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Wenn der Beste siegte, war er wirklich der beste Wettkämpfer gewesen. Ein kompliziertes System aus Zwischenentscheidungen ließ die Teilnehmer und Kampfrichter den ganzen Winter hindurch kaum zu Atem kommen. Auf diese Vorentscheidungen folgte die letzte Phase der Spiele, die einen ganzen Monat lang dauerte. Dann stand ein einzelner Sieger fest, dem auch der Titel Sieger verliehen wurde. Der Mann — und die Frau — blieb bis zum nächsten Jahr eine Art ungekrönter König.

Sieger. Das war ein Titel auf den man mit Recht stolz sein durfte. Brion drehte sich mühsam auf eine Seite, bis er zum Fenster hinaussehen konnte. Sieger von Anvhar. Sein Name würde in den Geschichtsbüchern stehen, denn nun gehörte auch er zu den wenigen Helden, die dieser Planet aufzuweisen hatte. Die Schulkinder würden Einzelheiten seiner Lebensgeschichte lernen, wie sie zuvor die der anderen Sieger gelernt hatten. Sie würden träumerisch an den Tag denken, an dem auch sie vielleicht aus den Spielen als Sieger hervorgehen würden. Ein Sieger zu sein, war die höchste Ehre des Universums.

Draußen durchdrang die schwache Nachmittagssonne kaum den leichten Wolkenschleier am Himmel. Die weiten, mit Eis bedeckten Ebenen sogen das Licht auf und reflektierten nur einen Bruchteil davon. Ein einsamer Skiläufer zog dort seine Spur; alles andere war zu Eis erstarrt.

Brion erkannte plötzlich mit erschreckender Klarheit, daß es wirklich nichts bedeutete, ein Sieger zu sein. Als ob man der beste Floh geworden wäre — unter allen anderen Flöhen auf einem einzigen Hund.

Was war denn schon Anvhar? Ein eisbedeckter Planet, der von einigen Millionen menschlicher Flöhe bewohnt wurde, um die sich niemand in der gesamten Galaxis kümmerte. Hier gab es nichts, worum es sich zu kämpfen gelohnt hätte; die nach dem Zusammenbruch aufgeflammten Kriege hatten den Planeten nicht berührt. Die Anvharianer waren auf diese Tatsache immer stolz gewesen — als könne man stolz darauf sein, daß man selbst so unbedeutend war, daß niemand auch nur den Wunsch verspürte, ihnen einen Besuch abzustatten. Alle anderen von Menschen besiedelten Planeten entwickelten sich, kämpften, gewannen, verloren, veränderten sich. Nur auf Anvhar wiederholte sich das Leben in einem stets gleichbleibenden Rhythmus…

Brions Augen waren feucht geworden, er fuhr sich mit der Hand darüber. Tränen! Diese unglaubliche Tatsache ließ ihn das Selbstmitleid vergessen und erfüllte ihn gleichzeitig mit Angst. Hatten die Spiele ihn doch mehr mitgenommen, als er gedacht hätte? Mitleid mit sich selbst hatte ihm bestimmt nicht den Sieg in den Spielen gebracht — weshalb empfand er es dann jetzt? Anvhar war seine Welt — warum sollte er sich nun einbilden, der Planet liege einsam und isoliert am äußersten Rand des Universums? Was war die Ursache für diesen plötzlichen Sinneswandel?

Während er über diese Frage nachdachte, fand er bereits die Antwort darauf. Sieger Ihjel. Der Dicke mit den merkwürdigen Ansichten und den bohrenden Fragen. Hatte er Brion verzaubert — wie die Hexe im Märchen? Nein, das war ein lächerlicher Gedanke. Aber er hatte trotzdem etwas getan. Vielleicht nur eine Idee erläutert, während Brions Widerstandskraft geschwächt war.

Brandd konnte seinen Verdacht nicht begründen, glaubte aber sicher zu wissen, daß Ihjel an seinem Dilemma schuld war.

Er stieß einen leisen Pfiff aus, und der wieder instand gesetzte Lautsprecher unter dem Fernsehschirm klirrte. Die diensthabende Krankenschwester erschien auf dem Bildschirm.

»Schwester, wissen Sie, wo der Mann ist, der heute bei mir war?« fragte Brion. »Sieger Ihjel. Ich muß mit ihm sprechen.«

Die Schwester schwieg einen Augenblick verwirrt, dann entschuldigte sie sich hastig und schaltete das Gerät aus. Als der Bildschirm wieder aufleuchtete, hatte ein uniformierter Wachposten ihre Stelle eingenommen.

»Sie haben sich nach Sieger Ihjel erkundigt«, sagte der Mann. »Er wird hier im Krankenhaus festgehalten, nachdem er gewaltsam bei Ihnen eingedrungen ist.«

»Ich habe ihm nichts vorzuwerfen. Wollen Sie dafür sorgen, daß er mich sofort aufsucht?«

Der Posten beherrschte sich nur mühsam. »Tut mir leid, Sieger — das kann ich unmöglich. Dr. Caulry hat ausdrücklich befohlen, daß Sie auf keinen Fall…«

»Dr. Caulry kann mir mein Privatleben nicht vorschreiben«, unterbrach ihn Brion. »Schließlich leide ich nicht an einer ansteckenden Krankheit, sondern bin nur ein bißchen erschöpft. Ich will Ihjel sprechen. Sofort.«

Der Uniformierte holte tief Luft, fand sich aber doch in das Unvermeidliche. »Gut, ich werde ihn benachrichtigen.«

»Was hast du mit mir angestellt?« fragte Brion, als er mit Ihjel allein war. »Du willst doch nicht etwa bestreiten, daß du mir diese komischen Gedanken in den Kopf gesetzt hast?«

»Nein, das leugne ich keineswegs ab. Schließlich bin ich einzig und allein hier, um dir diese ›komischen‹ Gedanken näherzubringen.«

»Ich möchte wissen, wie du das fertiggebracht hast«, drängte Brion. »Ich muß es wissen.«

»Ich werde es dir erklären — aber du mußt noch ein paar andere Dinge begreifen, bevor du dich dafür entscheidest, daß du Anvhar verlassen willst. Du darfst sie dir nicht nur anhören, sondern mußt auch daran glauben. Zunächst — und das ist der Schlüssel zu allem anderen — brauchst du Klarheit über das Leben, das wir hier gewöhnt sind. Wie sind deiner Meinung nach die Spiele entstanden?«

Bevor er antwortete, nahm Brion eine doppelte Dosis des milden Anregungsmittels, das ihm der Arzt verschrieben hatte. »In diesem Punkt habe ich keine Meinung, sondern kann mich auf Tatsachen stützen«, gab er zurück. »Der Beginn läßt sich eindeutig festlegen. Der Gründer der Spiele hieß Giroldi, die ersten Wettkämpfe fanden im Jahre 378 n. Z. statt. Seitdem wurden die Spiele regelmäßig jedes Jahr veranstaltet. Zu Anfang fanden sich nur wenige Teilnehmer, aber im Laufe der Jahre beteiligten sich immer mehr Männer und Frauen daran.«

»Richtig«, bestätigte Ihjel. »Aber du hast eben beschrieben, was geschah. Ich habe dich gefragt, wie es zu den Spielen kam. Wie kommt es, daß ein einzelner Mann einen ganzen Planeten, der von halbverrückten Jägern und ständig alkoholisierten Farmern bewohnt wird, in ein Musterbeispiel für eine tadellos funktionierende Gesellschaftsordnung verwandeln kann, die auf den Spielen basiert? Klingt das nicht reichlich unwahrscheinlich?«

»Er hat es aber geschafft!« widersprach Brion. »Das kannst du nicht bestreiten. Und die Spiele sind keine Einrichtung, die den Menschen aufgezwungen wurde. Im Gegenteil, auf einem Planeten wie dem unseren, sind sie aus logischen Gründen erforderlich.«

Ihjel lachte ironisch. »Sehr logisch«, meinte er, »aber wie oft passiert es deiner Meinung nach, daß Regierungen oder Gesellschaftsgruppen logische Entscheidungen treffen? Du denkst nicht richtig nach. Versetze dich doch einmal in Giroldis Lage. Stelle dir vor, daß du die Spiele ›erfunden‹ hast. Dann besteht deine nächste Aufgabe darin, daß du die anderen von dieser Idee überzeugst. Folglich näherst du dich bescheiden dem nächsten verlausten, grobschlächtigen, abergläubischen und trinkfesten Jäger, um ihn zu überzeugen. Du machst ihm klar, daß Dinge wie Sonetteschreiben oder Schach sein Leben interessanter und lebenswerter machen könnten. Du darfst es ruhig versuchen — halte aber die Augen offen und nimm dich vor seinen Fäusten in acht!«

Selbst Brion mußte über diesen absurden Vorschlag lachen.

Nein, so konnte es nicht gewesen sein. Aber trotzdem mußte es eine einleuchtende Erklärung dafür geben.