Lea öffnete die Fäuste und fuhr sich mit dem Handrücken über die Stirn. Dann drehte sie sich um und sah Brion fragend an. »Hast du hier irgendwo einen Werkzeugkasten gesehen?« fragte sie.
Brion war so überrascht, daß er nicht gleich antworten konnte. Bevor er sich zu einer Gegenfrage aufgerafft hatte, sprach Lea weiter.
»Keine einfachen Werkzeuge; damit würde es zu lange dauern. Glaubst du, daß du irgendwo eine Motorsäge auftreiben kannst? Das wäre ideal.« Sie wandte sich wieder zu dem Mikroskop zurück, deshalb stellte Brion keine weiteren Fragen. Ulv starrte noch immer den toten Magter an und hatte kein Wort von dem verstanden, was Lea gesagt hatte.
Brion ging in das Treppenhaus und stieg in das erste Stockwerk hinauf, weil er wußte, daß unten in dem Lagerraum keine Werkzeuge lagen. Er ging an einigen Räumen vorbei, die alle abgeschlossen waren, und erreichte schließlich einen, dessen Tür die hoffnungsvolle Aufschrift werkzeugraum trug. Brion warf sich mit aller Gewalt gegen die schwere Eisentür, ohne sie dadurch öffnen zu können. Nach mehreren vergeblichen Versuchen gab er auf und überlegte sich einen anderen Weg. Dabei sah er zufällig auf seine Armbanduhr.
Nur noch zehn Stunden, bis die Bomben fielen!
Jetzt mußte er schnell und trotzdem leise handeln, weil immer die Gefahr bestand, daß ein zufällig vorbeikommender Disaner hörte, wie er die Tür aufbrach. Er riß sich das Hemd vom Leib und wickelte es als Schalldämpfer um den Lauf der Pistole. Dann preßte er die Mündung der Waffe gegen das Schloß und betätigte den Abzug. Der Knall des Schusses war kaum zu hören — jedenfalls bestimmt nicht außerhalb des Gebäudes. Brion warf sich noch einmal gegen die Tür und drückte sie auf.
Als er zurückkam, stand Lea wieder neben der Leiche. Brion, hielt eine kleine Kreissäge hoch, die er entdeckt hatte. »Genügt das?« fragte er. »Die Säge wird von einer Batterie angetrieben.«
»Ausgezeichnet«, antwortete sie. »Aber ihr müßt mir beide helfen.« Sie wandte sich an Ulv. »Kannst du dir einen Platz aussuchen, von dem aus du die Straße beobachten kannst, ohne selbst gesehen zu werden? Gib mir ein Zeichen, wenn die Luft rein ist. Ich fürchte, daß die Säge ziemlich viel Krach machen wird.«
Ulv nickte und ging an die Straßenfront der Halle hinüber. Dort suchte er sich einige leere Kisten zusammen und türmte sie übereinander auf, bis er durch eines der Fenster an der Decke sehen konnte. Er sah nach beiden Richtungen die Straße entlang, bevor er Lea ein Zeichen gab, daß sie anfangen könne.
»Du mußt den Schädel festhalten, Brion«, fuhr Lea fort. »Wahrscheinlich wird es kein sehr schöner Anblick sein, aber jedenfalls ist das der schnellste Weg.« Die Säge fraß sich in den Knochen hinein.
Einmal stieß Ulv einen leisen Warnruf aus und zog selbst den Kopf ein. Sie warteten ungeduldig, bis er sich davon überzeugt hatte, daß keine Gefahr mehr bestand. Brion hielt den Kopf des toten Magter fest, bis die Säge einen ganzen Kreis beschrieben hatte.
»Fertig«, kündigte Lea an und ließ die Säge einfach zu Boden fallen. Sie massierte sich die schmerzenden Finger der rechten Hand, bevor sie die unterbrochene Arbeit beendete. Langsam und vorsichtig klappte sie die Schädeldecke zurück und legte das Gehirn frei.
»Du hast die ganze Zeit über recht gehabt, Brion«, stellte sie dann fest. »Da hast du deinen Fremden.«
16
Ulv stieg von seinem Beobachtungsposten herunter und starrte ebenfalls das Gehirn des Magter an. Die Tatsachen waren so offensichtlich, daß selbst Ulv sie erkannte.
»Ich habe schon tote Tiere und auch meine Leute mit offenen Schädeln gesehen«, meinte er nachdenklich. »Aber das hier kenne ich nicht.«
»Was ist das eigentlich?« fragte Brion.
»Der Eindringling, der Fremde, nach dem du gesucht hast«, erklärte Lea ihm.
Das Gehirn des Magter war um ein Drittel kleiner als das eines normalen Menschen. Der dadurch entstandene Hohlraum innerhalb des Schädels wurde von einer grünlichen Masse ausgefüllt. Sie war ähnlich wie das Gehirn geformt, wies aber einige lange Ausläufer und Fortsätze auf. Lea nahm das Skalpell und stocherte damit in der feuchten Masse herum.
»Es erinnert mich sehr stark an ein anderes Phänomen, das ich auf der Erde gesehen habe«, sagte sie. »Eine Fliegenart — Drepanosiphum plaranoides — besitzt ein seltsames Organ, das Pseudova heißt. Nachdem ich diese Wucherung in dem Schädel des Magter gesehen habe, kann ich gewisse Parallelen ziehen. Diese Fliegen werden von ähnlichen grünen Wucherungen befallen, die allerdings nicht den Kopf, sondern den halben Körper ausfüllen. Die Biologen haben sich lange darüber gewundert und komplizierte Theorien aufgestellt, bis es schließlich einem gelang, das grüne Zeug zu sezieren. Dabei stellte sich heraus, daß es sich um eine lebende Pflanze handelt, die für die Verdauung der Fliege unentbehrlich ist. Sie produziert nämlich die Enzyme, mit deren Hilfe das Insekt die Pflanzensäfte verdaut, von denen es sich ernährt.«
»Das ist doch nicht außergewöhnlich«, warf Brion enttäuscht ein. »Schließlich ist das bei den Menschen nicht sehr viel anders. Was ist der Unterschied zwischen dieser grünen Fliege und einem Menschen?«
»Der Unterschied liegt in der Tatsache begründet, daß die Fliege und ihre Flora in einem gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnis leben, das für beide lebenswichtig ist. Die Pflanzensporen tauchen an verschiedenen Stellen im Körper des Insekts auf — aber immer in den Keimzellen. In jeder Eizelle sind einige zu finden, so daß jedes Ei, aus dem später eine Fliege ausschlüpft, bereits damit infiziert ist. Auf diese Art und Weise wird sichergestellt, daß die Symbiose ununterbrochen fortdauert.«
»Glaubst du, daß die grünen Körperchen im Blut der Magter den gleichen Zweck erfüllen?« fragte Brion.
»Ganz bestimmt«, versicherte Lea ihm. »Es muß sich um denselben Vorgang handeln. Auf diese Weise besteht die Möglichkeit, daß sie in die Samenzellen der Magter geraten, so daß jedes Kind bereits vor der Geburt davon befallen wird. Während das Kind wächst, breitet sich das grüne Zeug ebenfalls aus. Wahrscheinlich sogar sehr viel schneller, denn es scheint ein unkomplizierter Organismus zu sein. Ich nehme an, daß jedes Kind im Alter von sechs Monaten bereits stark damit infiziert ist.«
»Aber warum?« wollte Brion wissen. »Wie wirkt sich das aus?«
»Ich kann es noch nicht sicher sagen, aber die Tatsachen lassen nur einen Schluß zu. Ich möchte wetten, daß der Symbiont ein Zwischending zwischen Tier und Pflanze ist — wie die meisten Lebewesen auf Dis. Er ist einfach zu kompliziert, um sich in der kurzen Zeit entwickelt zu haben, in der es schon Menschen auf diesem Planeten gibt. Die Magter müssen sich damit infiziert haben, als sie Fleisch aßen, in dem sich Sporen dieser Art befanden. Der Symbiont entwickelte sich in seiner neuen Umgebung ausgezeichnet, denn der Schädel seines verhältnismäßig langlebigen Wirts bot ihm einen ausgezeichneten Schutz. Als Gegenleistung für Nahrung und Sauerstoff produziert er vermutlich Hormone und Enzyme, mit deren Hilfe die Magter überleben. Dazu könnten zum Beispiel einige gehören, die sich für die Verdauung als nützlich erweisen, so daß die Magter sämtliche hier vorkommenden Tierarten essen können. Vielleicht erzeugt der Symbiont auch Zucker, reinigt das Blut von Giftstoffen — es gibt noch viele andere Dinge, die er tun könnte.
Offenbar hat er sie auch getan, denn sonst wären die Magter nicht zu der beherrschenden Lebensform auf diesem Planeten geworden. Sie haben einen hohen Preis dafür bezahlt, aber bisher spielte das keine Rolle. Ist dir aufgefallen, daß das Gehirn des Magter nicht kleiner als bei einem normalen Menschen ausgebildet ist?«
»Es muß aber kleiner sein — wie könnte der Gehirn-Symbiont sonst mit ihm zusammen in dem Schädel Platz haben?« sagte Brion.