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Das Pferd stupste sie ungeduldig mit der Schnauze an, und so machte sie sich auf den Weg zu den Ställen. Selbst wenn der Mann, den sie verfolgt hatte, längst über alle Berge war, konnte sie sich dort nach ihm erkundigen. Etwas an der Art, wie er in all dem Trubel um Lord Karstens Zusammenbruch so ruhig geblieben war, machte sie neugierig.

Die Ställe lagen dunkel und kühl da. Es roch nach Pferd und frischem Stroh – nirgendwo der verräterische Geruch nach Vernachlässigung. Rialla spürte, wie sie sich in der vertrauten Umgebung entspannte.

Das Pferd, das sie mit sich führte, wieherte erregt auf, als es den unbekannten Geruch der anderen Tiere witterte. Aus einem der Verschläge trat ein Stalljunge. Er schenkte Rialla ein freundliches Lächeln und nahm ihr die Zügel ab. »Die Mähre des Heilers, was? Also gut, ich verschaff ihm ein bisschen Kühlung und such ihm hier ein ruhiges Plätzchen.«

Rialla nickte und fragte: »Hast du vielleicht eben diesen Mann gesehen, der sich eine kastanienbraune Stute genommen hat?« Kein anständiger Sklave würde ein Gespräch mit jemanden beginnen, der kein Sklave war, doch den Stallburschen schien das nicht zu stören.

Der Junge sah sich vorsichtig um – ein Stallbursche wurde fürs Arbeiten bezahlt, nicht fürs Plaudern mit Sklaven. Zufrieden, dass alle anderen beschäftigt wirkten, antwortete er: »Ja, war ein Mann von Lord Winterseine. Er heißt Tamas. Treibt sich oft hier rum. Wenn ich an deiner Stelle wär, würd ich ihm aus dem Weg gehen.«

»Wem? Winterseine oder Tamas?«, fragte Rialla.

»Tamas. Winterseine ist in Ordnung. Tamas dagegen ist ziemlich schnell mit Peitsche oder Faust bei der Hand.« Der Junge sah sie vielsagend an. »Er mag’s hart, wenn du verstehst, was ich meine. Dadurch fühlt er sich wohl mächtig. Also komm ihm nicht in die Quere, es sei denn, dir gefällt so was auch.« Sprach’s und führte das Pferd des Heilers durch den Gang davon, um es abzureiben.

Gedankenverloren kehrte Rialla in die Feste zurück und schlüpfte in den Bankettsaal, um sich wieder zu Laeth zu gesellen. Zumindest war das ihr Plan gewesen, denn er fing sie gleich hinter der Tür ab und fuhr sie so laut an, dass es alle mitbekamen: »Wo warst du, Mädchen? Es wird ja wohl nicht so lange gedauert haben, Lord Jarrohs Befehle auszuführen?«

Riallas Blick ging durch den Raum. Ihr fragmentarisches Talent nahm eine Atmosphäre von Misstrauen wahr, das gegen Laeth gerichtet war. Demütig neigte sie das Haupt und sagte laut und vernehmlich: »Meister, Ihr hattet heute Morgen erwähnt, dass Ihr eine Anstecknadel vermisst. Und als eben der Stallbursche erwähnte wurde, fiel mir ein, dass Ihr sie gestern noch bei der Jagd getragen habt. Daher dachte ich, Ihr wärt vielleicht mit der Dienstmagd im Stall gewesen …« Sie zuckte nervös zusammen, als dämmerte ihr gerade erst, dass sie im Begriff stand, Unerhörtes auszuplaudern.

Jemand lachte und machte eine anzügliche Bemerkung. Mit dem Dienstpersonal zu schlafen war nichts Ungewöhnliches, aber darüber sprach man nicht, schon gar nicht in der Öffentlichkeit. Laeth schlug ihr kraftvoll mit dem Handrücken ins Gesicht und schickte sie damit zu Boden. Es wirkte eindrucksvoller, als es war. Sein Schlag war nicht heftiger als die, die sie sich gegenseitig auf dem Übungsgelände in Sianim verpasst hatten. Ganz Sklavin, krümmte sich Rialla am Boden zusammen und wimmerte. Ein jeder Abhängige lernte rasch, dass vorgetäuschte große Schmerzen oft einen weiteren Schlag verhinderten.

Zu ihrer Überraschung berührte sie nun eine große, freundliche Hand an der Schulter und half ihr wieder auf die Beine. »Sie war bei den Ställen und hat sich meines Pferdes angenommen, als ich eintraf. Ihr solltet keine Befehle ausgeben, wenn Ihr deren Ausführung nicht wünscht, mein Lord.«

Rialla musste ein erschrockenes Keuchen unterdrücken, als sie die Stimme des Heilers vernahm. Kein Bürgerlicher sprach in einem solchen Ton zu einem Edelmann – nicht, wenn er den nächsten Morgen noch erleben wollte.

Söldner oder nicht, Laeths Erziehung zum darranischen Adligen hatte zur Folge, dass seine Augen vor Zorn zu funkeln begannen. Doch der Heiler ließ ihm keine Zeit für eine Antwort, denn schon wandte er sich an Lord Jarroh und fuhr fort: »Es ist mir gelungen, das Gift in Lord Karstens Körper zu neutralisieren. Er ist zwar noch schwach, sollte aber in etwa einer Stunde wieder halbwegs genesen sein. Ich werde wie üblich meine Rechnung dem Angestellten übergeben.« Nicht minder würdevoll als jeder Edelmann im Raum rauschte der Heiler aus dem Bankettsaal.

Geflissentlich reagierte Laeth seinen Zorn nicht weniger unbeherrscht ab, als es die meisten Angehörigen seiner Klasse unter diesen Umständen tun würden. Erneut schlug er Rialla ins Gesicht und damit nieder; wieder war es ein Hieb ohne viel Substanz.

»Warte in meinem Zimmer auf mich«, schnarrte er sie an.

Dankbar entfernte sich Rialla, wobei sie sich das Gesicht hielt, und machte sich auf den Weg zu Laeths Gemach, während sich dieser im Bankettsaal lautstark über schlecht erzogene Sklaven ausließ.

Als sie im großen Gang der Feste um die erste Ecke bog, wurde sie durch eine Hand an ihrem Arm am Weitergehen gehindert. Erstaunt sah sie auf und blickte in das Gesicht des Heilers. Bevor sie den Kopf wegdrehen konnte, berührte er ihre unversehrte Wange mit den Fingern. Er hob eine Augenbraue, bewegte ihren Kopf zur Seite, sodass er ihr Gesicht im Fackellicht besser sehen konnte.

»Seine Schläge haben gar keine Spuren hinterlassen.« Eine in sanftem, wenngleich bestimmtem Ton geäußerte Bemerkung. Ganz sicher würde er nicht ohne Antwort gehen.

Rialla sah sich erschrocken um und stellte erleichtert fest, dass niemand in der Nähe war. Sie ergriff den Mann am Ärmel und zog ihn in die nächstbeste Kammer. Sie wusste, dass es sich hierbei um ein unbenutztes Schreibzimmer handelte, das gerade renoviert wurde. Hier gab kein Fenster, und so war es in dem kleinen Raum dunkel wie in einer Höhle, nachdem sie die Tür hinter ihnen zugezogen hatte.

Frustriert stieß sie die Luft aus. »Wartet«, sagte sie ganz sklavenuntypisch. »Ich suche einen Feuerstein …« Es polterte, als sie über etwas fiel, das in der Mitte des Raums stand, dann stieß sie mit dem Kopf gegen etwas anderes.

»Das wäre sinnvoll, ja.« Bei diesen Worten des Heilers flammte ein Licht im Raum auf, und eine Kerze flackerte in seiner Hand. Seine Stimme war bar jeden Humors, und doch lag in seinem Gesicht etwas Schalkhaftes. Argwöhnisch blickte Rialla ihn an, bevor ihr wieder einfiel, dass sie ja die Sklavin zu spielen hatte.

Zum ersten Mal erhielt sie die Gelegenheit, ihn eingehender zu betrachten, und da erkannte sie, was sie zuvor schon beunruhigt hatte. Der Heiler war genauso wenig darranisch wie sie. Nicht nur war er größer und schwerer, beinahe athletisch gebaut, auch die Hautfarbe stimmte nicht. Sein Haar war fast blond, wiewohl der kurzgetrimmte Bart von dunklerer Farbe war. Seine Augen schimmerten haselnussbraun und waren damit weit entfernt von dem Grün ihrer Augen, doch sie entdeckte auch kleine lichte Tupfer darin, die mit dem flackernden Kerzenlicht kamen und gingen.

Ihren prüfenden Blick ignorierend, sagte er: »Würdest du mir nun freundlicherweise erklären, wie man nach einem Schlag zu Boden gehen kann, ohne auch nur eine rote Stelle im Gesicht davonzutragen?«

Leichtfüßig und mit der Grazie einer Tänzerin sprang Rialla wieder auf die Beine und klopfte sich den Staub aus den Kleidern, um Zeit zu schinden. Schließlich sagte sie: »Lord Laeth muss in der Öffentlichkeit das Gesicht wahren, aber es widerstrebt ihm, seinem Eigentum Schaden zuzufügen. Der Schlag war mehr Warnung denn Bestrafung. Er diszipliniert mich auf andere Weise.« Eine bessere Erklärung fiel ihr im Moment nicht ein, und sie wusste, sie war nicht gut.

»Das war Lord Laeth?«, fragte der Heiler erstaunt. »Auf Besuch aus Sianim?«

Misstrauisch angesichts des plötzlichen Interesses in seiner Stimme nickte Rialla.

Erneut hob der Heiler eine Augenbraue und berührte unvermittelt ihr Gesicht, wobei er einige Worte murmelte. Als hätte er sich verbrannt, zog er jäh wieder die Hand zurück, und dann lag in seinem Gesicht plötzlich ein merkwürdig intensiver Ausdruck, den Rialla nicht zu deuten vermochte.