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Igan ging rasch weg und sah zur offenen Tür hinaus. Natürlich hat Max Allgood Angst, dachte er; er lebt in einem Nebel von Angst, bekannt oder namenlos, ebenso wie die Regenten … Arme Geschöpfe!

»Es ist soweit«, sagte Boumour.

Die Quarantänebarriere hatte sich gehoben. Die drei Männer betraten die große Ratshalle mit ihren Adamantinwänden über leeren Bankreihen aus Plasmeld. Schleier parfümierter Luft wehten ihnen entgegen und wichen zur Seite, sobald sie ihren Duft atmeten.

Die Diener der Regenten traten aus dem Schatten hervor und gesellten sich zu ihnen; sie trugen grüne Umhänge, die an den Schultern mit Diamantspangen befestigt waren. Hirtenflöten aus Platin waren in die grünen Gewänder eingewoben, und aus goldenen Weihrauchfässern stiegen Wolken rosafarbenen antiseptischen Rauches auf.

Allgood richtete seine Aufmerksamkeit auf das Ende der Halle. Eine riesige Kugel, rot wie ein Paradiesapfel, hing dort an Schwingbalken. Sie maß etwa vierzig Meter im Durchmesser; ein Stück war zurückgeschlagen, und durch dieses Segment konnten sie einen Blick ins Innere der Kugel tun. Sie war das Kontrollzentrum der Tuyère, das Werkzeug ihrer seltsamen Kräfte und Sinne, mit denen sie ihre Untertanen regierten. Blitze zuckten durch phosphorgrüne und blaue, knisternde Bogen. Große, runde Skalen gaben Nachrichten durch und rote Lichter beantworteten sie.

Wie der Kern in einer Frucht saß in der Mitte der Kugel eine weiße Säule, darauf genau in ihrem Herzen eine dreieckige Plattform. Jede Ecke trug einen goldenen Plasmeldthron für das Trio, das als die Tuyère bekannt war — Freunde, Gefährten, die gewählten Regenten für dieses Jahrhundert, das noch achtundsiebzig Dienstjahre vor sich hatte. Die Zeit lief ihnen davon; das war manchmal ärgerlich und oft beunruhigend, denn sie mußten sich der Wirklichkeit stellen, die von allen anderen Regenten nur beschönigt wurde.

Die Diener blieben etwa zwanzig Schritte vor der roten Kugel stehen, schwangen aber noch immer ihre Weihrauchfässer. Allgood trat einen Schritt vor und bedeutete Boumour und Igan, hinter ihm zu bleiben. Der Sicherheitschef wußte genau, wie weit er zu gehen hatte — bis an die Grenze des Möglichen. Sie brauchen mich, sagte er zu sich selbst. Aber er gestattete sich keine Illusionen über die Gefährlichkeit dieser Unterredung. Allgood blickte nach oben. Ein tanzendes Spitzenwerk legte einen durchscheinenden Schleier über das Innere der Kugel. Durch ihn sah er Umrisse und Gestalten, bald klar, bald verschwommen.

»Ich bin gekommen«, sagte Allgood.

Boumour und Igan wiederholten den Gruß und erinnerten sich all jener Zeremonien, die unbedingt einzuhalten waren: Es ist immer der Name jenes Regenten zu nennen, der angesprochen wird. Ist der Name nicht bekannt, so ist er demütig zu erfragen.

Allgood wartete auf die Antwort der Tuyère. Manchmal hatten sie überhaupt kein Zeitgefühl; das konnte stimmen. Ein unendliche Lebensspanne läßt Jahre wie den Schlag einer Uhr empfinden.

Die Thronplattform drehte sich und zeigte einen der Tuyère nach dem anderen. Sie saßen dort in eng anliegenden, durchscheinenden Gewändern, die sie fast nackt erscheinen ließen. Das sollte die Ähnlichkeit mit den Nur-Menschen demonstrieren. Nun schwebte Nourse, eine griechische Göttergestalt mit einem Gesicht wie aus Holz geschnitzt und schweren Brauen, an dem offenen Segment vorüber. Seine kräftigen Brustmuskeln hoben sich mit jedem Atemzug. Wie gleichmäßig er atmete!

Als nächster erschien Schruille, der Überschlanke, Undurchschaubare mit großen, runden Augen, hohen Wangenknochen und platter Nase über dem schmallippigen, fast mißmutigen Mund. Der war gefährlich. Man behauptete, er spreche Dinge aus, die andere Regenten nicht zu sagen wagten. In Allgoods Gegenwart hatte er sogar einmal das Wort ›Tod‹ erwähnt, wenn es sich auch nur auf einen Schmetterling bezog.

Als dritte erschien Calapine; sie trug kristallene Schärpen als Gürtel. Sie war eine schlanke Frau mit hohen Brüsten, goldbraunem Haar und kalten, überheblichen Augen; ihr Mund war voll, die Nase lang, das Kinn ausgeprägt spitz. Manchmal hatte Allgood bemerkt, daß sie ihn ganz seltsam ansah. Dann versuchte er nicht an die Regenten zu denken, die sich Nur-Menschen zum Gefährten nahmen.

Nourse sprach mit Calapine und sah sie durch den Prismenreflektor an, mit dem jeder Thron ausgestattet war. Sie antwortete, aber die Stimmen waren unten nicht vernehmbar.

Allgood beobachtete dieses Zwischenspiel, um herauszufinden, wie sie gelaunt waren. Das Volk wußte, daß Nourse und Calapine durch mehr als hundert Lebensalter der Nur-Menschen Bettgefährten waren. Nourse hatte den Ruf der Stärke und Ausgewogenheit, aber Calapine war wild und unberechenbar. Fiel ihr Name, so fragte sicher jemand: Was hat sie denn jetzt wieder getan? Das klang dann immer nach angstvoller Bewunderung. Allgood kannte diese Angst. Er hatte schon für andere Trios gearbeitet, aber noch keines hatte dieses Format besessen.

Der Thron mit Nourse hielt an dem offenen Segment an. »Du bist gekommen«, polterte er, »natürlich bist du gekommen. Der Ochse kennt seinen Besitzer und der Esel seines Herrn Krippe.«

Calapine drehte ihren Thron herum, so daß sie auf die Nur-Menschen niederblicken konnte. Die Ratshalle war nach dem Vorbild des altrömischen Senats gebaut worden mit Säulen aus Plasmeld und Bankreihen unter glitzernden Teleskopaugen. Alle konzentrierten sich auf die Gestalten, die allein dort unten standen.

Igan sah nach oben und erinnerte sich daran, daß er diese Kreaturen sein Leben lang gehaßt und gefürchtet hatte, selbst wenn er sie bemitleidete. Welches Glück, nicht zum Regenten geformt worden zu sein! Ich war nahe daran, dachte er, aber ich wurde davor bewahrt. Seine Kindheit war von Haß erfüllt; erst später lernte er sie zu bemitleiden. Das war dann eine klare Angelegenheit, hart und real, ein Strahl, gerichtet gegen die Spender der Zeit.

»Wir kamen, wie gewünscht, um über die Durants zu berichten«, sprach Allgood. Er holte tief Atem. Solche Sitzungen waren immer äußerst gefährlich, doppelt gefährlich, seit er ein doppeltes Spiel spielte. Es gab keinen Weg zurück, auch nicht den Wunsch nach einer Umkehr, seit er seine Doppelgänger entdeckt hatte, die heranwuchsen. Es gab nur einen einzigen Grund dafür: nun, sie würden ihn erfahren.

Calapine musterte Allgood und überlegte, ob sie bei diesem häßlichen Mann aus dem Volk Zerstreuung suchen sollte. Vielleicht war das ein Mittel gegen Langeweile.

»Sag, kleiner Max, was wir dir geben«, forderte sie ihn auf.

Ihre sanfte Stimme hatte einen Unterton von Lachen, doch sie erschreckte ihn. Allgood schluckte. »Ihr gebt Leben, Calapine«.

»Sag, wieviel gute Jahre du erlebt hast?«

Die Kehle war ihm wie zugeschnürt. »Fast vierhundert, Calapine«, krächzte er.

Nourse kicherte. »Und vor dir liegen noch viele schöne Jahre, wenn du uns gut dienst«, sagte er.

Das kam einer Drohung recht nahe. Sie erzwangen ihren Willen auf indirektem Weg, mit subtiler Erpressung. Sie versicherten sich der Dienste jener Nur-Menschen, die Worte wie ›Tod‹ und ›töten‹ ertrugen.

Wen haben sie geformt, mich zu vernichten? überlegte Allgood.

»Viele schöne Jahre«, sagte Calapine.

»Genug!« murrte Schruille. Er verachtete solche Unterhaltungen Calapines mit der Unterklasse. Er drehte seinen Thron, und nun sahen alle drei der Tuyère durch das offene Segment. Schruille besah seine Hände mit der ewig jungen Haut. Warum war er wohl eben so heftig geworden? War es eine Unausgewogenheit der Enzyme? Dieser Gedanke beunruhigte ihn. Meistens schwieg er bei solchen Sitzungen, denn er neigte dazu, diese armen NurMenschen zu bedauern, und hernach verachtete er sich dafür.

»Wünschen die Tuyère nun den Bericht über die Durants?« fragte Boumour.

Allgood wurde wütend. Wußte dieser Narr denn nicht, daß die Unterhaltung wenigstens scheinbar immer von den Regenten geführt wurde?