»Du siehst schon viel besser aus«, stellte Brion lächelnd fest.
»Kein Wunder«, antwortete sie und strich sich die Haare aus der Stirn. »Schließlich habe ich die ganze Zeit im Bett gelegen, während du dich letzte Woche auf Dis amüsiert hast. Habt ihr wirklich Jagd auf die Magter gemacht?«
»Nein, wir haben sie nur mit Gas betäubt«, beruhigte er sie. »Die Nyjorder wollen keinen mehr umbringen, obwohl sie auf diese Weise selbst Verluste erleiden. Andererseits müssen sie die Disaner mühsam zurückhalten, die unter Ulvs Führung jeden Magter umbringen, den sie erwischen können. Für diese Leute sind die Magter eben noch immer Umedvirk.«
»Und was wollen sie mit den gefangenen Magter anfangen?«
»Das wissen sie selbst noch nicht recht«, erklärte Brion. »Sie wollen sich erst entscheiden, wenn sie sehen, wie sich ein Magter benimmt, dessen Gehirn-Parasit operativ entfernt worden ist. Mit den Kindern haben sie mehr Glück. Wenn sie rechtzeitig behandelt werden, läßt der Parasit sich abtöten, bevor er allzuviel Schaden angerichtet hat.«
Lea schloß einen Augenblick lang die Augen und lehnte sich gegen ihn. »Ich habe mich noch nicht ganz erholt; setzen wir uns doch lieber, während wir miteinander sprechen.« Brion führte sie zu einer Couch hinüber, von der aus sie Dis weiterhin beobachten konnten.
»Ich mag mir gar nicht vorstellen, wie ein Magter aussieht, der seinen Symbionten verloren hat«, sagte Lea. »Wenn sein Körper den Schock überhaupt erträgt, wird wahrscheinlich nur eine leere Hülle zurückbleiben. Jedenfalls möchte ich dieses Experiment nicht verfolgen. Andererseits steht für mich fest, daß die Nyjorder eine menschliche Lösung für dieses Problem finden werden.«
»Das glaube ich auch«, stimmte Brion zu.
»Und was wird aus uns?« fragte Lea übergangslos und lehnte sich in seine Arme zurück. »Ich muß dir sagen, daß du die höchste Körpertemperatur hast, die ich je erlebt habe. Ausgesprochen aufregend.«
Jetzt war Brion noch mehr verblüfft. Er hatte noch nie begriffen, wie Lea es fertigbrachte, so schnell von einem unangenehmen Thema auf ein erfreulicheres überzugehen. »Richtig, was wird aus uns?« wiederholte er unsicher.
Sie lächelte ihn an. »Damals in dem Krankenzimmer auf Dis hast du dich etwas deutlicher ausgedrückt. Ich kann mich dunkel an einige Dinge erinnern, die du gesagt und getan hast. Du kannst nicht mehr behaupten, daß ich dir gleichgültig bin, Brion Brandd. Deshalb frage ich dich in der gleichen Art, wie es jedes freimütige Mädchen auf Anvhar tun würde. Was wird aus uns? Heiraten wir?«
Brion runzelte nachdenklich die Stirn, während er nach einer passenden Antwort suchte.
»Lea, mein Liebling… Du weißt, wieviel du mir bedeutest aber dir ist doch auch klar, daß wir nie heiraten können?«
Sie richtete sich plötzlich auf.
»Was soll das heißen, du komischer Kerl? Was willst du damit sagen? Etwa: Ich mag dich gern, Lea, wir können uns herrlich miteinander amüsieren, aber dir ist doch hoffentlich klar, daß du nicht zu der Sorte Mädchen gehörst, die man seiner Mutter als zukünftige Frau vorstellt!«
»Hör auf damit, Lea«, sagte Brion leise. »Du weißt genau, daß das nicht meine Auffassung ist. Was ich eben gesagt habe, hat überhaupt nichts mit meinen Gefühlen dir gegenüber zu tun. Aber eine Heirat bedeutet auch Kinder, und du bist Biologin genug, um zu wissen, daß die Gene auf der Erde…«
»Intoleranter Bauernlümmel!« rief Lea wütend und gab ihm eine Ohrfeige. Brion zuckte nicht einmal mit der Wimper. »Von dir hätte ich wirklich mehr erwartet, nachdem du mir immer den Verständnisvollen vorgespielt hast. Aber du mußt natürlich auch auf die Schauermärchen hereinfallen, die über die schlechten Erbanlagen der Terraner verbreitet werden. In dieser Beziehung unterscheidest du dich überhaupt nicht von den Bewohnern der anderen Planeten, die lange von der Erde abgeschnitten waren. Ich weiß, wie diese Leute sich über uns lustig machen, weil wir kleiner sind, wie sie mitleidig über unsere Krankheiten lächeln, die wir von unseren Vorfahren geerbt haben. Ihre alle haßt…«
»Aber das wollte ich gar nicht damit sagen«, warf Brion ein. Er warf ihr einen entsetzten Blick zu. »Du hast die besseren Erbanlagen — meine sind nicht gut genug! Ein Kind von mir würde wahrscheinlich kurz nach der Geburt sterben, wenn es nicht schon tot auf die Welt käme. Du vergißt, daß die Terraner die Nachkommen des ursprünglichen Homo sapiens sind. Ich bin nur eine spätere Mutation.«
Lea saß wie erstarrt. Das war also die Wahrheit, die sie geahnt hatte, ohne darüber nachdenken zu wollen.
»Die Erde ist der Planet, auf dem die Menschheit sich entwickelt hat«, fuhr Brion fort. »Vielleicht haben sich die Erbanlagen in den letzten Jahrtausenden tatsächlich verschlechtert, aber das ist völlig unbedeutend, wenn man diese verhältnismäßig kurze Zeitspanne mit den Jahrmillionen vergleicht, die der Mensch benötigte, um zu dem zu werden, was er jetzt darstellt. Wie viele Säuglinge erreichen das erste Lebensjahr auf der Erde?«
»Warum… fast alle. Die Sterblichkeitsziffer ist sehr niedrig — ich kann mich allerdings nicht an genaue Angaben erinnern.«
»Die Erde ist die Heimat der Menschheit«, sagte Brion. »Wenn die Menschen diese Heimat verlassen, können sie sich zwar an die Lebensbedingungen auf anderen Planeten anpassen, müssen aber einen Preis dafür zahlen. Dieser schreckliche Preis besteht aus toten Kindern. Die erfolgreichen Mutationen leben weiter, aber die Mißerfolge sterben. Die natürliche Auslese ist brutal einfach. Wenn du mich ansiehst, hast du einen Erfolg vor dir. Ich habe eine Schwester — ebenfalls ein Erfolg. Aber meine Mutter hatte noch sechs weitere Kinder, die alle im Säuglingsalter starben. Und andere, die totgeboren wurden. Du kennst diese Tatsachen doch auch, nicht wahr, Lea?«
»Ich weiß, ich weiß…« schluchzte sie. »Ich weiß es, weil ich Biologie studiert habe — aber ich will keine Biologin mehr sein, ich habe den ewigen Wettkampf auf beruflichem Gebiet satt, ich mag nicht immer wieder beweisen müssen, daß ich genügend weiß, um es mit jedem Mann aufnehmen zu können. Wenn ich an dich denke, tue ich es als Frau — und dann kümmere ich mich nicht mehr um wissenschaftlich begründete Beweise. Ich brauche jemand, Brion, und ich brauche dich, weil ich dich liebe.« Lea machte eine Pause und fuhr sich über die Augen. »Du willst wieder nach Hause, nicht wahr? Zurück nach Anvhar. Wann?«
»Ich kann nicht mehr allzulange bleiben«, antwortete Brion langsam. »Allmählich wird mir wieder klar, daß ich nach Anvhar gehöre. Wenn man an die Legionen von Menschen denkt, die gelitten haben und gestorben sind — oder sich angepaßt haben, damit wir hier sitzen können… nun, der Gedanke daran erschreckt mich fast. Wahrscheinlich ist es nicht ganz logisch, daß ich mich ihnen verpflichtet fühle. Aber daran ist nichts zu ändern. Ich muß nach Anvhar zurück.«
»Und ich kann dich nicht begleiten.« Lea stellte keine Frage, sondern erwähnte nur eine Tatsache.
»Nein, das kannst du nicht«, bestätigte er. »Du gehörst nicht nach Anvhar.«
Lea sah ihm offen in die Augen. »Ich habe unbewußt geahnt, daß es eines Tages so kommen würde«, sagte sie. »Falls du annehmen solltest, daß dein kleiner Vortrag über die Entwicklungsgeschichte der Menschheit für mich etwas Neues bedeutete, dann hast du dich geirrt. Er hat mich nur an einige Dinge erinnert, die ich lieber vergessen hätte. In gewisser Beziehung beneide ich dich tun deine zukünftige Frau und die prächtigen Kinder, die ihr in die Welt setzen werdet. Aber nicht sehr. Ich habe mich sehr früh mit der Tatsache abgefunden, daß ich auf der Erde keinen Mann finden würde, den ich heiraten möchte. Statt dessen träumte ich manchmal von dem Helden aus dem All, der mich eines Tages mit in seine Heimat nehmen würde — diese Wunschvorstellung muß ich unwillkürlich auf dich übertragen haben. Aber jetzt bin ich alt genug, um einzusehen, daß meine Arbeit mir mehr bedeutet als eine banale Ehe. Wahrscheinlich werde ich als eine tugendhafte alte Jungfer enden, die mehr Titel und Diplome hat als du Kugelstoßrekorde.«