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»Nun denn«, meinte sie. »Dann sagt mir doch einfach, warum Sianim die Allianz nicht zu verhindern wünscht. Immerhin hat die ewige Fehde zwischen Darran und Reth uns einen niemals versiegenden Goldfluss beschert, nicht wahr?«

Ren musterte sie so wohlgefällig wie ein Lehrer, der einen besonders aufgeweckten Schüler vor sich hat. Zufrieden rieb er sich die Hände und begann zu erzählen.

»Der Große Sumpf stellte lange Zeit die natürliche Grenze zwischen dem Osten und unserem Westen dar.« Er machte eine ungeduldige Geste. »Nun setz dich endlich, Mädchen. Das wird jetzt eine Weile dauern. Also … Der einzige Handel, der derzeit mit dem Osten möglich ist, erfolgt durch die Segelflotte der Ynstrah, welche die Untiefen und Riffs der Südlichen See bekanntlich nicht fürchten.

Einst führte eine Überlandstraße durch das Moor. Die Magie des Erzmagiers hielt die Uriah, die Wichte und die anderen widerlichen Sumpfbewohner auf Abstand. Doch die Zeiten änderten sich, wie auch die Prioritäten des Erzmagiers, und so wurden andere Angelegenheiten wichtiger. Die Straße wurde überschwemmt und wieder vom Sumpf verschluckt.«

Er machte eine Pause und trank einen Schluck Wasser aus einem Glas, das am Rand seines Schreibtischs stand.

»Von dieser Handelsstraße hab ich schon gehört«, meinte Rialla. »Aber was hat das mit Darran zu tun? Es liegt doch nicht mal in der Nähe dieses Sumpfes.« Sie hatte einen mit verschlissenem Gobelin bezogenen Stuhl leergeräumt und setzte sich nun auf die Kante. Die Hände ruhten entspannt auf ihrem Schoß.

»Hab Geduld, du wirst es gleich erfahren.« Rens Stimme verfiel in den Tonfall des Geschichtenerzählers, als er fortfuhr. »Als ich mein Amt antrat, stellte ich fest, dass wir so gut wie keine Informationen darüber hatten, was auf der anderen Seite des Sumpfs vor sich ging. Ein schweres Versäumnis, das ich natürlich nachholen musste.

Schon einige Zeit hatte ich die Expansionsbestrebungen eines östlichen Königsreichs namens Cybelle verfolgt. Noch ein Jahrzehnt zuvor war Cybelle ein kleines und sehr armes Land gewesen. Dann verstarb sein Regent und hinterließ nicht einen einzigen legitimen Nachfolger. Am Ende der sich anschließenden Machtkämpfe bestieg ein Mann den Thron, der als religiöser Fanatiker gilt und sich ›Stimme von Altis‹ nennt. Zehn Jahre lang versuchte ich etwas über die Herkunft dieses neuen Herrschers herauszufinden, aber er schien wie aus dem Nichts gekommen zu sein.

Dieser Mann wie auch seine Anhänger behaupten, der archaische Gott Altis sei ihnen erschienen und habe verkündet, dass es Cybelles Schicksal sei, über das Land zu herrschen – und zwar von der Östlichen See bis zum Westen, von den fernen Nordlanden bis zur Südlichen See. In der vergleichsweise kurzen Zeit, in der ›die Stimme‹ nun an Cybelles Spitze steht, hat sie es geschafft, sich die meisten Reiche zwischen der Östlichen See und dem Großen Sumpf einzuverleiben.«

Ren warf Rialla einen Blick zu, um zu überprüfen, ob sie ihm noch folgte, bevor er weitersprach: »Vor langer Zeit, nach den Magierkriegen, erhoben sich die aufgebrachten Bewohner des Ostens gegen jeden, der noch Magie praktizierte, so wie wir im Westen sie auch ablehnten. Im Osten jedoch gab es keine Zuflucht für sie. Und wo man ihnen in Ländern wie Reth oder Südwald Unterschlupf gewährte, gerieten die Magier des Ostens allmählich zu Schauergestalten, mit denen man Kinder erschreckte.

Das Wiedererstarken der Religion schritt indes noch rasanter voran als Cybelles Expansionskurs; die wenigen letzten Reiche, die sich anschlossen, taten dies gar kampflos. Ich habe erfahren, dass die Stimme von Altis Zauber wirkt. Es heißt, Altis selbst habe ihm diese Macht verliehen, um Licht dahin zu bringen, wo vormals Dunkelheit herrschte, um mit einem Handstreich Dinge in Flammen aufgehen zu lassen. Kurz: Er vermag mit nur einem Wort zu töten. Klingt das nicht irgendwie vertraut?«

Rialla vernahm seine Frage und hob den Kopf. »Ein versierter Magier hat sich also selbst auf den Thron von Cybelle gesetzt.« Ihre Stimme war bar jeden Spotts, klang vielmehr nachdenklich.

Ren nickte und war mehr denn je davon überzeugt, dass ein adäquates Werkzeug für seine Zwecke vor ihm saß. »Er plant, seinen Eroberungsfeldzug durch den Großen Sumpf fortzusetzen, indem er sich den alten Handelspfad zunutze macht. Und meine Quellen behaupten, dass er dazu sehr wohl imstande ist.«

Das Lächeln des Meisterspions erstarb, und er beugte sich auf seinem Stuhl vor. »Trotz seines exzellenten militärischen Rufs ist Sianim nur ein kleiner Stadtstaat. Allein gegen Cybelle hätten wir keine Chance. Die westlichen Staaten müssen denen aus dem Osten als Verbündete entgegentreten, wenn wir gegen deren Ansturm bestehen wollen. Ich habe mich in den letzten Jahren sehr bemüht dabei mitzuhelfen, alte Feindschaften aus der Welt zu schaffen. Doch der schwierigste Konflikt, den es beizulegen galt, waren die beständigen Scharmützel zwischen Darran und Reth.«

»Und wofür braucht Ihr mich? Es gibt viele andere, die Darranisch sprechen«, sagte Rialla ruhig und offenbar keineswegs darauf erpicht, in irgendeiner Weise behilflich zu sein.

»Lord Karsten ist die treibende Kraft hinter der Rethischen Allianz. Es gibt allerdings Leute, die nicht wollen, dass Darran und Reth ein Bündnis eingehen; der letzte Krieg ist denen noch gut in Erinnerung, die, egal auf welcher Seite, Angehörige verloren haben. Diesem Widerwillen nicht gerade zuträglich ist die Tatsache, dass Reth von jeher eine starke Affinität zur Magie hatte. Wie du selbst weißt, betrachten die Darraner die Zauberei als etwas Schädliches, ja, Verderbtes. Karstens Einfluss ist indes so stark, dass er imstande wäre, die Bedenken seiner Ratskollegen zu zerstreuen – sofern er denn so lange überlebt.«

Ren räusperte sich, bevor er fortfuhr, wobei er jede Regung der vor ihm sitzenden Frau verfolgte. »Letzte Woche wurde das Pferd, auf dem Lord Karsten ritt, durch den Pfeil eines Assassinen getötet. Karsten selbst hatte Glück, ihm geschah nichts, doch ich will wissen, wer hinter dem Anschlag steckt, damit ich dieser Sache ein Ende bereiten kann.

Es ist nun so, dass Lord Karsten ein einwöchiges Fest zu Ehren seines Geburtstags auf Westholdt, seinem Landsitz, gibt. Wegen des Mordversuchs an seinem Bruder hat auch Laeth sein Erscheinen zugesagt. So kann er sich direkt auf der Feste umsehen und schauen, ob er etwas dazu herausfinden kann.«

Ren lehnte sich noch weiter vor. »Aber ich brauche mehr. Meine liebe Mutter pflegte immer zu sagen: ›Eine ungebändigte Zunge vermag selbst die stärksten Mauern einzureißen.‹ Es ist allerdings sehr unwahrscheinlich, dass auch nur ein unbedachtes Wort gesprochen werden wird, wenn Lord Karstens Bruder zugegen ist.

Was ich also vor Ort brauche, ist etwas, von dem niemand Notiz nimmt – etwas so Unscheinbares wie ein Möbelstück. Leider kann ein Möbelstück mir aber nicht berichten, was es gehört hat. Ein Sklave hingegen schon.« Ren betrachtete Rialla genau, doch die zuckte angesichts seiner Worte nicht mal mit der Wimper.

Schweigend starrte sie zu Boden, dann sah sie kurz zu ihm auf. »Ich würde einiges für Sianim tun, aber nicht das! Malt von mir aus einem anderen eine Tätowierung auf, und ich werde dieser Person beibringen, sich wie ein Sklave zu verhalten, doch eher würde ich Sianim verlassen, als noch einmal nach Darran zurückzukehren.« Ihre Stimme war kalt und hart. Es war die Stimme einer Frau, die den Mut besessen hatte, sich eigenhändig die Haut von der Wange zu schneiden und die Wunde auszubrennen.

Unbeeindruckt lehnte sich Ren in seinem Stuhl zurück: Er hatte noch immer eine Karotte in petto, die er ihr vor die Nase halten konnte. »Um den Rethern die Allianz schmackhaft zu machen, hat Lord Karsten verschiedene Änderungsvorschläge an darranischen Gesetzen eingebracht. So soll die Ehe mit Ausländern erlaubt werden; nicht zuletzt eine Voraussetzung für die Heirat zwischen der Prinzessin und König Myr. Des Weiteren sollen die Handelsabgaben gesenkt oder möglicherweise sogar ganz gestrichen werden.« Er hielt inne und senkte die Stimme, um ihre ganze Aufmerksamkeit zu erhalten. »Die dritte Änderung betrifft die Abschaffung der Sklaverei innerhalb der darranischen Grenzen. Dies wurde als nötig erachtet, weil das Volk von Reth die Sklaverei als eine Abscheulichkeit betrachtet, derer nur die barbarischsten aller Zeitgenossen fähig sind.«