»Werden Sie es ihnen sagen?« fragte sie. »Ich meine, daß Sie die beiden geformt haben.«
»Wahrscheinlich sehe ich sie nicht einmal«, antwortete er. »Sie wissen doch, wie es ist. Aber jedenfalls gibt es noch Leute, die mit ihrer Formung zufrieden und glücklich sind. Manchmal möchten sie vielleicht ein bißchen mehr von dem, etwas weniger von jenem haben. Dann schimpfen sie natürlich auf den Chirurgen. Sie verstehen die Probleme nicht, vor denen man im Formungsraum steht, und sie können sie ja auch nicht verstehen.«
»Die Durants scheinen aber recht gut gelungen zu sein«, meinte sie. »Normal, glücklich … vielleicht ein bißchen zu sehr besorgt um ihren Sohn, aber…«
»Ihr Gentyp ist einer der erfolgreichsten«, erwiderte er, »und hier ist der Beweis: Sie haben einen lebensfähigen Keimling mit beträchtlichen Möglichkeiten.« Er hob einen Daumen zu einer Geste, die Regentschaft ausdrückte.
»Darauf können Sie aber sehr stolz sein. Meine Familie hatte in hundertneunundachtzig Jahren nur fünfzehn lebensfähige Keimlinge und niemals einen…« Sie wiederholte Potters Geste.
Er verzog den Mund zu einer Grimasse des Selbstmitleids. Warum ließ er sich auf solche Unterhaltungen, besonders mit Pflegerinnen, überhaupt ein? Vielleicht war es dieser kleine Hoffnungsfunke, der niemals starb. Er entstammte der gleichen Ursache wie die wilden Gerüchte, das Geschwätz über die ›Zuchtärzte‹, der schwarze Markt für ›echte‹ Geheimmittel. Daher stammten auch die vielverkauften Figürchen der Regentin Calapine, von der das Gerücht erzählte, sie habe einen lebensfähigen Keimling produziert. Daher kam es auch, daß die großen Zehen der Fruchtbarkeitsidole unter den Küssen der Hoffenden zusammenschrumpften. Seine höhnische Selbstbemitleidung wurde zum Zynismus. Hoffnung! Wenn sie wüßten …!
»Wußten Sie, daß die Durants zusehen wollen?« fragte die Pflegerin.
Er zuckte zusammen und schaute sie an.
»Im ganzen Hospital wird davon geredet«, erzählte sie. »Das Sicherheitsamt ist ganz kribbelig. Man hat die Durants genau geprüft, und jetzt sind sie in Zelle Fünf mit geschlossener Leitung zum Labor.«
Er wurde wütend. »Zum Teufel! Kann man in diesem Narrenhaus überhaupt nichts Vernünftiges tun?«
»Aber, aber, Doktor«, tadelte sie, »es besteht doch gar kein Grund dafür, die Ruhe zu verlieren. Die Durants haben sich auf das Gesetz berufen. Das bindet uns die Hände, und das wissen Sie ja selbst.«
»Verdammtes, blödsinniges Gesetz«, knurrte Potter, aber sein Zorn war schon wieder verflogen. Das Gesetz, dachte er, diese verdammte Maskerade. Er mußte allerdings zugeben, daß dieses Gesetz notwendig war, denn ohne dieses Staatsgesetz 10 927 hätten die Leute doch nur die falschen Fragen gestellt. Sicher hatte Svengaard auch getan, was er konnte, um den Durants das Zusehen auszureden.
»Tut mir leid, daß ich so wütend wurde«, murmelte Potter und grinste entschuldigend. »Ich habe eine schwere Woche hinter mir.«
»Wollen Sie noch einen Bericht haben, Doktor?« fragte die Pflegerin.
Der Kontakt war abgerissen, das wußte Potter. »Nein, danke«, antwortete er, nahm den Bericht über die Durants und eilte zu Svengaards Büro. Dieses Pech — Beobachter! Natürlich bedeutete das eine ganze Menge Mehrarbeit.
Er traf mit Svengaard vor dessen Büro zusammen und erhielt von ihm einen kurz zusammengefaßten Bericht, Svengaard äußerte sich dann zu den von ihm getroffenen Sicherheitsmaßnahmen.
»Ich gebe keinen Pfifferling für das, was die Leute vom Sicherheitsdienst sagen«, fauchte Potter. »Wir haben neue Instruktionen. Der zentrale Hilfsdienst muß in jedem derartigen Fall zugezogen werden.«
Sie betraten Svengaards Büro. Es hatte eine imitierte Holztäfelung; das Fenster bot einen Ausblick auf Dachgärten und Terrassen, und alles bestand aus dem allgegenwärtigen regenerativen Dreiphasenplasmeld. Nichts durfte in dieser besten aller von Übermenschen regierten Welten altern oder verderben; nichts, außer den Menschen.
»Zentraler Hilfsdienst?« fragte Svengaard.
»Keine Ausnahmen«, erklärte Potter. Er saß in Svengaards Sessel, hatte die Füße auf den Tisch gelegt, und das Telefon stand auf seinem Magen, kaum eine Spanne von seinen Augen entfernt. Er drückte die Nummernknöpfe des Sicherheitsdienstes und gab seine eigene Kennziffer durch.
Svengaard hockte ihm gegenüber auf der Schreibtischkante und war wütend und mutlos. »Ich sagte Ihnen doch, daß sie überprüft worden waren. Sie hatten gar nichts Ungewöhnliches an sich, überhaupt nichts.«
»Nur, daß sie darauf bestehen, zuschauen zu wollen«, knurrte Potter. Er drückte ungeduldig auf die Telefongabel. »Wo bleiben denn diese Dummköpfe?«
»Aber das Gesetz …«, warf Svengaard ein.
»Lassen Sie mich mit dem verdammten Gesetz in Ruhe! Sie wissen ebensogut wie ich, daß wir das Bild aus dem Formraum über einen Computer leiten und den Durants zeigen können, was wir wollen. Haben Sie je darüber nachgedacht, warum wir nicht genau das tun?«
»Aber … warum … ah …« Svengaard schüttelte den Kopf. Diese Frage hatte ihn aus dem Gleichgewicht gebracht. Warum wurde das nicht tatsächlich getan? Die Statistik sagte doch, daß eine gewisse Anzahl Eltern auf dem Zuschauen bestehen würden.
»Man hat es versucht«, erklärte Potter. »Irgendwie haben aber die Eltern die Zwischenschaltung des Computers entdeckt.«
»Wie denn?«
»Das wissen wir auch nicht.«
»Hat man denn die Eltern nicht verhört und …«
»Sie haben sich selbst umgebracht.«
»Selbst? Und wie?«
»Das wissen wir nicht.«
Svengaard schluckte heftig. Allmählich begriff er die Erregung, die unter der ruhigen Oberfläche des Sicherheitsdienstes schwelte. »Und was ist mit der Statistik, der …«
»Statistik? Dreck!«
»Mit wem reden Sie?« ließ sich eine männliche Stimme am Telefon vernehmen.
Potter sah auf den Bildschirm. »Ich habe mich mit Sven unterhalten. Dieser lebensfähige Keimling, zu dem man mich geholt hat …«
»Ist er wirklich lebensfähig?«
»Ja! Sogar mit vollem Potential, aber die Eltern bestehen darauf, daß sie zusehen wollen.«
»In zehn Minuten ist eine Mannschaft dort«, antwortete die Telefonstimme. »Jetzt sind sie in Friscopolis. Dauert nur noch ein paar Minuten.«
Svengaard rieb seine feuchten Hände an seinem Arbeitskittel trocken. Er konnte das Gesicht auf dem Bildschirm nicht sehen, doch die Stimme erkannte er als die von Max Allgood, dem Chef des Sicherheitsamtes.
»Wir werden die Formung solange hinausschieben«, sagte Potter. »Die Unterlagen werden abgelichtet und liegen in wenigen Minuten auf Ihrem Schreibtisch. Noch etwas anderes …«
»Ist der Embryo genauso, wie man uns berichtet hat?« fragte die Telefonstimme. »Irgendwelche Mängel?«
»Ein latentes Myxödem, eine möglicherweise fehlerhafte Herzklappe, aber …«
»Gut. Ich rufe zurück, sobald ich sehe …«
»Zum Teufel!« tobte Potter. »Wollen Sie mich vielleicht endlich einmal ausreden lassen? Hier gibt es noch Wichtigeres als Mängel und Eltern.« Potter sah Svengaard an, dann den Bildschirm. »Sven berichtet mir gerade, daß er eine von außen kommende Regelung des Arginindefektes beobachtet hat.«
Ein erstauntes Pfeifen kam aus dem Telefon. »Zuverlässig?«
»Sie können sich darauf verlassen.«
»Auf die gleiche Art wie bei den anderen acht?«
Potter warf Svengaard einen fragenden Blick zu, und dieser nickte.
»Sven sagt ja.«
»Das wird ihnen aber nicht passen.«
»Mir paßt es auch nicht.«
»Hat Sven genug gesehen, um Schlüsse ziehen zu können?«
»Nein«, antwortete Potter, da Svengaard den Kopf schüttelte.
»Die Möglichkeit besteht aber, daß das nicht von Bedeutung ist«, meinte der Mann. »In einem System verfeinerter Bestimmung …«
»Ja, natürlich«, fauchte Potter, »in einem System verfeinerter Bestimmung bekommt man mehr ungenaue Ergebnisse. Sie können genausogut sagen, in einem Quatsch sich ständig steigernden Durcheinanders …«