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Leise betrat sie Laeths Schlafkammer, ohne ihn zu wecken. Sie setzte sich auf das harte Sofa neben seinem Bett, starrte in die Dunkelheit und wartete darauf, dass der Morgen anbrach.

3

»Hattest du nicht gesagt, du wolltest in den Quartieren übernachten?« Laeth sprach leise, doch Rialla schrak trotzdem zusammen.

Sie hatte an nichts Besonderes gedacht, einfach nur in die Schatten der Zimmerecke gestarrt; Laeths Stimme wie auch das erste Licht des Tages, das nun durch das Fenster fiel, hatten sie überrascht. Sie musste wohl länger hier gehockt haben, als ihr Zeitgefühl ihr sagte.

Laeth setzte sich schwerfällig auf, schloss dann aber noch einmal die Augen, bevor er sich über das Gesicht rieb, um richtig wach zu werden. Er war nun mal kein Frühaufsteher.

Rialla musste unwillkürlich schmunzeln angesichts des vertrauten Anblicks. Als sie seine Frage beantwortete, erstarb ihr Lächeln jedoch bald. »Das habe ich auch, zumindest eine Weile.«

Er warf ihr einen alarmierten Blick zu, die seine Verschlafenheit Lügen strafte. »Was ist passiert?«

»Da war eine neue Sklavin. Ein Mädchen aus dem Osten. Heute Morgen hat es sich mit einem Speisemesser getötet. Ich dachte, ich bin besser nicht dort, wenn man die Leiche findet – unerwünschtes Interesse ist das Letzte, was wir jetzt gebrauchen können.« Rialla spielte mit der inzwischen wohlvertrauten Gobelinstickerei an der Rückenlehne des Sofas.

Sie konnte Laeths Blick auf sich spüren, wie er geduldig darauf wartete, dass sie weitersprach. Sie betrachtete weiterhin ihre Hände, als sie fortfuhr: »Vor allem deshalb, weil der Besitzer des Mädchens auch mein Besitzer gewesen ist, bevor ich fliehen konnte.«

Überrascht schnappte Laeth nach Luft. »Der Sklavenabrichter? Bist du sicher?«

Rialla nickte, ohne aufzusehen. »Er ist hier, ja. Zwar hab ich ihn nicht gesehen, hörte nur seine Stimme … Da war ich mir schon ziemlich gewiss, aber ich hab mir später die Tätowierung des toten Mädchens angesehen. Zur Sicherheit. Auch sie trug sein Zeichen.«

»Nun denn«, meinte Laeth. »Dann werde ich mir wohl einige schlaue Maßnahmen überlegen müssen, um ihm sein ehemaliges Eigentum zu verweigern.«

Rialla hob den Kopf, grinste ihn an. »Ich hab mir eigentlich keine Sorgen darüber gemacht, dass du mich ihm ausliefern könntest.«

»Nein?«, fragte er allen Ernstes. »Und worüber machst du dir dann Sorgen?«

Rialla hob die Schultern. »Über nichts.« Als er ungläubig aufschnaubte, fügte sie hinzu: »Ich war wohl einfach nicht darauf vorbereitet, ihn jemals wiederzusehen. Und der Tod der Sklavin war ausgesprochen … unerfreulich. Ein Speisemesser wäre nicht unbedingt die Waffe meiner Wahl gewesen …« Sie wandte wieder den Blick ab und schluckte hart. Immerhin hatte das Mädchen aus dem Osten den Mut gefunden, diese Entscheidung zu treffen.

Rialla erinnerte sich noch gut daran, wie sie den kleinen scharfen Dolch angestarrt hatte, den jemand versehentlich auf der Essbank hatte liegen lassen. Keine sonderlich effektive Waffe, doch sie hatte mit dem Gedanken gespielt, sich damit das Leben zu nehmen. Und es aus Feigheit dann doch nicht getan. Der andere Moment, in dem sie an Selbstmord gedacht hatte, war kurz nach ihrer Flucht gekommen, als ihr klar geworden war, dass sie Freiheit mehr fürchtete als die Versklavung.

»Rialla.« Laeths Stimme war sanft, und sie wusste, er hatte sie nicht zum ersten Mal gerufen. »Wie hieß dein Besitzer?«

»Isslic, aber seinen Familiennamen kenne ich nicht – Sklavenausbilder nennen so gut wie nie ihren vollen Namen.«

Laeth nickte. »Besonders nicht, wenn er zu den höheren Kreisen zählt und jederzeit mit einer Einladung nach Westholdt rechnen muss. Isslic ist ein weitverbreiteter Name; ich kenne allein vier oder fünf Männer, die so heißen.«

»Wenn dies überhaupt sein richtiger Name ist«, meinte Rialla achselzuckend. »Ich glaube, es gibt da etwas, das ich Ren gegenüber erwähnen sollte, auch wenn es nur eine Vermutung ist.«

»Und was?«

»Mein ehemaliger Besitzer ist viel herumgereist auf der Suche nach Sklaven, die er für sich abrichten konnte. Er zog es vor, sie sich selbst zu nehmen, anstatt darauf zu warten, dass ein unausgebildeter Sklave auf einem Markt angeboten wurde. Er war der Meinung, dass die meisten zu diesem Zeitpunkt schon charakterlich verdorben waren.« Rialla spürte, wie sich ihre Züge entspannten, bis diese so ausdruckslos waren wie ihre Stimme. »Wenn er also, sagen wir, eine Sklavin aus Südwald besaß, so hat er sich diese vermutlich direkt in Südwald besorgt.«

»Dreh dich um, damit ich das Bett verlassen kann«, befahl Laeth ihr plötzlich brüsk.

»So sittsam auf einmal?«, neckte sie ihn und fühlte zum ersten Mal, seit sie im Keller die Stimme ihres ehemaligen Meisters vernommen hatte, wie sie ganz und gar ruhig wurde.

»Ich wollte dein Zartgefühl nicht verletzen. Wenn du mich allerdings unbekleidet sehen willst, nur zu«, gab er zurück. »Wie auch immer, ohne meine Stiefel kann ich nicht richtig denken.«

Rialla lachte und drehte sich zur Wand um, während er sich anzog.

»Also, worauf genau willst du hinaus?«, fragte Laeth schließlich. »Wenn also das Mädchen, das du dort unten angetroffen hast, aus dem Osten stammte, muss der Sklavenausbilder es sich demnach im Osten geholt haben?«

Rialla nickte. »Ja.« Sie wandte sich zu Laeth um, der nun vollständig angezogen war. »Hat Ren dir von den Vorgängen im Osten berichtet? Dass er glaubt, der Anführer der Ostleute sei ein Magieanwender, der im Westen ausgebildet wurde?«

Laeth nickte.

»Obwohl mein Meister Darraner war, war er auch ausgebildeter Magier.« Kurz hallten die Schreie ihrer erschlagenen Stammesbrüder und -schwestern in ihrem Kopf wider. »Ich kann nichts weiter dazu sagen, aber man hatte mir erzählt, dass er vom letzten Erzmagier unterwiesen wurde – für mich zumindest ein Hinweis darauf, dass er recht talentiert sein muss. Wie dem auch sei, die Sklavin, die sich selbst getötet hat, stammte aus dem Osten. Und sie dachte, sie würde der Stimme von Altis dienen.«

Rialla stand auf und schritt ruhelos im Gemach auf und ab, während sie fortfuhr, die Geschichte zu erzählen, die sie sich aus den Fetzen des Albtraums im Sklavenquartier zusammengereimt hatte. »Ihr war bewusst, dass der Dienst für Altis auch das Konkubinat mit einschloss, aber ihr war nicht klar gewesen, dass dies gleichbedeutend war mit der Versklavung und Verschleppung in ein fremdes Land.«

Laeth setzte sich auf das Sofa, das Rialla verlassen hatte, und machte es sich so gut es ging auf der hartgepolsterten Fläche bequem. »Wenn ich dich also richtig verstehe, hältst du es für denkbar, dass es sich bei eurem gemeinsamen Meister um die Stimme von Altis handeln könnte?«

Rialla zuckte die Achseln. »Ich weiß es nicht. Ich hätte mir jedenfalls nicht vorstellen können, dass er das Charisma besitzt, um eine solche Rolle auszufüllen. Er war nicht gerade ein Mann, der die Massen begeistern konnte. Obwohl seine persönlichen Sklaven ihm sehr ergeben waren, schienen sie mir doch nicht sonderlich loyal.«

»Wie hätte er’s also anstellen sollen? Mittels Magie?«, fragte Laeth.

Wieder hob Rialla die Schultern. »Ich weiß darüber nicht mehr als du. Ich hörte allerdings das Gerücht, dass der letzte ae’Magi über einen solchen Zauber verfügte, aber du kennst das ja: Es kursieren andauernd irgendwelche Gerüchte über Magier und ihre tollen Zaubersprüche. Was ich aber weiß, ist, dass die Sklavin keinen Zweifel hegte, dass ihr Meister die Stimme von Altis war.«

Laeth sah sie lange an, dann sagte er: »Du musst dich ganz schön lange mit dieser Sklavin aus dem Osten unterhalten haben.«

»Tatsächlich«, erwiderte Rialla, »hat sie mir all diese Informationen im Schlaf aufgezwungen. Auch sie war nämlich eine Empathin, weißt du – vielleicht sogar eine noch mächtigere als ich.«