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»… schläfst hier. Du bleibst hier unten, bis ich dich morgen wieder abhole. Hast du verstanden?«

Die Stimme des Mannes war sanft und freundlich. Dennoch drehte sich allein bei ihrem Klang Riallas Magen um, und ihre Hände begannen zu zittern.

Panisch flog sie zu der verschlossenen Tür des Weinkellers herum. Händler lehrten ihre Kinder das Schlossknacken und den Taschendiebstahl, sobald diese groß genug waren, um eine Klinke zu erreichen. Das Schloss des Weinkellers hatte nie mehr als einfache Hausangestellte davon abhalten sollen, sich unerlaubterweise zu bedienen, und so bereitete es Rialla wenig Probleme.

Leise zog sie die Tür des Vorratskellers wieder hinter sich zu. Im Dunkeln eng an das Holz gepresst, vernahm sie des Mannes harte Schritte auf dem Steinfußboden. Kurz hielt er vor der Tür des Weinkellers an, als ob er etwas gehört hätte, doch dann stieg er die Treppen ins Erdgeschoss der Burg hinauf.

Rialla schlang die Arme um ihre Knie und lauschte dem Hämmern ihres Herzens. Was um alles in der Welt tat ihr ehemaliger Besitzer auf Lord Karstens Feste? »Ein Edelmann würde zu offiziellen Anlässen einen Sklavenabrichter genauso wenig einladen wie einen Schweinehirten«, hatte Laeth gesagt.

Sieben Jahre lang war sie seine Sklavin gewesen, doch die meiste Zeit davon hatte sie in dem kleinen Lokal in Kentar, Darrans Hauptstadt, zugebracht. War sie nicht dort, musste sie ihm in dem kleinen Herrenhaus im Süden zu Diensten sein. Sie wurde unruhig, als sie an die kleinen Anzeichen dachte, die darauf schließen ließen, dass er mehr war als ein einfacher Sklavenabrichter: an die Diener, die ihn mit »Lord« ansprachen, die Atmosphäre von Tradition und Noblesse, die in dem Haus geherrscht hatte.

Wenn er tatsächlich zu den höheren Kreisen zählte, würde er auch an gesellschaftlichen Ereignissen teilnehmen, solange seine Tätigkeit als Sklavenabrichter geheim gehalten werden konnte. Laeth, das wusste sie, hatte am Sklavenhandel nie Interesse gehabt. Es war daher möglich, dass er ihren ehemaligen Besitzer kannte, aber nicht wusste, dass er ein Sklavenschinder war.

Sie wusste, sie hätte zurück in Laeths Gemächer kehren sollen, um ihm mitzuteilen, dass ihr ehemaliger Peiniger auf Westholdt war, doch sie fühlte sich sicher in dem dunklen, alkoholgeschwängerten Raum. Sie rollte sich in einer Ecke zusammen, legte ihre Wange gegen ein Holzfass und ließ es zu, dass die raue Oberfläche sich in ihre Haut drückte.

Sie verabscheute sich für die Feigheit, die sie überkommen hatte, obwohl sie vor Grauen am ganzen Körper zitterte. Wenn ihr Vater sie so sehen könnte, würde er sich für sie schämen. So hart hatte sie daran gearbeitet, das unterwürfige, kleinmütige Sklavenverhalten wieder abzulegen, und alles, was es brauchte, um es wieder zum Vorschein zu bringen, waren Laeths Wut oder die Stimme ihres ehemaligen Meisters.

Stumm verfluchte sie sich, trieb die Fingernägel in ihre Handflächen, sagte sich, dass es höchst unwahrscheinlich war, dass er heute noch einmal die Sklavenquartiere aufsuchte. Seufzend kam sie schließlich wieder auf die Beine und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. Wie die meisten Händler konnte sie in der Nacht ausgezeichnet sehen, doch in dem fensterlosen Keller herrschte totale Dunkelheit. Und so brauchte es eine Weile, bis sie die Türklinke fand.

Sie holte tief Luft und verließ den Weinkeller, verschloss sorgsam die Tür hinter sich und ging ohne erkennbare Eile in Richtung der Sklavenquartiere. Falls eines der Mädchen bemerken sollte, dass sie geweint hatte, würde doch keines ein Wort darüber verlieren – Kummer, das war nun mal der Unfreien Los. Leise betrat sie den großen Raum.

Hier und da erhellten Fackeln den Saal, und Rialla stellte fest, dass nur etwa zwanzig der Stockbetten belegt waren. Das bedeutete, dass die restlichen Sklaven entweder arbeiteten oder in den Zimmern ihrer Besitzer weilten. Niemand war mehr wach, daher ging Rialla leise zu einer der unbenutzten Doppelkojen, die weitab der Tür lagen. Sie kletterte in das obere Bett und streckte sich darauf aus. Nur ein unerfahrener Sklave würde sich für die untere Koje entscheiden. Selbst unter Unfreien gab es so etwas wie eine Rangordnung. Gelegentlich brachen in den Quartieren sogar Kämpfe aus, wenn es darum ging, sich Respekt zu verschaffen. Insofern bot die obere Koje auch eine Art Schutz gegen unvermittelt hervorbrechende Aggressionen. Sie hatte die Augen gerade geschlossen, als aus der unteren Koje des Stockbettes neben ihr ein Geräusch an ihre Ohren drang. Sie lehnte sich über den Rand ihrer Matratze und blickte hinab auf das Mädchen, das dort lag.

Als Händlerin und spätere Pferdeausbilderin Sianims hatte sie schon alle möglichen Hautfarben gesehen – angefangen bei ihrem eigenen hellen Elfenbeinbeige bis hin zum tiefbronzefarbenen Teint der Ynstrah –, aber die Haut dieser Sklavin war nahezu schwarz. Weiches dunkles Haar, das bei Tageslicht vielleicht braun oder kupferrot schimmern mochte, fiel ihr in leichten Wellen bis über die Schultern. Sie hatte das Gesicht in der dünnen Matratze verborgen, und ihr Körper wurde von einem stummen Weinkrampf geschüttelt.

Rialla wollte eine Hand nach ihr ausstrecken, hielt sich aber im letzten Moment zurück. Sie würde alles daransetzen, die Sklaverei in Darran zu beenden, aber sie konnte derzeit nichts für dieses arme Mädchen tun.

In dieser Nacht träumte Rialla von einem fernen Land, in dem die Menschen alle so aussahen wie das seltsame Sklavenmädchen. Auch redete man hier in einer Sprache, die sie noch nie zuvor gehört hatte, die sie aber dennoch verstand, weil ihre empathischen Fähigkeiten sie, wie früher, dazu in die Lage versetzten. Es war ein grässlicher Albtraum mit fieberwahnartigen Bildern, die sie ohne Vorwarnung überfielen und dann wieder verschwanden.

Von kaltem Schweiß bedeckt und mit einem bohrenden Schmerz in der Brust erwachte sie. Rasch sprang sie aus der Koje auf den Boden. Schon wollte sie sich dem fremden Mädchen im benachbarten Stockbett zuwenden, doch es war zu spät. Von irgendwoher hatte es sich ein Essbesteckmesser besorgt und es sich wieder und wieder in die Brust gerammt.

Rialla sog scharf die Luft ein angesichts der Schmerzen, welche die junge Sklavin litt. Es war, als ob etwas die Barriere niedergerissen hätte, die so lange zwischen ihr und ihrer Gabe gestanden hatte. Die stumpfe Klinge des Messers und die Tatsache, dass das Mädchen nicht gewusst hatte, wie man sich möglichst kurz und schmerzlos erstach, machten Riallas Qual nur noch schlimmer. Und doch hatten seine unbeholfenen Versuche nach einer Weile zum Erfolg geführt. Und wie Rialla auf den geschundenen Körper herabschaute, tat das Mädchen seinen letzten Atemzug und lächelte, als es starb.

Rialla starrte auf den Leichnam der Sklavin, die sie nun fast so gut kannte wie sich selbst. Das junge Mädchen war eine starke Empathin gewesen und hatte seine eigene Seelenqual an Riallas mentalen Narben vorbei bis in ihre Träume hineingeleitet.

Rialla kannte den Namen der Sklavin, wusste, dass sie fünfzehn Sommer alt gewesen war und dass irgendwo in einem fernen Land die Ihren dachten, sie diene den Göttern – eine höchst ehrenvolle Stellung. Traurig hatte man sie ziehen lassen, aber sie war frohen Herzens gegangen, so wie es der Diener Altis’ von ihr verlangt hatte.

Sie konnte das Echo des Grauens und der Abscheu spüren, die das Mädchen empfunden hatte, als es schließlich herausfand, was seine wahren Pflichten sein würden. Ohne nachzusehen wusste sie, dass der Rücken des Mädchens übersät war mit frischen Peitschenstriemen und dass die Innenseite seiner Schenkel so blutunterlaufen waren, dass man die Prellungen selbst auf der schwarzen Haut noch gut erkennen konnte.

Rialla biss die Zähne zusammen und umrundete vorsichtig die Blutlachen, die über den Boden verteilt waren. Jeder Sklave versuchte unerwünschte Aufmerksamkeit zu vermeiden. Wenn man den toten Körper endlich entdeckte, würde sich schon längst niemand mehr in den Quartieren aufhalten, und keiner würde zugeben, dass er die Nacht dort verbracht hatte. Nur das Wissen darum, dass der Sklavenschinder vermutlich noch schlief, ließ Rialla die Stufen in den Haupttrakt der Feste hinaufeilen.