»Igan!« Es war Allgood, der rief.
Sie drehten sich um und warteten auf ihn. Allgood stellte sich, die Hände in die Hüften gestemmt, vor ihnen auf. »Verehrt ihr sie auch?«
»Rede keinen Unsinn«, antwortete Boumour.
»Nein«, sagte Allgood. Seine Augen über den hohen Backenknochen schienen tief in die Höhlen gesunken zu sein. »Ich gehöre keinem Kult an, keiner Züchterkongregation. Wie kann ich sie also verehren?«
»Aber du tust es«, stellte Igan fest.
»Ja!«
»Sie sind die wirkliche Religion unserer Welt«, erklärte Igan. »Du brauchst keinem Kult anzugehören und auch keinen Talisman zu tragen, um das zu wissen. Calapine hat dir nur gesagt, daß all jene, die einer Verschwörung angehören — falls es eine gibt —, Häretiker sind.«
»Hat sie das wirklich gemeint?«
»Ja, selbstverständlich.«
»Und sie weiß, was mit Häretikern geschieht«, sagte Allgood.
»Zweifellos«, bekräftigte Boumour.
6
Svengaard hatte dieses Gebäude in den Unterhaltungssendungen des dreidimensionalen Fernsehens gesehen, es war ihm auch schon beschrieben worden, doch tatsächlich vor der Ratshalle und ihrer Quarantänewand zu stehen und sie im Kupferglanz der untergehenden Sonne zu sehen — davon hatte er nicht einmal zu träumen gewagt.
Auf einer Säule neben ihm leuchtete das rote Dreieck einer pharmazeutischen Zapfstelle auf. Er ging daran vorbei und warf einen Blick zurück.
Er hatte in einer Tunnelbahn den halben Kontinent durchquert und er hatte sogar einen Wagen für sich allein gehabt; nur der Sicherheitsagent, seine Eskorte, war immer bei ihm gewesen. Immer war dieser Agent in Grau neben ihm.
Svengaard stieg die Stufen hinauf, und schon lastete die Zentrale auf ihm. Etwas Unheilvolles lag über diesem Ort.
Warum haben sie mich zu kommen aufgefordert? fragte er sich. Die Eskorte weigerte sich, darauf zu antworten. Doch Svengaard bemerkte, daß auch die Eskorte nervös war.
Warum haben sie mich gerufen? überlegte er wieder.
Der Agent räusperte sich. »Du hast doch deine Protokolle bei der Hand?«
»Ich denke ja«, antwortete Svengaard.
»Sobald du die Halle betrittst, mußt du mit den Dienern, die dich von hier aus geleiten, Schritt halten. Die Tuyère werden dich vernehmen — Nourse, Schruille und Calapine. Denke daran, du mußt immer den Namen nennen, sprichst du einen von ihnen direkt an. Verwende nie Worte wie ›töten‹ oder ›sterben‹, auch nicht Andeutungen davon. Laß sie die Unterhaltung führen. Niemals freiwillig etwas sagen.«
Svengaard holte zitternd Atem. Haben sie mich hierher geholt, um mich zu befördern? überlegte er. Wahrscheinlich. Ich habe meine Lehrjahre unter Männern wie Potter und Igan abgedient. Ich werde in die Zentrale befördert.
»Und sag niemals ›Doktor‹«, riet der Agent. »Doktoren sind hier Pharmazeuten oder Genetikingenieure.«
»Ich habe verstanden.«
»Allgood will nach der Unterredung einen ausführlichen Bericht haben.«
»Ja, natürlich«, versprach Svengaard.
Die Quarantänebarriere hob sich.
»Geh jetzt hinein«, befahl der Agent.
»Kommst du nicht mit?« fragte Svengaard.
»Nicht eingeladen«, antwortete der Agent. Er drehte sich um und ging die Stufen hinab.
Svengaard schluckte, trat in den Silberschimmer der Vorhalle und erreichte die große Halle. Je drei Diener zu beiden Seiten schwangen ihre Weihrauchfässer, von denen rosafarbene Rauchwolken aufstiegen. Der Rauch roch antiseptisch.
Die große rote Kugel beherrschte das Ende der Halle; aus dem offenen Segment schossen Blitze und flammten Lichter. Die sich drinnen bewegenden Schatten faszinierten Svengaard.
Zwanzig Schritte vor der Öffnung blieben die Diener stehen; er blickte zu den Tuyère hinauf und erkannte sie durch den Energievorhang: Nourse in der Mitte, ihm zur Seite Calapine und Schruille.
»Ich bin gekommen«, sagte Svengaard; das war der Gruß, den der Agent ihm befohlen hatte. Er rieb seine schwitzenden Hände an seinem besten Überrock trocken.
»Du bist also Svengaard, der Genetikingenieur«, polterte Nourse.
»Ja, Thei Svengaard … Nourse«. Er holte tief Atem. Hatten sie sein Zögern bemerkt?
»Kürzlich hast du bei der genetischen Formung eines Embryos assistiert«, sagte Nourse lächelnd, »dem eines Paares namens Durant.«
»Ja, ich war der Assistent, Nourse.«
»Während der Operation gab es eine Panne«, sagte Calapine.
»Ja, eine Panne … Calapine«, antwortete er.
»Und du hast die Operation genau verfolgt?« fragte Nourse.
»Ja, Nourse.« Er sah anschließend Schruille an, der schweigend und nachdenklich dasaß.
»Dann wirst du in der Lage sein zu berichten, was es ist, das Potter uns über diese genetische Umformung verschwiegen hat?« fragte Calapine.
Svengaard schien seine Stimme verloren zu haben. Er schüttelte nur den Kopf.
»Er hat also nichts verheimlicht?« wandte sich Nourse an ihn. »Ist es wahr, was du da sagst?«
Svengaard nickte.
»Wir wollen dir nichts Böses tun, Thei Svengaard«, warf Calapine ein. »Du kannst sprechen.«
Svengaard schluckte und räusperte sich. »Ich … die Frage … ich habe nichts gesehen … was verheimlich wurde.« Er schwieg, erinnerte sich dann aber daran, daß er sie beim Namen zu nennen hatte und fügte hinzu: »Calapine«, gerade als Nourse zum Sprechen ansetzte.
Nourse hielt inne und runzelte die Brauen. Calapine kicherte.
»Und doch«, erinnerte Nourse ihn, »sagtest du, du seist der genetischen Umformung gefolgt.«
»Ich … ich habe das Mikroskop nicht jede Sekunde im Auge behalten … Nourse. Ich … ah … die Pflichten eines Assistenten … Instruktionen an die Computerassistentin, die Aufsicht über die Nährbänder und dergleichen …«
»Sag nun, ob die Computerassistentin mit dir befreundet war«, gebot Calapine.
»Ich … sie …« Svengaards Lippen waren wie ausgetrocknet. Was wollten sie von ihm? »Wir haben seit vielen Jahren zusammengearbeitet, Calapine. Ich kann nicht sagen, daß wir Freunde waren. Wir waren Kollegen.«
»Hast du den Embryo nach der Operation genau untersucht?« wollte Nourse wissen.
Schruille richtete sich auf und starrte Svengaard an.
»Nein, Nourse«, gab Svengaard zu. »Meine Pflichten sahen vor, daß ich mich um die Sicherheit des Bruttanks und die Zufuhr der Nährflüssigkeiten kümmerte.« Er holte tief Atem. Vielleicht wollten sie ihn nur prüfen? Doch wozu diese seltsamen Fragen?
»Sag nun, ob Potter dein besonders guter Freund ist«, befahl Calapine.
»Er war einer meiner Lehrer, Calapine, und ich habe mit ihm an schwierigen genetischen Problemen gearbeitet.«
»Aber nicht in deinem ureigenen Kreis?« fragte Nourse.
Svengaard schüttelte den Kopf. Er spürte Bosheit und Unheil. Er wußte nicht, was ihn erwartete; vielleicht mochte der große Globus über ihn hinwegrollen, ihn zerschmettern, seinen Körper zu Atomen zermahlen. Aber nein, das konnten die Regenten doch nicht tun. Er musterte die drei Gesichter, die sich nun klar durch den Energievorhang abzeichneten, suchte nach irgendeinem Zeichen. Saubere, sterile Gesichter.
»Warum hast du Potter in dieser Sache konsultiert?« fragte Nourse.
Svengaard holte tief Atem. »Er … die genetische Darstellung des Embryos … beinahe Regent. Potter kennt unser Hospital. Er … ich habe Vertrauen zu ihm; ein brillanter Chir … Genetikingenieur.«