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Er legte eine Hand auf die Klinke, und Rialla versuchte beiläufig mithilfe ihres Talents in Erfahrung zu bringen, ob jemand im Flur herumlungerte. Doch sie vermutete, dass sie es gar nicht würde erspüren können – umso erstaunter war sie, als sie etwas da draußen fand.

»Laeth, halt«, zischte sie eindringlich. Sie gab ihren Platz neben der Wand auf, hetzte zur Tür und hielt sie zu. »Da draußen … ist jemand. Warte.« Sie holte tief Luft, presste die Stirn gegen das weiche Holz der Tür. Die Person jenseits der Pforte war außer sich vor Wut; allein die Intensität der Emotionen hatte es ihr erlaubt, ihn oder sie aufzuspüren. Sie begann zu schwitzen, versuchte mehr herauszufinden …

Der Zorn, den sie empfing, war äußerst stark und gegen … die Katze gerichtet. Die leidige, scharfkrallige und flinke Tigerkatze, die mit dem leckeren Stück Fleisch davongerannt war, das er oder sie für später beiseitegeschafft hatte. Rialla merkte, wie ihr die Schamesröte ins Gesicht stieg. Er oder sie, das war nicht mehr als einer der Schlosshunde. Den Jagdhunden des Hauses war es gestattet, sich frei in der Feste zu bewegen – eine von Karstens kleinen Überspanntheiten.

Der Geist von Tieren war schon immer viel einfacher aufzugreifen als der von Menschen. Ihre Gedanken waren einfacher, zielgerichteter und direkt mit ihren Emotionen verknüpft. Einen von ihnen zu empfangen war fast genauso leicht, wie ihre Gefühle zu berühren.

Sie war schon im Begriff, sich umzudrehen und zu erklären, warum sie Marri am Gehen gehindert hatte, als sie den letzten Rest eines Gedankens empfing … den Nachklang eines tiefsitzenden Grolls, ausgehend vom anderen Ende der Leine, die den Hund von der Katze fernhielt. Wieder versuchte sie, erfolglos, die Person jenseits der Tür zu erfassen, doch allein den Hund nahm sie klar und deutlich wahr.

Sie bekam Kopfschmerzen unter der Anstrengung, die alten Narben zu dehnen, die ihre Empathie einschnürten, doch sie ignorierte die Pein. Unfähig, die Person zu erfassen, berührte sie mittels ihrer Gabe abermals das Tier, das diese begleitete, noch forschender nun. Und dann, hörbar für alle, begann der Wachhund draußen zu bellen.

Laeth sah sie aus zusammengekniffenen Augen an, winkte jedoch Marri von der Tür fort und rief dann mit lauter Stimme: »Mädchen! Sieh mal draußen nach, was mit dem Hund los ist und bring das Biest zum Schweigen!« Er ging zum Bett, ließ sich darauf nieder und begann, sich den anderen kniehohen Stiefel auszuziehen.

»Ja, Meister«, erwiderte Rialla folgsam und löste das Haar aus ihrem Pferdeschwanz. Dann biss sie sich auf die Lippen, als wäre sie gerade heftig geküsst worden, und öffnete den obersten Knopf ihrer Tunika.

Sie schlüpfte aus dem Zimmer, nicht ohne dem Mann vor der Tür einen ausgiebigen Blick auf Laeth, der noch immer mit seinem Stiefel kämpfte, zu gewähren. Sie erkannte den Kerl mit dem Hund nicht, aber das war keine Überraschung. Er trug die Uniform der Wachen, und diese hielten sich zumeist in den Außenanlagen und nur sehr selten in der eigentlichen Feste auf. Rialla selbst kannte nur die Hausbediensteten.

Der Mann sah sie lange an, ließ dabei dem hechelnden Hund unwillkürlich noch ein paar Zentimeter mehr Leine.

Sie grub ihre Zähne in die Unterlippe und lehnte sich so lasziv gegen das Türblatt, wie es nur eine ausgebildete Tänzerin konnte. »Was hat er denn?«, fragte sie mit rauer Stimme.

Der Mund des Mannes öffnete sich, doch es kam kein Wort heraus.

In dem Moment drang Laeths Stimme durch die Tür. »Sieh zu, dass der Köter endlich Ruhe gibt!«

Rialla quietschte erschrocken auf, rannte zirpend auf den Hund zu. »Sschscht, Hündchen, sei ein guter Junge …«

Endlich riss sich der Wachmann von ihrem Ausschnitt los. »Nicht!«, rief er. »Das ist ein ausgebildeter Wachhund … Er wird dich … in Stücke reißen.« Die letzten Worte kamen dünn und verzagt, denn in diesem Moment rollte sich der Hund verzückt auf den Rücken, bevor Rialla ihm den Bauch kraulte.

Mit ihren großen grünen Augen sah sie zu dem Wachmann auf und sagte: »Mit Hunden hab ich mich schon immer gut verstanden. Ob er wohl wieder anfängt zu bellen, wenn ich ihn nicht mehr streichle? Mein Meister ist furchtbar jähzornig, und wenn er hört, dass das Tier wieder Lärm macht, wird er ihm bestimmt den Hals umdrehen.« Sie schwieg einige Sekunden, dann fügte sie flüsternd hinzu: »Und Euch wohl auch.«

Jeder in der Feste wusste, dass Laeth in den letzten zwei Jahren in Sianim zum Söldner ausgebildet worden war. Und es ging das Gerücht, dass Laeths Temperament sogar noch beachtlicher war als seine Zügellosigkeit.

Der große Wachmann schluckte und packte den Hund am Halsband. Dabei berührte Rialla kurz seine Hand und erhaschte einen flüchtigen Gedanken: … kann ich das Geld, das ich für diese Aufgabe kriege, als Leiche nicht mehr ausgeben …

Er war also fürs Rumschnüffeln bezahlt worden. Aber von wem? Rialla sah zu, wie der Wachmann den Hund den Gang entlangzerrte und mit dem Tier um die Ecke bog. Hätte sie seine Gedanken doch nur ein wenig länger gelesen! Frustriert schlug sie auf den Fußboden und sprang auf die Füße.

Als sie die Tür zu Laeths Gemächern öffnete, rief sie: »Die Luft ist rein.«

Marri huschte hinaus und warf Rialla einen durchdringenden Blick zu, bevor sie, die andere Richtung als der Wachmann einschlagend, durch den Flur davoneilte. Rialla kehrte in das Schlafgemach zurück und schloss sanft die Tür hinter sich.

»Also gut, Ria«, meinte Laeth, »wie hast du gewusst, dass jemand da draußen war.« Er hatte sich auf dem farbenprächtigen Überwurf seines Bettes ausgestreckt, die Hände hinter dem Kopf verschränkt und die Beine leicht übereinandergeschlagen.

Rialla lehnte sich gegen den Türrahmen und erwiderte: »Würdest du mir glauben, wenn ich behauptete, dass ich die beiden gehört habe?«

»Nachdem der Hund zu bellen anfing, sicher«, erwiderte Laeth. »Aber ich bezweifle, dass du durch die dicke Holztür gehört haben willst, wie sie den Flur entlangkamen.«

»Hmmm«, meinte Rialla neckisch und berührte nachdenklich ihr Kinn. »Und was wäre mit –«

»Der Wahrheit!«, unterbrach Laeth sie bestimmt.

»Aber die wird dir nicht gefallen, und du würdest sie mir vermutlich ohnehin nicht glauben.« Rialla schlenderte zu dem kleinen Tisch, auf dem sie zuvor gesessen hatte, und drehte die abscheuliche violette Glasvase in ihren Händen.

»Ria.« Seine Stimme klang ungeduldig.

Sie stellte die Vase wieder an ihren Platz zurück. »Sag nicht, ich hätte dich nicht gewarnt. Nun gut … Ich bin so eine Art … Empathin, weißt du.«

»Eine was?«, fragte Laeth ungläubig.

»Eine Empathin. Also, ich weiß, was du … fühlst. Ich kenne deine Gedanken.« Ohne es zu wollen, hatte ihre Stimme einen sonoren, leicht finsteren Unterton angenommen, aber sie riss sich zusammen, als sie fortfuhr: »Wie diese Gedankenleser vom Wanderzirkus.«

Er setzte sich kerzengerade auf dem Bett auf. »Du kannst anderer Leute Gedanken lesen?«

»Na ja, einst konnte ich das, aber heutzutage klappt es nicht mehr so gut.« Sie nahm eine kleine Statuette vom Tisch und fuhr fort: »Bei Tieren geht es leichter. Emotionen kann ich recht klar erfassen, sofern sie stark genug sind, und gelegentlich auch die Gedanken, die damit einhergehen. Marri jedenfalls findet dich so anziehend wie eh und je, so viel ist klar.« Sie nickte bestätigend, als er sie verblüfft ansah.

»Du hast Marris Gedanken gelesen?« Diesmal lag eine gehörige Portion Verärgerung in seiner Stimme.

»Das war nun nichts, was nicht auch jeder aufmerksame Beobachter ihrem Gesichtsausdruck hätte entnehmen können«, erwiderte sie unverbindlich und platzierte die Figurine neben der Vase. Sie merkte, wie sie in die Defensive geriet. Irgendwie war es in Sklavenkleidung schwieriger, sich auf Augenhöhe mit ihm auseinanderzusetzen.