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Unbewusst holte Rialla tief Luft, vergaß für einen Moment das ungute Gefühl, das sie in Anwesenheit dieses Heilers empfand. Sie hatte sich so sehr um Laeth gesorgt, dass sie noch gar nicht darüber nachgedacht hatte, was seine Gefangenschaft für seine Sklavin bedeutete. Ren hatte ihr versprochen, dass sie nach Abschluss der Mission keine Unfreie bleiben würde, egal, wie die Sache ausging, aber sie wollte ein solches Eingreifen lieber nicht riskieren. Wie sie auch nicht wollte, dass Laeth für ein Verbrechen hingerichtet wurde, das er nicht begangen hatte.

Das Problem war, dass sie weder etwas für Laeth noch gegen ihre drohende Versklavung tun konnte. Sie war auf der falschen Seite der darranischen Grenze zur Untätigkeit verdammt und trug zu allem Überfluss eine Tätowierung, die sie als Eigentum von Winterseine kennzeichnete. Des Mannes, dem der Tod ihres besten Freundes mehr als gelegen zu kommen schien.

Sie sah zu Tris, der wieder aus dem Fenster starrte, damit sie Zeit hatte, über seine Worte nachzudenken. Sie wusste nicht, warum er davon ausging, dass sie nicht Laeths Sklavin war, aber das erschien ihr an diesem Punkt auch nicht mehr länger wichtig. Nachdem Karsten nun tot und Laeth gefangen gesetzt war, war es ohnehin nicht mehr zwingend, ihre Mission geheim zu halten – insbesondere da sie so sehr daran gescheitert waren, Karstens Ermordung zu verhindern. Auf der anderen Seite mochte sie mit Tris’ Hilfe Winterseine so lange hinhalten, dass Laeth wieder befreit werden konnte.

»Warum interessiert Euch das so sehr?«, fragte sie. »Ich habe erst einmal mit Euch gesprochen, und bei der einzigen Gelegenheit, bei der Ihr mit Laeth spracht, seid Ihr ihm nicht gerade freundlich begegnet.«

Tris holte tief Luft und sagte langsam: »Ich habe meine Gründe. Ich glaube nicht, dass ich sie dir gegenüber schon offenbaren sollte – aber ich möchte weder dir noch Lord Laeth irgendetwas Schlechtes.«

Rialla sah ihn zweifelnd an, beschloss aber, ihrem Instinkt zu folgen und ihm zu vertrauen. »Einst war ich die Sklavin von Winterseine. Vor Jahren bin ich ihm entflohen und bilde seither Pferde in Sianim aus. Als der Meisterspion jemanden brauchte, der die Sklavin spielt und Laeth nach Westholdt begleitet, hat er eben mich gefragt.«

Als der Heiler sie ansah, senkte sie den Blick, sprach aber weiter: »Der Meisterspion wusste aus sicherer Quelle, dass es eine Verschwörung gegen Karsten gab. Karstens Ermordung lag allerdings nicht in seinem Interesse, also sandte er Laeth und mich auf die Feste, um genau dies zu verhindern. Als Bruder des Lords war Laeth die perfekte Wahl, und ich, als seine Sklavin, sollte Informationen darüber einholen, wer Karsten nach dem Leben trachtete. Und warum.« Sie schaute zu Tris auf und machte ein bekümmertes Gesicht. »Leider sieht es jedoch ganz danach aus, als ob wir es dem Mörder sogar noch leichter gemacht haben, indem wir ihm den perfekten Verdächtigen lieferten. Laeths Reputation war schon immer alles andere als gut.«

Sie sah wieder auf die Bettdecke und fuhr langsam fort: »Ich bin davon überzeugt, dass Karsten von Laeths Onkel, Lord Winterseine, ermordet wurde. Er traf auf Westholdt mit einer empathischen Sklavin ein, die noch am selben Abend von eigener Hand starb. Ich kann nicht mit Gewissheit sagen, ob sie als Ablenkung für die Kreatur im Tanzsaal dienen sollte, so wie es seiner Behauptung nach meine Rolle in Laeths Plan gewesen ist. Ich hätte angenommen, dass sie ihm für solch einen Zweck zu wertvoll war. Und doch hat er sicherlich gewusst, dass das Mädchen auf diese Weise eingesetzt werden konnte.«

Sie zog den Stoff des Überwurfs stramm und ließ ihn wieder los. »Was das Thema Magie betrifft, so weiß ich sicher, dass Winterseine ein Magier ist. Er verdient sein Geld als Sklavenausbilder und -händler, er war derjenige, der mich geraubt und versklavt hat. Wenn die Sklaverei abgeschafft würde, so wie Karsten es anstrebte, würden Winterseines Einnahmen erheblich schrumpfen. Mit Karstens Tod und Laeth als Schuldigem erbt Winterseine sämtliche Besitztümer von Lord Karsten und sichert sich zudem seine Lebensgrundlage.«

»Ich dachte, Winterseine war nicht auf der Feste, als Lord Karsten vergiftet wurde«, sagte Tris.

Rialla hob die Schultern. »Das stimmt, aber sein Diener Tamas war dort. Es wäre für ihn keine große Herausforderung gewesen, Gift in Karstens Essen oder Getränke zu mischen. Ein vertrauensvoller Dienstbote, auch einer aus einem anderen Haushalt, bewegt sich nahezu unsichtbar durch jedes Anwesen.«

Sie rieb sich die Schläfen, um ihre Kopfschmerzen wegzumassieren, dann fuhr sie fort: »Und dann ist da noch die Sache mit dem verschwundenen Dolch. Jeder halbwegs talentierte Magier könnte sagen, wer eine Waffe geführt hat, die zum Mord benutzt worden ist.«

Tris wollte gerade etwas erwidern, als Rialla von irgendwoher ein Klopfen vernahm. Er drückte seine Patientin flach aufs Bett und presste einen Finger auf die Lippen. Dann stand er auf und schloss leise die Tür hinter sich, nachdem er den Raum verlassen hatte.

Sie konnte nicht hören, was im Vorraum gesprochen wurde, aber sie erkannte die Stimme wieder. Als Tris, beladen mit einem Stapel Bandagen und einem Stoffbeutel, Lord Winterseine in das Krankenzimmer führte, lag Rialla schon mit geschlossenen Augen da. Winterseine berührte sie. Sie stöhnte auf und kanalisierte den Schmerz aus ihrem Bein durch seine Berührung in ihn hinein. Rasch zog er seine Hand wieder zurück.

»Er hat recht, Vater«, sagte eine Stimme, die Rialla als die von Terran ausmachte. »Sie scheint immer noch starke Schmerzen zu haben. Die Stacheln am Schwanz der Sumpfkreatur sind giftig. Wir sollten sie bis zu ihrer Heilung hierlassen, andernfalls nützt sie uns nicht mehr viel. Was will man denn mit einer verkrüppelten Tänzerin? Wie ich hörte, zählt dieser Heiler hier zu den besten in ganz Darran. Wenn einer sie wiederherstellen kann, dann er.«

Vergiftet, dachte Rialla. Dieser Heiler musste ein wahrer Künstler sein, wenn er eine schwärige Wunde innerhalb nur weniger Stunden so gut behandeln konnte, wie er es offenbar getan hatte.

»Also gut, Heiler«, vernahm sie Winterseines verhasste Stimme. Sie spürte, wie er den Quilt anhob, sodass er die strammen Verbände um ihr Bein in Augenschein nehmen konnte. Obwohl sie die graue Sklaventunika trug, fühlte sie sich ohne die Bettdecke plötzlich nackt. »Ich komme morgen wieder«, fuhr er fort. »Macht Euch keine Sorgen wegen der Bezahlung. Falls mein Neffe nicht freikommt, werde ich alle Unkosten begleichen. Sie ist eine sehr wertvolle Tänzerin, müsst Ihr wissen, und lohnt diese Ausgabe. Insbesondere wenn Ihr es schafft, ihr Bein narbenfrei zu bekommen.«

»Ich tue mein Bestes, aber um Eure Investition geht’s mir dabei wahrlich nicht.« Tris’ Stimme war kalt und doch voller Abneigung. Rialla erinnerte sich, wie Laeth erwähnt hatte, dass der Heiler den Adel nicht sonderlich schätzte.

»Aber gewiss nicht, guter Mann. Ein Heiler denkt an alles, nur nicht an den schnöden Mammon, wenn er die Kranken kuriert, nicht wahr?« Winterseines Worte klangen verbindlich, konnten aber den leichten Spott, der mitschwang, nicht überdecken. Schließlich wusste jeder hier, dass der Heiler unverschämt hohe Preise für seine Dienste verlangte.

Offensichtlich störte sich Tris kein bisschen an Winterseines Seitenhieb. »Mein Preis steigt mit den Unannehmlichkeiten, die mir der jeweilige Fall bereitet. Und der Eure hat sich soeben verdoppelt. Wie dem auch sei, Ihr habt sie gesehen, Ihr wisst ja, wo die Tür ist.«

Winterseine lachte, doch er ging trotzdem.

Rialla und der Heiler warteten, bis die Eingangstür ins Schloss gefallen war. Tris steckte noch einmal den Kopf in den Vorraum, um zu überprüfen, dass die beiden auch wirklich gegangen waren, dann nahm er wieder seinen Platz am Fuß des Bettes ein.

»Also«, sagte er so freundlich, als ob das Eis in seiner Stimme nie dagewesen wäre. »Was willst du als Nächstes tun?«