. Wir werden dem Captain berichten, daß wir das Funkgerät bei einem Zusammenstoß mit den Eingeborenen eingebüßt haben. Einverstanden, du alter Geldzähler?« Er gab dem Zahlmeister einen aufmunternden Stoß.
»Haargenau«, antwortete der Angesprochene. »Ich schreibe einfach eine Verlustmeldung aus. Der Alte wird froh sein, wenn er wenigstens uns wieder heil zurückbekommt.« Sie winkten Brion noch einmal zu, dann schloß sich das Luk hinter ihnen, und er mußte sich rasch vor den Abgasen des Raketenantriebwerks in Sicherheit bringen.
Die spontane Hilfsbereitschaft der fremden Raumfahrer richtete Brion wieder etwas auf, während er die Trümmer durchsuchte. Ein Teil der Außenwand des Laboratoriums stand noch, und er grub einige zerstörte Instrumente aus. Der wichtigste Fund war jedoch der Kasten, in dem das Mikroskop aufbewahrt wurde. Brion öffnete ihn und stellte fest, daß das rechte Okular verbogen war. Aber das linke schien noch zu funktionieren. Er stellte das Mikroskop vorsichtig wieder in den Behälter zurück.
Brion sah auf seine Uhr. Die Zeit war rascher vergangen, als er gedacht hatte, denn Mittag war bereits zehn Minuten vorbei. Die wenigen Instrumente mußten also für die Autopsie genügen. Die Disaner starrten ihm mißtrauisch nach, als er von dem Trümmerhaufen herunterkletterte und in einer Nebenstraße verschwand. Er machte wieder einen weiten Umweg und betrat das Lagerhaus erst dann, als er überzeugt war, daß niemand ihm gefolgt war.
Lea sah erschrocken zu ihm auf, als er das Büro betrat. »Endlich ein freundliches Lächeln unter den Kannibalen«, rief sie ihm entgegen, aber ihr Gesichtsausdruck zeigte, daß ihr keineswegs so fröhlich zumute war, wie ihre Worte vermuten ließen. »Was ist eigentlich mit mir los?« Sie wies mit dem Daumen auf Ulv. »Seit ich aufgewacht bin, hat dieser schweigsame Herr dort drüben noch kein Wort mit mir gewechselt.«
»Was waren die letzten Ereignisse, an die du dich noch erinnerst?« fragte Brion vorsichtig. Er wollte ihr nicht mehr erzählen, als unbedingt notwendig war, damit sie nicht wieder in den vorherigen Zustand verfiel. Ulv hatte große Geistesgegenwart bewiesen, als er nicht mit ihr gesprochen hatte.
»Wenn du es unbedingt wissen willst«, meinte Lea, »ich erinnere mich an einiges, Brion Brandd. Also — ich kann mich daran erinnern, daß ich eingeschlafen bin, nachdem du fortgegangen warst. Dann ist alles leer. Eigentlich merkwürdig. Ich bin in einem unbequemen Krankenhausbett eingeschlafen und wache auf einer Couch in diesem Raum auf. Außerdem fühle ich mich einfach schrecklich. Und er sitzt an der Tür und starrt mich böse an. Willst du mir nicht bitte erklären, wie das alles zusammenhängt?«
Am besten erzählte er ihr nur einen Teil der Wahrheit, den Rest konnte sie später erfahren. »Die Magter haben das G.K.B.-Gebäude überfallen«, erklärte er ihr. »Sie verfolgen jetzt alle Fremden mit ihrem Haß. Du schliefst noch, deshalb brachte Ulv dich hierher. Jetzt ist es Nachmittag, und wir…«
»Ist heute nicht der letzte Tag?« fragte Lea entsetzt. »Während ich hier Dornröschen spiele, geht draußen eine Welt ihrem Ende entgegen! Hat es bei dem Überfall Verletzte gegeben? Oder gar Tote?«
»Wir hatten einige Verluste — und größte Schwierigkeiten«, gab Brion zurück. Er mußte das Gespräch auf ein anderes Thema bringen, deshalb ging er zu der Leiche hinüber und deckte sie auf. »Aber das hier ist im Augenblick viel wichtiger — es ist die Leiche eines Magter. Ich habe ein Skalpell und einige andere Instrumente hier — kannst du eine Autopsie durchführen?«
Lea kauerte sich zusammen und schlang die Arme um ihre Knie.
Sie schien trotz der auch in diesem Raum herrschenden Hitze zu frieren. »Was ist den anderen in dem Gebäude zugestoßen?« fragte sie leise. Die Spritze hatte ihre Erinnerungen an den Überfall ausgelöscht, aber die Nachwirkungen des Schocks machten sich immer noch bemerkbar. »Ich fühle mich so… erschöpft. Bitte, ich möchte wissen, was geschehen ist. Ich spüre, daß tu etwas vor mir verbirgst.«
Brion setzte sich neben sie und nahm ihre Hände. Er war nicht überrascht, daß sie eiskalt waren. »Es war alles nicht sehr schön«, begann er langsam. »Die Sache hat dich ziemlich mitgenommen, deshalb bist du jetzt in so schlechter Verfassung. Aber — Lea, du mußt mir einfach vertrauen, wenn ich dich bitte, keine weiteren Fragen zu stellen. Wir können nichts mehr ändern. Aber wir können vielleicht das Geheimnis der Magter lösen. Wirst du die Leiche untersuchen?«