Patricia Briggs
Rialla
Die Sklavin
Ich möchte den folgenden Menschen danken:
Michael, Ehemann und (selbst ernannter) Cheflektor.
Laura Anne Gilman, (berufsmäßige) Lektorin, die mich um eine größere Änderung am Buch bat – danke, danke, danke dafür!
Mark und Kristi Dimke für ihre Freundschaft, Geduld sowie ihren Drucker – in dieser Reihenfolge.
Bon und Jolene Briggs für ihre Liebe und Unterstützung … und dafür, dass sie es mit meinem Pferd ausgehalten haben.
Ohne sie hätte diese Geschichte nie erzählt werden können.
1
Weit öffnete sie die Arme, die Finger anmutig gespreizt, und verharrte einen Moment lang in dieser Haltung – dann begann sie ihren ekstatischen Tanz. Jedes Setzen der Füße, jede Neigung des Handgelenks war sorgsam choreografiert, erfolgte ohne Nachdenken, war vollendet in der Ausführung. Ihr Körper floss von einer Figur in die nächste, präsentierte sich abwechselnd unnahbar, lockend oder fügsam.
Das Schlagen der Trommeln war ein vertrauter Begleiter: Es erfüllte sie ganz und gar. Ihr Herz schlug im Rhythmus der dumpfen Töne; ihre Hände und Füße waren im Takt der helleren Klänge der kleineren Instrumente. Der Tanz wurde langsamer, und ihre Bewegungen bedächtiger, lasziver.
Sie genoss die Euphorie, die der Tanz in ihr weckte. Das Schmerzen der Muskeln, der Preis für die Perfektion ihrer Kunst, verstärkte den Rausch. Schweiß lief ihr über das Gesicht und verschleierte ihr die Sicht, doch sie brauchte nicht zu sehen – der Boden unter ihren Füßen war flach und sandig, und sie wusste, wohin die Musik sie geleiten würde.
Das Trommeln wurde wieder schneller, steigerte sich zu einem Crescendo und brach dann abrupt ab. Die einsetzende Stille dröhnte in ihren Ohren, als sie mit dem Blick nach unten, um Atem ringend auf dem Boden zusammenbrach. Der Applaus einer einzelnen Person verdrängte die schwindende Erinnerung an die Trommelschläge.
»Sehr schön, meine Kleine«, hörte sie die Stimme des verhassten Meisters.
Rialla setzte sich kerzengerade im Bett auf. Die Laken waren durchtränkt vom Schweiß eines lange zurückliegenden Tanzes. Unweigerlich hob sie die Hände zum Hals, aber der Sklavenring war schon vor langer Zeit entfernt worden, und heute ersetzte eine Narbe in ihrem Gesicht die unerträgliche Tätowierung.
Benommen senkte sie den Kopf und fuhr sich mit den Händen durchs Haar. Dann schlug sie die Decke zurück und stand auf, obwohl der Morgen noch lange nicht dämmerte.
Im Labyrinth, dem ältesten Gebäude Sianims, nahm Ren, besser bekannt als Sianims Meisterspion, in seinem Sessel Platz und schaute ziellos aus dem offenen Fenster.
Der Sessel war für seinen Vorgänger gefertigt worden, der weitaus höher gewachsen war als er. Und so wirkte Rens schmale, kahl und grau werdende Gestalt ein wenig lächerlich auf diesem Möbelstück. Wie ein Kind, das einen Erwachsenen mimte, doch niemand in Sianims Söldner-Stadtstaat hätte den Meisterspion je lächerlich genannt: Vielmehr vereinte er mehr Macht auf sich als so mancher König.
Er wandte sich vom Fenster ab, legte die Füße auf den überfüllten Schreibtisch und ignorierte, dass dadurch einer der Papierstapel zu Boden rutschte. Dann stützte er das Kinn in die Hand und wartete geduldig auf die Person, die er hatte rufen lassen.
Endlich erklang von der Tür her ein leises Klopfen.
»Wer da?«, bellte der Meisterspion.
»Rialla von den Pferden, wie Ihr es befohlen habt, Herr.« Sie sprach mit weicher Stimme, wirkte fast kleinlaut. Rens Mund verzog sich zu einem missbilligenden dünnen Strich. Wenn sie so lammfromm, ja, verzagt war, wie sie sich anhörte, konnte er sie auch gleich wieder nach Hause schicken.
Nun gut, die Frau konnte nichts dafür, falls sein Informant ihn enttäuscht hatte. Selbst wenn sie ihm für den anstehenden Auftrag nicht dienlich sein konnte, mochte er immer noch die Informationen nutzen, die sie vielleicht für ihn hatte.
Er zwang sich zu einem etwas herzlicheren Ton und rief: »Komm herein, Rialla von den Pferden. Ich habe dich erwartet.«
Mit einem Seufzer öffnete sich die Tür und schloss sich wieder unter quietschendem Protest, als die Pferdeausbilderin sie zuzog. Sie war größer als er, doch so zierlich, dass sie fast zerbrechlich wirkte. Ihr rotes Haar war zu einem kurzen Zopf zusammengebunden, der kaum ihre Schultern berührte. Ren erhaschte einen kurzen Blick auf smaragdgrüne Augen, bevor sie den Kopf senkte.
Sie wartete schweigend darauf, dass er das Wort ergriff, während sie mit locker hängenden Armen und ausdrucksloser Miene dastand. Gedankenverloren stellte er fest, dass man sie eine schöne Frau nennen könnte, wäre da nicht diese Narbe, die fast die gesamte Wange bedeckte.
Er grüßte sie betont höflich. »Ausbilderin.«
Die grünen Augen trafen kurz seinen Blick. »Meisterspion.« Es lag ein spöttischer Unterton in diesem Wort, den niemand, der nur eine Spur weniger aufmerksam gewesen wäre, wahrgenommen hätte. Ren war so fasziniert von dem Widerspruch zwischen ihrer Unschuldsmiene und dieser unterschwelligen Respektlosigkeit, dass aufgrund seines Schweigens eine lange, unbehagliche Pause entstand.
Als er immer noch nicht sprach, zuckte sie die Achseln und wandte sich einem der Bücherregale zu, das ganz in der Nähe stand. Der Eindruck von Zerbrechlichkeit verflüchtigte sich, als er sah, wie sie sich bewegte. Sie besaß die Körperbeherrschung einer trainierten Athletin, und als sie eines der Bücher zur Hand nahm, traten starke Muskeln und Sehnen auf ihrem Arm hervor.
Der Meisterspion beobachte sie fast wohlgefällig. Es konnte funktionieren. Ab jetzt schwieg er ganz bewusst und beobachtete sie. Sie blätterte eine Seite um und schien schon bald ganz vertieft in ihre Lektüre.
Ren lachte leise auf, schob sich auf seinem Sessel vom Schreibtisch weg und fragte schließlich lächelnd: »Bist du denn kein bisschen neugierig darauf zu erfahren, warum ich dich heute rufen ließ?«
Sie stellte das Buch zurück und wandte sich ihm wieder zu. »Doch.« Diesmal klang ihre Stimme so kleinlaut wie zu Anfang.
»Ich hatte ein Gespräch mit Laeth«, begann er. »Ich glaube, er ist ein Freund von dir. Nun, er sagte mir, dass du akzentfrei Darranisch sprichst.« Er ließ diese Feststellung wie eine Frage klingen und sah sie prüfend an.
Sie hob unbestimmt die Schultern, während ihre linke Hand kurz die Narbe streifte, die ihr Gesicht entstellte; dann senkte sie wieder den Blick.
Darranische Sklaven trugen zur Identifizierung ausnahmslos aufwendige Tätowierungen auf der linken Wange. In Darran konnten Sklaven daher auch nicht befreit werden; die Tätowierung zeichnete sie ein Leben lang.
Ren beschloss, seine Taktik zu ändern. »Was weißt du über Lord Karsten?«, fragte er geradeheraus.
»Ihr meint abgesehen von der Tatsache, dass er Laeths Bruder ist?«, erwiderte sie, doch dann fuhr sie gleichmütig und ohne auf eine Antwort zu warten fort: »Er zählt zu den darranischen Lords, die eine Vereinigung der Königreiche Reth und Darran anstreben. Ich glaube, das gewünschte Bündnis umfasst auch die Vermählung von König Myr von Reth mit der älteren Schwester des darranischen Königs.«
Ren nickte zustimmend. »Lord Karsten ist das einflussreichste Mitglied des Regierungsrats. Mit seiner Unterstützung ist diese neue Allianz so gut wie sicher.«
Wieder lag leichter Spott in ihrer Stimme, als Rialla zum ersten Mal unaufgefordert sprach: »Und Sianim möchte den Zusammenschluss verhindern? Womöglich mithilfe eines Unfalls, der Lord Karsten ereilen wird?«
»Natürlich nicht!« In einer Mischung aus Überraschung und Entrüstung riss Ren angesichts dieses Vorschlags die Augen auf. »Mein liebes Mädchen, Sianim mischt sich niemals in die politischen Angelegenheiten welcher Regierung auch immer ein. Wir sind Söldner und stellen uns lediglich in den Dienst des höchsten Bieters.«
Es schwang Spott mit in dieser offiziellen Darstellung der Sachlage, und er wusste, dass sie ihn sehr wohl registriert hatte, als sich ihre Mundwinkel leicht hoben.