»Überzeugen hätte er sich nie lassen«, stellte Ihjel fest. »Aber die Gesellschaft für kulturelle Beziehungen verfügt über einigen Einfluß auf Anvhar. Ich muß zugeben, daß ich den guten Mann mehr oder weniger erpreßt habe.« Er nahm den Lochstreifen auf, der aus dem Kursrechner lief. »Wir haben reichlich Zeit, aber ich persönlich möchte lieber in der Nähe des Ziels warten. Am besten starten wir, nachdem das Stasisfeld den Minimalwert erreicht hat.«
Ein Feld dieser Art ist so undurchdringlich, daß weder Körper noch Geist eines darin befindlichen Menschen für äußere Eindrücke empfänglich sind. Im Innern des Feldes machen sich weder Gewicht, Andruck noch Schmerzen bemerkbar. Falls dieser Zustand nicht sehr lange andauert, wird auch das Zeitgefühl ausgeschaltet.
Nach Brions Empfinden drückte Ihjel den Schalter herunter und sofort wieder nach oben in die Ausgangsstellung zurück. Das Raumschiff hatte sich nicht verändert, aber die Dunkelheit vor den Bullaugen war jetzt von roten Streifen durchzogen — ein Zeichen dafür, daß sie sich im Hyperraum befanden.
»Wie fühlst du dich?« fragte Ihjel.
Das automatisierte Raumschiff hatte sich offensichtlich dieselbe Frage gestellt. Der Tastarm, der außerhalb des um Brion aufgebauten Stasisfeldes geblieben war, senkte sich und berührte sein Handgelenk. Der Arzt auf Anvhar hatte das Elektronengehirn des Schiffs entsprechend programmiert. Brions Körperfunktionen wurden mit den errechneten Durchschnittswerten verglichen. Anscheinend war alles in bester Ordnung, denn die einzige Reaktion des Geräts bestand in der erwarteten Injektion von Traubenzucker und Vitaminen.
»Ich kann nicht behaupten, daß es mir überragend gut geht«, antwortete Brion. »Aber jeden Tag wird es etwas besser — langsam, aber sicher.«
»Hoffentlich, denn wir brauchen etwa zwei Wochen, bis wir Dis erreicht haben. Glaubst du, daß du bis dahin wieder in Form bist?«
»Hm, das kann ich nicht versprechen«, meinte Brion und spannte prüfend die Armmuskeln. »Aber ich nehme es ziemlich sicher an. Morgen beginne ich mit leichten Übungen, um wieder in Schwung zu kommen. Schön — jetzt möchte ich, daß du mir mehr über Dis und die Aufgabe erzählst, die uns dort erwartet.«
»Ich will mir eine Wiederholung sparen, deshalb mußt du dich noch kurze Zeit gedulden. Wir nähern uns jetzt einem Treffpunkt, an dem wir einen weiteren Mitarbeiter aufnehmen sollen. Unser Team besteht aus drei Leuten — du, ich und ein Exobiologe. Sobald er an Bord ist, werde ich euch beide gemeinsam einweisen. Vorläufig kannst du dich nur mit der Lernmaschine beschäftigen, damit du den eigenartigen Dialekt der Bewohner von Dis so schnell wie möglich beherrschst.«
Brion stellte schon nach kurzer Zeit fest, daß Grammatik und Wortschatz dieser Sprache keine großen Schwierigkeiten aufwiesen. Aber die Aussprache war nicht so leicht zu erlernen. Fast alle Endungen wurden verschluckt oder gingen in einer Art Gurgeln unter. Ihjel verließ die Kabine, als Brion seine Aussprache mit Hilfe eines Stimmspiegels zu korrigieren versuchte, und behauptete dabei, daß die schrecklichen Geräusche seiner Verdauung abträglich seien.
Ihr Raumschiff raste weiterhin auf dem festgelegten Kurs durch den Hyperraum. Es hielt seine zerbrechliche menschliche Fracht warm, versorgte sie mit Essen und lieferte ihr atembare Luft. Es hatte den Auftrag, Brions Gesundheitszustand regelmäßig zu überprüfen, deshalb kontrollierte es ihn und verglich die Ergebnisse mit den angegebenen Werten. Ein anderer Teil des Elektronengehirns zählte gleichmäßig eine Mikrosekunde nach der anderen ab und betätigte schließlich ein Relais, als die vorgeschriebene Anzahl verstrichen war. Eine Lampe blinkte auf, dann ertönte ein durchdringender Summer.
Ihjel gähnte, legte den Bericht beiseite, mit dem er sich beschäftigt hatte, und ging wieder in die Steuerzentrale zurück. Er fuhr zusammen, als er an der Kabine vorbeikam, in der Brion sich ein Tonband mit dem Ergebnis seiner Bemühungen um richtige Aussprache anhörte.
»He, Brion, langsam ist es Zeit, daß du deinen röchelnden Brontosaurier abstellst und dich wieder anschnallst!« rief er durch die dünne Tür. »Wir treten bald wieder in den Normalraum ein.«
Der menschliche Geist kann über die unendlichen Entfernungen zwischen den Sternen nachgrübeln, aber er wird sie nie richtig begreifen oder erfassen. Auf der Hand eines Mannes markiert, scheinen zehn Zentimeter eine beträchtliche Strecke zu sein. Im interstellaren Raum ist ein Würfel mit hunderttausend Kilometer Seitenlänge eine mikroskopisch kleine Einheit. Das Licht überwindet diese Entfernung in Bruchteilen von Sekunden. Für ein Raumschiff, das sich mit Überlichtgeschwindigkeit bewegt, ist der Würfel wesentlich kleiner. Theoretisch ist es unmöglich, einen bestimmten Raum mit diesen Ausmaßen genau anzusteuern. Technisch gesehen war es ein beliebig oft wiederholbares Wunder, das zu häufig war, um noch Interesse zu erwecken.
Brion und Ihjel waren angeschnallt, als der Hyperantrieb plötzlich aussetzte, wodurch sie wieder in das normale Raum-Zeit-Kontinuum eintraten. Die beiden Männer lösten ihre Gurte noch nicht, sondern blieben ruhig sitzen und betrachteten die Sterne vor sich. Sie warteten, bis der Elektronenrechner genügend Sterne anvisiert hatte, um daraus ihre genaue Position im Raum zu errechnen. Ein Warnsignal ertönte, dann schaltete sich der Antrieb nochmals ein und so schnell wieder aus, daß inzwischen nur Hundertstelsekunden vergangen waren. Dies geschah noch zweimal, bis ihre Position so gut wie möglich bestimmt war. Dann leuchtete das Zeichen NAVIGATIONSANTRIEB AUS grün auf. Ihjel schnallte sich los, ging zum Kühlschrank hinüber und kam mit zwei Flaschen Bier zurück.
Ihjel hatte die zur Verfügung stehende Zeit sehr genau berechnet. Weniger als zehn Stunden nach ihrer Ankunft drang ein starkes Funksignal aus dem Empfänger. Sie schnallten sich wieder an, als das Zeichen NAVIGATIONSANTRIEB EIN rot aufleuchtete.
Ein anderes Raumschiff war in verhältnismäßig geringer Entfernung in den Normalraum eingetreten und war dort nur lange genug geblieben, bis es ein Signal auf einer vereinbarten Frequenz ausgestrahlt hatte. Ihjels Schiff hatte den Empfang bestätigt. Daraufhin hatte das Passagierschiff eine Raumkapsel ausgestoßen und war wieder im Hyperraum verschwunden, um sein entferntes Ziel anzusteuern.
Ihjels Schiff folgte dem Signal, das es empfangen hatte. Dieses Signal war auf Tonband aufgenommen und genauestens untersucht worden. Auftreffwinkel, Signalstärke und Polarisationsebene wurden zur Berechnung des Kurses und der Entfernung herangezogen. Wenige Minuten genügten, um das Schiff in die Nähe des schwächeren Senders der abgeworfenen Kapsel zu bringen. Eine Orientierung nach diesem Signal war so einfach, daß selbst ein menschlicher Pilot der Aufgabe gewachsen gewesen wäre. Die metallisch glänzende Kugel tauchte auf und verschwand wieder, als das Schiff sich um seine Längsachse drehte, um die Luftschleuse in die richtige Lage zu bringen. Der Verriegelungsmechanismus trat automatisch in Tätigkeit.
»Du kannst gleich hinuntergehen und den Käferspezialisten hereinlassen«, sagte Ihjel. »Ich muß hierbleiben und die Instrumente überwachen.«
»Was habe ich dabei zu tun?«
»Zieh dir einen Raumanzug an und öffne die Luftschleuse. Die Kapsel besteht zum größten Teil aus einer dünnen Metallfolie, deshalb brauchst du nicht lange nach einem Eingang zu suchen. Du nimmst einfach den Öffner aus der Werkzeugkiste und schneidest damit ein Loch in die Außenwand. Nachdem Dr. Morees an Bord ist, gibst du dem Ding einen kräftigen Stoß. Aber vorher mußt du das Funkgerät herausholen, weil es sich wieder verwenden läßt.«
Das Werkzeug sah wie ein riesiger Büchsenöffner aus. Brion tastete die Folie ab, die sich über das Einstiegsluk spannte, um ganz sicherzugehen, daß niemand dahinter stand. Dann bohrte er ein Loch in die dünne Metallschicht und legte das Luk mit kräftigen Schnitten frei. Dr. Morees zwängte sich rasch hindurch und stieß Brion beiseite.