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Manchmal wurde Svengaard von dem Gefühl befallen, verwaist zu sein, ein Geschöpf ohne Vergangenheit. Ein Gedanke genügte, ihn aus diesem emotionellen Morast herauszureißen: »Sie sind die Macht, die uns liebt und für uns sorgt.« Sie hatten die Welt fest in der Hand, sie planten die Zukunft, einen Platz für jeden Menschen und jeden Menschen an. seinem Platz. Einige der alten Träume wie Raumfahrt, Nutzung der Meere, philosophisches Forschen, waren nach kurzer Förderung zugunsten wichtigerer Dinge aufgegeben worden; doch der Tag würde kommen, an dem die Rätsel des noch Unbekannten bei der submolekularen Formung gelöst werden konnten.

Inzwischen gab es für die Willigen genug Arbeit: die Erhaltung der Arbeiterbevölkerung, die Unterdrückung und Ausmerzung genetischer Abarten, die Sorge um die genetischen Banken, denen selbst die Regenten entstammten.

Svengaard schob das Mesonenmikroskop über den Bruttank der Durants und stellte es auf kleine Verstärkung ein, um die Heisenberginterferenz so gering wie möglich zu halten. Es konnte nicht schaden, nochmal einen Blick hineinzuwerfen; vielleicht gelang es ihm, die Leitzelle zu lokalisieren und damit Potter die Arbeit zu erleichtern. Er konnte der Versuchung nicht widerstehen, diesen Keimling zu studieren, der ungeheure Fähigkeiten versprach und vielleicht zum Regenten geformt werden konnte. Wunder geschahen ja so selten. Er knipste den Schalter, stellte das Mikroskop ein …

Er seufzte tief. »Ahhhh …«

So passiv erschien der Keimling unter der schwachen Verstärkung; kein Pulsieren, denn er lag in Stasis — und doch so schön in seinem Dämmerschlaf! So unwahrscheinlich, daß er die Arena uralter Kämpfe sein sollte.

Svengaard legte die Hand auf die Verstärkerschraube, zögerte aber. Eine starke Vergrößerung brachte Gefahren mit sich, aber Potter konnte kleine Schäden an Mesoneninterferenzen wieder ausgleichen. Und die starke Vergrößerung war eine riesige Versuchung.

Er verdoppelte sie.

Noch mal.

Die Vergrößerung reduzierte immer die Erscheinungen der Stasis. Bewegung zeigte sich, und am Bildrand bemerkte er fischartige Zuckungen. Aus der schwärmenden Arena stieß die dreifache Spirale der Nukleotiden heraus, die ihn veranlaßt hatte, Potter zu rufen. Fast ein Regent. Nahezu die schöne Vollkommenheit der Form, des Geistes, die ein unendliches Ausgewogensein des Lebens versprach, wenn es durch kunstvoll errechnete Enzymgaben gestützt wurde.

Ein Gefühl des Verlorenseins überfiel Svengaard. Seine eigene Rezeptur hielt ihn am Leben, brachte ihn jedoch langsam um. Das war das Schicksal aller Menschen. Sie konnten zweihundert Jahre und länger leben, aber schließlich versagte sie doch — nur nicht bei den Regenten. Sie waren vollkommen, begrenzt nur von ihrer physischen Sterilität, aber die war das Schicksal vieler Menschen.

Er konzentrierte sich auf den Keimling. Eine schwefelhaltige Aminosäuredependenz zeigte bei dieser Verstärkung eine schwache Bewegung. Erschüttert erkannte Svengaard, was es war: Isovaltin, ein genetisches Merkmal für latentes Myxödem, ein Hinweis auf eine mögliche Schilddrüsenfehlfunktion. Das war ein beunruhigender Makel bei der sonstigen Vollkommenheit. Potter mußte auf der Hut sein.

Svengaard reduzierte die Vergrößerung, um die Knorpelstruktur des Keimlings zu studieren. Er folgte der eingestülpten Kernmembrane bis zur abgeflachten, sackähnlichen Kante, kehrte zur äußeren zweiten Membrane zurück, konzentrierte sich auf die hydrophile äußere Kammer. Ja … das Isovaltin bedurfte vermutlich der Verbesserung; dann war diese Morula perfekt.

Eine flatternde Bewegung zeigte sich am Rand des mikroskopischen Feldes. Svengaard erstarrte. Du lieber Gott, nein! dachte er.

Wie festgefroren stand er über dem Okular, als er etwas sah, was, soviel ihm bekannt war, nur achtmal in der Geschichte der Keimformung vorgekommen war: Eine dünne Linie ähnlich einem weit entfernten Kondensstreifen schob sich von links her in die Zellstruktur. Sie wand sich durch eine gedrehte Schlange von Alphaschrauben, griff nach den gebogenen Enden der Polypeptidketten in einem Myosinmolekül, drehte sich und löste sich auf.

Wo vorher die Linie war, lag nun eine neue Struktur in der Größe von ungefähr vier Angström im Durchmesser und tausend Angström lang — Spermprotamin, auffallend reich an Arginin. Die Proteinproduktion des Zellplasmas veränderte sich, kämpfte gegen die Stasis, richtete sich wieder aus. Svengaard erkannte nach der Beschreibung der acht vorhergegangenen Fälle genau, was vor sich ging. Das ADP-ATP-Austauschsystem vervollkommnete sich — wurde ›resistent‹. Die Arbeit des Chirurgen war nun unendlich schwieriger geworden.

Potter wird toben, dachte Svengaard.

Er wandte sich vom Mikroskop ab und richtete sich auf, wischte den Schweiß von seinen Händen und warf einen Blick auf die Uhr. Weniger als zwei Minuten waren vergangen. Die Durants waren jetzt noch nicht einmal in ihrer Zelle angelangt. Aber in diesen zwei Minuten hatte irgendeine Kraft, eine Energie von außen her im Embryo eine anscheinend sinnvolle Berichtigung vorgenommen.

Konnte es das sein, was das Sicherheitsamt und die Regenten aufgerüttelt hatte?

Er schüttelte den Kopf. Nein! Es war nicht zweckmäßig, es war reiner Zufall, sonst nichts.

Aber der Gedanke ließ ihn nicht los.

Wie plump doch meine Arbeit ist, verglichen damit! dachte er. Ich muß Potter darüber berichten. Er muß diese verdrehte Kette formen … wenn er es noch kann, jetzt, wo sie resistent ist.

Von Unruhe erfüllt und absolut nicht befriedigt von dem eben geschauten Zufall begann Svengaard die letzten Überprüfungen des Labors.

Alles in Ordnung.

So mußte es sein. Der Embryo der Durants, dieses wundervolle Wesen mit seinem einmaligen Potential, war nun resistent, ein unbekanntes Geschöpf, nicht zu bestimmen — wenn Potter Erfolg hatte, wo andere versagten.

2

Dr. Vyaslav Potter blieb auf seinem Weg ins Hospital am Berichtstisch stehen. Er war müde von der langen, beschwerlichen Fahrt von der Zentrale nach Seatac; trotzdem erzählte er der grauhaarigen Pflegerin vom Dienst einen abgestandenen Witz. Sie kicherte und griff nach Svengaards neuestem Bericht über den Embryo der Durants, legte ihn vor Potter und schaute ihn an. Der warf einen Blick auf das Deckblatt des Berichtes und sah der Pflegerin in die Augen.

Ist denn das möglich? wunderte er sich. Aber nein, sie ist zu alt; wäre kaum noch eine gute Gefährtin. Und eine Zuchterlaubnis würden uns die Großköpfe auch nicht geben. Er rief sich ins Gedächtnis, daß er ein Zeek war, ein J411118ZK. Eine Zeitlang war in der Region Timbuktu die Keimformung nach dem Zeekmodell recht populär gewesen. Sie brachte schwarzes Kraushaar hervor, eine Haut, die um eine Schattierung heller war als Milchkaffee, weiche braune Augen und ein Vollmondgesicht, das äußerste Würde ausdrückte; und dieses Gesicht saß auf einem großen starken Körper. So also sah ein Zeek aus. Vyaslav Potter war ein Zeek.

Diese Form hatte noch einen Regenten hervorzubringen, gleich ob männlich oder weiblich; niemals aber gab es einen lebensfähigen Keimzellenpartner.

Potter hatte schon vor langer Zeit aufgegeben. Er gehörte zu jenen, die dafür sprachen, diese Zucht nicht weiterzuführen. Er dachte an die Regenten, mit denen er zu tun hatte und spöttelte über sich selbst, doch dieses Spötteln war nicht mehr mit Bitterkeit gemischt.

»Wissen Sie«, sagte er und lächelte die Pflegerin an, »diese Durants, deren Embryo ich heute morgen habe, die habe ich beide geformt. Vielleicht bin ich schon zu lange in dem Geschäft.«

»Ach, Doktor, machen Sie nur weiter«, antwortete sie und wandte ihm den Kopf zu, »Sie sind doch kaum mittleren Alters und schauen keinen Tag älter aus als hundert.«

»Aber jetzt sind diese Kinder da«, fuhr er fort und sah sich den Bericht an, »und sie bringen mir ihren Embryo zum Formen. Und ich …« Er zuckte die Achseln.