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Lea wollte etwas sagen, schwieg dann aber doch. Brion fühlte, daß ein leichtes Zittern ihren Körper durchlief. »Irgend etwas ist nicht in Ordnung«, sagte sie unsicher. »Ich spüre es ganz deutlich. Aber ich verlasse mich auf dein Wort, daß es besser ist, wenn ich keine Fragen mehr stelle. Hilfst du mir bitte aufstehen, Liebling? Meine Knie sind ganz weich.«

Brion stützte sie und führte sie zu der Werkbank hinüber. Lea schloß einen Augenblick die Augen, als sie vor der Leiche stand. »Nicht gerade das, was man in Fachkreisen einen natürlichen Tod nennen würde«, stellte sie fest. Ulv beobachtete sie scharf, als sie das Skalpell aus dem Etui nahm. »Du brauchst nicht zuzusehen«, sagte Lea. »Willst du inzwischen in das Büro gehen?«

»Ich will aber«, antwortete er und ließ die Augen nicht von dem toten Magter. »Ich habe noch nie zuvor einen dieser Menschen als Leiche gesehen — er sieht wie jeder andere Disaner aus.« Er starrte weiter auf die Werkbank.

»Kannst du mir einen Schluck Wasser besorgen, Brion?« fragte Lea. »Und dann breitest du vielleicht lieber die Plane unter der Leiche aus, damit es keine Flecken gibt.«

Nachdem sie etwas Wasser getrunken hatte, schien Lea wieder kräftiger und konnte sich auf den Beinen halten, ohne mit beiden Händen den Rand der Werkbank umklammern zu müssen. Sie griff nach dem Skalpell und öffnete die Bauchdecke mit einem langen Schnitt. Ulv stieß einen leisen Laut aus, wandte die Augen aber nicht ab.

Nacheinander löste sie die inneren Organe aus dem Körper. Einmal sah sie kurz zu Brion auf, arbeitete dann aber rasch weiter. Beide schwiegen, bis Brion schließlich eine Frage stellte.

»Hast du schon etwas gefunden?«

Dieser eine Satz genügte, um Leas mühsam bewahrte Fassung zu zerstören. Sie stolperte zu der Couch zurück und sank darauf nieder. Ihre blutbefleckten Hände bildeten einen merkwürdigen Gegensatz zu der weißen Haut ihrer Arme.

»Es tut mir leid, Brion«, sagte sie, »aber ich habe nichts gefunden. Einige kleine Veränderungen, wie ich sie noch nie zuvor gesehen habe — zum Beispiel ist die Leber stark vergrößert. Aber alle diese Veränderungen ergeben sich aus der Anpassung an die unterschiedlichen Lebensverhältnisse auf diesem Planeten. Wir haben einen Menschen vor uns. Verändert, angepaßt, modifiziert — aber immer noch ein Mensch wie du und ich.«

»Wie kannst du das sicher wissen?« unterbrach Brion sie. »Du hast ihn doch noch nicht vollständig untersucht, oder?« Sie schüttelte müde den Kopf. »Dann mußt du weitermachen. Die übrigen Organe. Sein Gehirn. Eine mikroskopische Untersuchung. Hier!« sagte er und schob ihr den Behälter mit dem Mikroskop zu.

Lea senkte den Kopf auf die Arme und schluchzte. »Warum läßt du mich nicht endlich in Ruhe? Ich habe diesen schrecklichen Planeten satt! Laß sie doch alle sterben! Mir ist das völlig egal. Deine Theorie ist unsinnig. Warum gibst du das nicht endlich zu? Ich will mir den Schmutz von den Händen waschen, damit ich nicht mehr…« Der Rest des Satzes ging in einem haltlosen Weinen unter.

Brion stand über ihr und atmete schwer. Hatte er wirklich unrecht? Er wagte nicht daran zu denken. Er mußte den eingeschlagenen Weg weitergehen. Als er auf Leas schmalen Rücken hinuntersah, empfand er ein Mitleid, dem er nicht nachgeben durfte. Diese kleine, erschreckte und hilflose Frau war seine einzige Stütze. Sie mußte weiterarbeiten. Auf jeden Fall, selbst wenn er sie dazu zwingen mußte.

Ihjel hatte dieses Kunststück einmal fertiggebracht, als er seine empathischen Fähigkeiten ausnützte, um Brion zu überzeugen. Jetzt mußte Brion diesen Vorgang mit Lea als Versuchsobjekt wiederholen, obwohl er die dafür notwendige Technik erst ungenügend beherrschte. Trotzdem durfte er nichts unversucht lassen.

Lea brauchte seine Unterstützung. »Du kannst arbeiten. Du hast den Willen und die Kraft dazu«, sagte er deshalb laut. Gleichzeitig übermittelte er ihrem Unterbewußtsein den Befehl, sich seiner Kraft und Stärke zu bedienen, nachdem ihre erschöpft waren.

Erst als Lea das Gesicht hob, auf dem die Tränen noch immer sichtbar waren, wußte Brion, daß er Erfolg gehabt hatte. »Kannst du weiterarbeiten?« fragte er ruhig.

Lea nickte stumm und erhob sich. Sie ging wie ein Schlafwandler. Ihre Kraft war nicht ihre eigene, und Brion erinnerte sich mit Unbehagen an den letzten Wettkampf der Spiele, als er sich in einer ähnlichen Lage befunden hatte. Sie wischte sich die Hände an der Plane ab und öffnete den Kasten, in dem das Mikroskop stand.

»Die Objektträger sind alle zerbrochen«, sagte sie.

»Das genügt auch«, erklärte Brion ihr und trat eine Fensterscheibe ein. Er nahm einige der größeren Splitter auf und brach die Ecken ab, so daß viereckige Stücke entstanden, die unter dem Mikroskop Platz hatten. Lea nahm sie wortlos entgegen. Sie ließ einen Tropfen Blut auf das Glas fallen und beugte sich über das Okular.

Ihre Hände zitterten, als sie die Scharfeinstellung betätigte. Sie betrachtete das Blut mit der kleinsten Vergrößerung und kniff dabei angestrengt die Augen zusammen. Einmal verstellte sie den Sammelspiegel, um mehr Licht zu haben. Brion stand dicht hinter ihr, ballte die Fäuste und versuchte sich zu beherrschen. »Siehst du etwas?« platzte er schließlich heraus.

»Phagozyten, Leukozyten… alles scheint ganz normal zu sein.« Leas Stimme klang erschöpft, ihre Augen tränten vor Ermüdung, während sie sich mit dem Mikroskop beschäftigte.

Brion runzelte ärgerlich die Stirn. Er wollte nicht glauben, daß er unrecht gehabt hatte, deshalb griff er über ihre Schulter hinweg nach dem Objektivrevolver und stellte die höchste Vergrößerung ein. »Du kannst ja gar nichts erkennen — jetzt muß es gehen! Es ist dort — ich weiß, daß es dort ist! Ich werde dir ein Stück Gewebe holen.« Er wandte sich ab und ging zu der Leiche zurück.

Er kehrte ihr den Rücken, deshalb sah er nicht mehr, daß Lea sich plötzlich aufgeregt über das Okular beugte, während ihre Finger die Brennweite regulierten. Aber er fühlte ihre Erregung, weil sie seinen empathischen Sinn ansprach. »Was hast du gefunden?« rief er ihr zu, als habe sie etwas gesagt.

»Etwas… etwas in dieser Leukozyte«, antwortete sie. »Es ist etwas außergewöhnlich, aber trotzdem kommt es mir bekannt vor. Ich habe es schon einmal gesehen, kann mich aber nicht mehr daran erinnern.« Sie hob den Kopf und preßte die Faust gegen die Stirn. »Ich weiß bestimmt, daß ich es schon einmal gesehen habe.«

Brion warf einen Blick durch das Mikroskop und erkannte den weißen, polypenähnlichen Umriß einer einzelligen Leukozyte. Für ihn enthielt sie nichts Außergewöhnliches. Allerdings konnte er nicht wissen, was daran anders sein sollte, wenn er keine Ahnung hatte, was normal war.

»Erkennst du die runden grünen Körperchen, die eng beieinanderliegen?« fragte Lea. Bevor Brion antworten konnte, griff sie aufgeregt nach seinem Arm. »Ich habe es!« Ihre Müdigkeit war plötzlich verflogen. »Icerya purchasi heißen diese winzigen Dinger. Bei manchen Insekten kommt es vor, daß das grüne Zeug in den Körperzellen wuchert. Nicht als Parasit, sondern als Partner einer regelrechten Symbiose…«

Leas Augen öffneten sich weit, als ihr klarwurde, was sie eben gesagt hatte. Eine Symbiose — und Dis war ein Planet, auf dem Symbiosen und Parasitentum Bestandteile des täglichen Lebens waren. Lea überlegte krampfhaft und versuchte eine logische Schlußfolgerung daraus zu ziehen. Sie ballte die Hände zu Fäusten und starrte auf die gegenüberliegende Wand, während ihre Gedanken um diesen Punkt kreisten.

Brion und Ulv beobachteten sie schweigend und warteten auf eine Erklärung. Endlich schienen sich die Bruchstücke zu einem Ganzen zusammenzufügen.