Laeth drehte Rialla zu sich herum, als wäre sie ein kleines Mädchen, und tätschelte dabei vertraulich ihr Hinterteil. »Geh und mach das Zimmer sauber. Und sieh zu, dass du den anderen grünen Pantoffel findest, der zu deinem Tanzkostüm gehört. Ich möchte, dass du es zu deiner abendlichen Darbietung trägst. Sieh unter dem Bett nach; vielleicht hab ich ihn gestern dort hingeworfen. Ach ja, und ich möchte, dass du beim Nachtmahl an meiner Seite bist.« Rialla entfernte sich gesenkten Hauptes und musste sich sehr zusammenreißen, um nicht davonzurennen.
In Laeths Gemächern streckte sie sich auf dem Bett aus und dachte über Winterseine nach. Es hatte sie verblüfft, wie verärgert Laeth gewesen war. Sie wäre nicht überrascht gewesen, wenn er sich nur zaghaft gesträubt hätte, sie an den Onkel zurückzugeben. Obwohl sie seinen leidenschaftlichen Einsatz herzerwärmend fand. Sie schloss die Augen und schlief ein.
Der Lärm der zurückkehrenden Jagdgesellschaft weckte sie auf. Hastig sprang sie vom Bett und legte das smaragdfarbene Tanzkostüm an, das sie vor ihrer Abreise aus Sianim bei Midge erstanden hatte. Dafür, dass sie es in einem Freudenhaus gekauft hatte, war das grüne Kostüm erstaunlich schlicht. Die Schleier bedeckten den Körper von der Hüfte zu den Zehen und vom Nacken bis zu den Handgelenken, kaschierten das hautenge Ober- und Mittelteil und gewährten zwischen all den hauchdünnen Stoffbahnen somit nur dann vage Blicke auf nackte Haut, wenn Rialla sich im Tanz bewegte.
Sie flocht sich das Haar zu einem hübschen Kranz, an dem sie noch mehr Schleier befestigte, die ihr Gesicht und ihren Nacken bedeckten, bis nur noch ihre exotisch blasse Taille zu sehen war. Die winzigen Goldglöckchen, mit denen das Kostüm benäht war, waren noch das ungewöhnlichste Detail an ihrer Aufmachung. Rialla hatte sie glücklicherweise auf einem Markt in Sianim gefunden.
Sie durchsuchte ihr Gepäck, bis sie das Ledersäckchen fand, in dem sich der Schmuck einer Tänzerin befand. Ihre Finger berührten gefährlich lange, scharfe Goldnägel, die an zierlichen goldenen Kettchen hängend mit schwarzen Armfesseln verbunden waren. Ähnliche Goldketten baumelten von den schwarzen Lederfußfesseln. Eine deutlich schwerere Kette umschlang ihre Taille und rutschte unter dem Eigengewicht bis hinab auf die Hüften.
Sie legte die seidenen Slipper an, die farblich auf das Kostüm abgestimmt waren. Normalerweise wurde der Tanz barfuß dargeboten; doch nackte Füße wurden als erotisch und somit als unpassend für eine Vorführung erachtet, an der auch weibliche Adelige teilnahmen. Zuletzt legte sie das schwere schwarze Cape an, dass den Großteil ihrer Aufmachung verhüllte.
Fertig zurechtgemacht für ihren Auftritt stieg Rialla die Stufen hinab und ging Richtung Bankettsaal, wo sie auf Laeth warten sollte. Schweigend und mit gesenktem Kopf stand sie da und versuchte die Blicke der Bediensteten zu ignorieren. Vermutlich war dies das erste Tanzkostüm, das sie je gesehen hatten. Sklaven waren kostspielig – nur die Allerreichsten konnten sie sich leisten –, und Tänzerinnen waren die teuersten von allen. Die meisten Tänzerinnen gehörten Geschäftsleuten, die sie benutzten, um neue Kunden in ihre Tavernen und Privatlokale zu locken. Dass Tänzerinnen nur zum privaten Vergnügen gehalten wurden, kam dagegen so gut wie nie vor.
Als Laeth den Speisesaal betrat, in ein lautes, erregtes und offenbar leicht angetrunkenes Gespräch mit seinem Cousin Terran vertief, der peinlich berührt versuchte, ihn zum Schweigen zu bringen, bewegte sich Rialla auf leisen Sohlen zum Tisch und rückte Laeth den Stuhl zurecht. Als er Platz genommen hatte, zog sie sich wieder bis an die Wand zurück, damit sie den Dienern nicht im Wege stand. Die anwesenden Adligen schienen ob ihres Anblicks nicht minder fasziniert als das Personal, wenn sie auch wesentlich diskreter in ihre Richtung starrten.
Wenn sie darüber nachdachte, wie sie all diese Menschen narrte, machte Rialla das Spiel fast Spaß, besonders seit Laeth ihren ehemaligen Meister ausmanövriert hatte. Schon merkwürdig, dachte sie, dass ich mich nie weniger als Sklavin gefühlt habe als jetzt, wo ich versuche, eine zu sein.
Sie bemerkte Lord Winterseine erst, als er in ihr Ohr flüsterte: »Du hättest nicht weglaufen sollen, meine Kleine … Glaube ja nicht, dass der junge Welpe dich vor meinem Zorn wird schützen können. Mit ihm habe ich bereits anderes vor …«
Seine aufgestaute Wut schwappte ihr entgegen wie geschmolzene Lava, als er ihren Arm ergriff. Diese Einfaltspinsel! Glauben, sie könnten mich zum Narren halten, was? In diesem Moment wurde sie seinem körperlichen wie mentalen Griff entzogen, denn sie wurde mit Nachdruck am Handgelenk gepackt.
»Sklavenmädchen«, sagte Laeth in leicht angetrunkenem Ton. »Hol mir den Branntwein, den ich aus Sianim mitgebracht habe. Terran hier meint, er hätte noch nie rethischen Schnaps getrunken, obwohl er schon zu vielen Gelegenheiten in Reth gewesen ist.« Tadelnd sah er seinen Cousin an und schüttelte den Kopf, bevor er Rialla Richtung Tür schob.
Dankbar entfloh sie dem Bankettsaal und eilte die Stufen hinauf. Atemlos erreichte sie Laeths Gemächer und schloss die Tür hinter sich. Als sie sich auf die Suche nach dem Branntwein machte, den sie eingepackt hatten, versuchte sie herauszufinden, was an Lord Winterseine sie am meisten beunruhigte.
Sie hatte damit gerechnet, dass er wütend war, doch seine Wut hatte jedes Maß verloren. Sicher, sie war wertvoll gewesen, aber doch nicht unersetzlich. Seinem Groll haftete etwas Wahnhaftes, nein, Wahnsinniges an. Das wenige, das sie damals über seinen Charakter erfahren hatte, ließ darauf schließen, dass er ein von Natur aus wütender Zeitgenosse war … wütend und vielleicht auch angsterfüllt.
Als sie darüber spekuliert hatte, ob ihr ehemaliger Besitzer die Stimme von Altis sein könnte, hatte sie nie wirklich daran geglaubt. Das war jetzt anders. Es hatte sich mehr an ihm geändert als nur die Farbe seines Bartes. Ein gewisses Maß an Überheblichkeit war unbestreitbar die Voraussetzung dafür, dass man andere Menschen zu Sklaven machte, doch Lord Winterseines Überheblichkeit schien zu einem gemeingefährlichen Größenwahn angewachsen zu sein.
Nachdem sie endlich die Schnapsflasche gefunden hatte, machte sich Rialla wieder auf den Weg in den Speisesaal. Vor der Tür angekommen hielt sie inne, um durchzuatmen. Dann betrat sie gewohnt anmutig den Saal.
Winterseine saß an der entgegengesetzten Seite der Tafel und damit weit entfernt von Laeth, der sich wieder mal alle Mühe gab, die Anwesenden zu brüskieren. Anstatt seinen Redefluss zu unterbrechen, setzte Rialla die Flasche kurzerhand so auf dem Tisch ab, dass Laeth sie ob seines exaltierten Gefuchtels nicht zu Boden reißen konnte. Dann trat sie zurück an die Wand und amüsierte sich im Stillen über seine Mätzchen.
Als die heiße Kirschtorte serviert wurde, sprang Laeth, der sich von Terran hatte überzeugen lassen, während der vorangegangenen vier Gänge zu schweigen, plötzlich von seinem Stuhl auf.
»Es ist mir scheißegal, wen die Prinzessin ehelicht. Von mir aus kann sie einen Esel heiraten, aber ich kann’s nun mal nicht ertragen, dass eine darranische Prinzessin sich mit einem rethischen Ochsen vermählt! Das einzig Gute, was die Rether in den letzten hundert Jahren zustande gebracht haben, ist dieser Branntwein.« Er langte nach der Flasche, die Rialla herbeigebracht hatte, und verfehlte sie. Verwirrt blinzelte er in die Runde, sprang sodann auf den Tisch und suchte die Flasche so lange, bis er sie neben seinen Füßen liegend wiederfand.
Er schwang die Flasche mit solchem Schwung in Richtung seines Bruders, dass selbst Rialla, die wusste, dass er in etwa so stocknüchtern war wie sie, sich innerlich krümmte. Doch irgendwie schaffte er es, sie gleichzeitig am Hals festzuhalten und nicht vom Tisch zu fallen.
»Du, Karsten, bist der Grund dafür, dass unsere bedauernswerte Prinzessin diesen hirnlosen Bärenköderhaufen heiraten muss.« Seine Stimme bebte so sehr vor Melodramatik, dass Rialla sich ein Grinsen nicht verkneifen konnte. Immerhin wusste sie nun, warum Laeth so ein Theater aufführte.