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Jedem Genchirurgen wurde es während seiner Ausbildungszeit eingehämmert: Natürliche Auslese ist ein Unsinn, der seine menschlichen Opfer blindlings durch ein leeres Leben tappen läßt. Die Auswahl lag bei den Regenten, hing von ihrer Vernunft und Logik ab.

Potter wußte, als fühle er die Zeit voraus, daß der Embryo der Durants mit einer fruchtbaren Partnerin zusammentreffen mußte; er hatte von außen her ein Geschenk erhalten, einen Reichtum an Spermarginin — den Schlüssel zur Fruchtbarkeit. Unter der Flut der Mutagene, welche die Aktivkerne des DNA aufschlossen, hatte der Keimling eine Stabilität erhalten, von der kein Mensch zu träumen wagte.

Weshalb habe ich die Mutagene gerade in diesem Augenblick eingesetzt? überlegte Potter. Ich wußte, sie waren nötig. Aber woher hatte ich dieses Wissen? War ich das Instrument einer höheren Macht?

»Krebszyklus 58 und ständig steigend«, meldete Svengaard.

Potter verlangte nach der Möglichkeit, dieses Problem mit Svengaard zu besprechen, aber da waren ja noch diese verdammten Eltern und die Leute von der Sicherheit — und sie beobachteten … War es möglich, daß irgend jemand genug gesehen hatte, um zu erkennen, was hier geschehen war? dachte er. Warum habe ich überhaupt Mutagene eingesetzt?

»Können Sie die Form schon erkennen?« erkundigte sich Svengaard.

»Noch nicht«, log Potter.

Der Embryo wuchs, wuchs rasch. Potter studierte die Zellteilung. Es war ein einmalig schönes Erlebnis.

»Krebszyklus 64,7«, sagte Svengaard.

Ich habe zu lange gewartet, überlegte Potter. Die Großköpfe von der Zentrale werden wissen wollen, warum ich solange gewartet habe, diesen Embryo zu töten. Ich kann es nicht! Er ist zu schön.

Die Zentrale ließ das Volk bewußt in Unwissenheit darüber, wer in Wirklichkeit an den Fäden zog und täuschte es damit, daß es das Leben der halbtoten Sklaven durch kostbare Enzymgaben verlängerte. Das Volk sagte: »In unserer Welt gibt es zwei Welten: eine, die nicht arbeitet und ewig lebt, und eine, die nicht lebt und ewig arbeitet.«

Hier in diesem Bruttank lag ein winziger Ball von Zellen, ein lebendes Wesen von kaum mehr als einem halben Millimeter Durchmesser, und es trug die Fähigkeit in sich, selbst die Übermenschen-Regenten zu überleben.

Dieser Keimling mußte sterben. Sie werden seinen Tod befehlen, überlegte Potter, und man wird mich verdächtigen. Was würde dann mit der Genchirurgie geschehen? Fallen wir dann zurück, um nur noch kleine Schäden zu reparieren? So war es ja, bevor wir daran gingen, Übermenschen zu formen. Übermenschen!

»Krebszyklus genau einhundert«, verkündete Svengaard.

»Wir sind jetzt überm Berg«, stellte Potter fest. Er riskierte einen raschen Blick zur Computerassistentin, aber sie stand mit dem Rücken zu ihm und beschäftigte sich mit ihrem Gerät. Ohne dieses Computerband wäre es möglich, zu verheimlichen, was hier geschehen war. Das Band konnte weder den Regenten noch dem Sicherheitsdienst etwas verbergen. Svengaard hatte nicht genug gesehen. Die Bruttankassistentin konnte nicht einmal etwas davon ahnen. Nur die Computerassistentin mochte es vermuten, und der Bericht lag in ihrer Maschine.

»Ich habe noch niemals gehört, daß man so weit heruntergegangen ist«, sagte Svengaard. »Zwanzig ist natürlich die unterste Grenze, aber ich habe noch nie erlebt, daß ein Embryo weniger als fünfundzwanzig überlebt hat. Sie, Doktor?«

»Nein«, antwortete Potter.

»Ist es die Form, die wir wollten?«

»Ich möchte jetzt nicht zu sehr eingreifen«, erwiderte Potter.

»Natürlich nicht. Aber jedenfalls war es eine begnadete Operation.«

Begnadete Operation! dachte Potter. Was würde dieser Tölpel sagen, wenn er wüßte, was wir hier haben? Einen absolut lebensfähigen Embryo, ein vollkommenes Wesen! Töte ihn, würde er sagen, denn er ist ein ergebener Sklave. Dieses neue Leben braucht keine Enzyme, es kann Nachkommen zeugen. Die ganze traurige Geschichte der Genformung wäre mit diesem Embryo gerechtfertigt, aber sieht man in der Zentrale das Band, dann wird dieser Embryo vernichtet. Sie werden sagen: ausmerzen, denn sie verwenden kein Wort wie ›töten‹.

Potter beugte sich über das Mikroskop. Wie furchterregend schön dieser Embryo doch war! Er riskierte einen zweiten Blick zur Computerassistentin. Sie sah ihn an, ließ die Maske fallen und lächelte. Es war ein wissendes Verschwörerlächeln. Sie hob die Hand, um den Schweiß von der Stirn zu wischen. Ihr Ärmel streifte einen Schalter. Ein rasselnder, sirrender Ton kam aus dem Computer. Sie wirbelte herum. »Oh, du mein Gott!« rief sie und ihre Hände huschten über die Schaltanlage, doch das Band quoll weiter aus der Transporterspule. Sie versuchte den Transparentdeckel abzunehmen, unter dem die großen Spulen wie verrückt abschnurrten.

»Es ist auf Löschen geschaltet!« schrie Svengaard. Er eilte ihr zu Hilfe, um die Deckplatte abzunehmen, doch sie klemmte. Potter sah ihnen in einer Art Trancezustand zu. Das letzte Stückchen des Bandes lief ab und begann, sich wieder aufzuspulen.

»Oh, Doktor, es ist alles gelöscht!« jammerte die Assistentin.

Potter starrte auf den kleinen Monitorschirm am Arbeitstisch der Computerassistentin. Hatte sie die Operation genau verfolgen können? Manchmal entgeht ihnen kein Handgriff, dachte er, und diese Assistentinnen sind verdammt gescheit. Sie könnte genau wissen, was wir erreicht haben, oder sie vermutet es wenigstens. War die Bandlöschung tatsächlich nur eine Panne?

Sie wandte sich zu ihm um und sah ihm in die Augen. »Oh, Doktor, es tut mir so leid«, sagte sie.

»Schon gut«, antwortete Potter. »Mit diesem Embryo ist nichts Besonderes los, abgesehen davon, daß er am Leben bleiben wird.«

»Waren es die Mutagene?« wollte Svengaard wissen.

»Ja«, bestätigte Potter. »Ohne sie wäre er gestorben.«

Potter sah die Assistentin an. Er konnte es nicht genau sagen, aber er glaubte, einen Ausdruck grenzenloser Erleichterung über ihr Gesicht huschen zu sehen.

»Ich werde meinen Bericht auf Band sprechen«, versprach Potter, »das müßte für diesen Embryo reichen.« Wann fängt eine Verschwörung an? dachte er. Ist dies deren Beginn? War es eine Verschwörung, dann gab es noch viel zu tun. Kein wissendes Auge konnte jemals mehr diesen Embryo durch das Mikroskop betrachten, ohne zum Verschwörer — oder Verräter zu werden.

»Wir haben ja noch das Band für die Proteinsynthese«, sagte Svengaard. »Das gibt uns die chemischen Faktoren durch Schlußfolgerungen und den zeitlichen Ablauf.«

Potter dachte über das Proteinsyntheseband nach. War es gefährlich? Nein, es gab nur an, welche Stoffe eingesetzt worden waren, nicht aber, wie sie benützt wurden. »Das wird es auch«, antwortete Potter. Er deutete auf den Monitorschirm. »Die Operation ist zu Ende. Die direkte Leitung kann unterbrochen werden, die Eltern können in den Empfangsraum gehen. Es tut mir außerordentlich leid, daß wir nicht mehr erreichen konnten, aber wenigstens wird es ein gesunder Mensch werden.«

»Sterrie?« fragte Svengaard.

»Viel zu früh für Voraussagen«, erklärte Potter. Er sah die Computerassistentin an. Es war ihr gelungen, den Deckel abzuheben und das Band abzustellen. »Wie kann denn das hier passiert sein?«

»Vielleicht Solonoiddefekt?« vermutete Svengaard.

»Das Gerät ist ziemlich alt«, meinte die Assistentin. »Ich habe schon oft um einen Austausch gebeten, aber wir scheinen auf der Prioritätsliste nicht sehr weit oben zu stehen.«