Tris bewegte einen Frosch übers Spielfeld. »Nun, es braucht einen ungewöhnlichen Darraner, um aus ihm einen erfolgreichen Söldner zu machen.«
Rialla blickte stirnrunzelnd auf das Spiel, noch immer nicht bereit, sich zu ergeben. Sie schlug seinen Frosch mit ihrem anderen Pilz, bevor sie antwortete: »Laeth ist … nun, ich denke, ›ungewöhnlich‹ trifft es wohl am besten. Er ist ein wirklich liebenswerter Kerl, dem es großen Spaß macht, andere Menschen zu schockieren, insbesondere Menschen, die er nicht mag.
Dazu ist er im Training ein passabler Kämpfer, und ich denke, ein noch viel besserer, wenn es wirklich um was geht. Ich für meinen Teil halte mich von echten Kämpfen lieber fern, ich bin Pferdeausbilderin.« Sie dachte einen Augenblick lang nach, dann lächelte sie. »Außerdem ist er wirklich rasend komisch.« Sie zuckte die Achseln, wusste nicht, was sie noch sagen sollte.
Tris nickte und erledigte mit seiner Eule den Pilz, der seinen Frosch geschlagen hatte. Er nahm ihren Spielstein vom Feld und sagte, ohne aufzusehen: »Dann seid ihr also sowohl Freunde als auch Verbündete.«
Rialla sah ihn scharf an. »Warum seid Ihr so interessiert an Laeth?«
Wieder hob sich eine schwere Augenbraue in Tris’ Gesicht. »Nun, ich hab ihn nur zweimal getroffen. Und beide Male fanden unter wenig glücklichen Umständen statt. Wenn ich dir dabei helfe, ihn aus Westholdt rauszuholen – und es sieht fast danach aus, als müssten wir das tun –, dann wüsste ich gern, für wen ich meinen Hals riskiere. Für den arroganten Edelmann, den ich an dem Tag kennenlernte, als Karsten vergiftet wurde, oder für einen Menschen, der es absolut wert ist. Also, wie gut kennst du ihn wirklich? Ist er dein Liebhaber, dein Freund oder nur ein Bekannter …«
»Er ist ein Freund, ein sehr guter Freund«, erwiderte Rialla. Sie fixierte wieder das Spielbrett und bekam so nicht mit, wie sich der Heiler sichtlich entspannte, da ihre Antwort ihm offenbar wichtiger war, als sie auch nur ahnte. »Er wäre im Übrigen kein guter Liebhaber, schätze ich. Dafür ist er viel zu vernarrt in Marri.«
»In Karstens Frau?«
Rialla schob ihren Wolf ein Feld weiter als zulässig, da Tris gerade nicht auf das Brett achtete. Sie nickte und erklärte dann: »Nicht dass er in dieser Sache irgendwas unternähme. Er war in Marri verliebt, bevor man sie mit Karsten verlobte. Als Laeth herausfand, dass sie seinen Bruder heiraten würde, verließ er Darran und tauchte in Sianim auf. Wie auch immer, Marri kam während unseres Aufenthaltes auf der Feste in Laeths Gemächer, um ihm mitzuteilen, dass man ihm den Giftanschlag auf seinen Bruder in die Schuhe schieben wolle.«
Tris nickte, entfernte Riallas Wolf vom Brett und ersetzte ihn durch seinen Fuchs. Rialla protestierte heftig gegen die damit einhergehende unterstellte Beschuldigung, sie hätte sich die Unaufmerksamkeit ihres Gegners zunutze gemacht und einfach ein paar Felder übersprungen – eine Praxis, die darüber hinaus ausdrücklich erlaubt war, sofern der andere nicht aufpasste.
Tris verschränkte die Arme vor der Brust und reagierte nicht darauf. Schmollend erledigte Rialla seinen Fuchs mit ihrem verbliebenen Pilz. Der Rest des Spiels war dankenswerterweise kurz, und Rialla verlor. Spaß machte ihr das nicht.
Irgendwann mitten in der Nacht erwachte Rialla, weil es heftig an der Tür der Hütte klopfte. Sie setzte sich im Bett auf und wartete, unfähig sich zu erheben.
Von draußen war die Stimme einer Frau zu hören. Was sie sagte, war durch die Tür nicht zu verstehen, aber sie klang erregt. Der Tirade wurde mit einem tiefen Grollen geantwortet, das, wie sie vermutete, von Tris kam. Kurz darauf trat der Heiler in den Raum, knapp gefolgt von der in einen Umhang gehüllten Herrin von Westholdt.
Dieses Mal erhellte Tris das Zimmer auf herkömmliche Art, indem er bei den Lampen einen Zündstein benutzte.
Marri nahm ihren Umhang ab und sah sich suchend nach einem Ort um, an dem sie ihn ablegen konnte. Schließlich ließ sie ihn einfach zu Boden fallen. Sie wirkte, als hätte sie in den letzten Tagen kaum geschlafen; die Haut war fahl, und dunkle Schatten lagen unter ihren Augen.
»Rialla«, sagte Marri mit eindringlicher Stimme. »Laeth hat mir gesagt, ich soll zu dir kommen, wenn ich Hilfe brauche. Ich weiß zwar nicht, wer du wirklich bist und was du mit Laeth zu schaffen hast, aber ich brauche …« Sie stockte. »Er braucht Hilfe, und ich habe sonst niemanden, an den ich mich wenden kann. Lord Jarroh sinnt auf Rache, und er ist davon überzeugt, dass Laeth meinen Ehemann ermordet hat.«
Rialla nickte und zeigte neben sich auf die Matratze. »Setzt Euch doch«, sagte sie knapp. Marri hockte sich auf die Bettkante, wobei sie so viel Abstand zwischen sich und Rialla hielt, wie nur irgend möglich.
Tris zog sich einen Stuhl heran, nahm ebenfalls Platz und bemühte sich um einen gutmütigen Gesichtsausdruck.
»Mir scheint, Laeth hatte wenig Gelegenheit, Euch alles zu erzählen«, meinte Rialla. »Laeth ist ein guter Freund von mir«, sie schaute vielsagend auf den großen Abstand zwischen sich und Marri, »nicht mehr, aber auch nicht weniger. Wir wurden von Sianim entsandt, um den Mord an seinem Bruder zu verhindern. Nun, was unseren Erfolg in dieser Sache betrifft, könnt Ihr Euch wohl selbst ein Urteil bilden.« Rialla zuckte mit den Achseln und fuhr sich durchs Haar. »Ich hoffe, ich bin erfolgreicher, wenn es darum geht, Laeth vor dem Strang zu bewahren.«
»Sie werden ihn nicht hängen. Man wird ihn vierteilen«, sagte Marri mit leiser, bebender Stimme. »Morgen früh.«
»Was?«, rief Rialla aus, bevor sie die Bettdecke von sich warf und auf die Füße sprang. Tris’ Hand war da, um sie aufzufangen, als das verletzte Bein unter ihrem Gewicht nachgab. »Was ist denn aus dem in Darran so viel gerühmten ›gerechten Prozess‹ geworden?«
»Lord Jarroh hat verlauten lassen, dass es wohl keinen Zweifel an seiner Schuld gäbe. Und Lord Winterseine würde beschwören, dass er sah, wie Laeth meinen Mann von hinten erstach.« Marri hob hoffnungslos die Schultern. »Deshalb kam ich zu dir.«
»Verdammt«, sagte Rialla frustriert. »Wie in Temris’ Namen soll ich ihm denn mit diesem schlimmen Bein helfen können?«
Tris ließ seine Zurückhaltung fallen und schob Rialla resolut aufs Bett zurück. »Bleib da sitzen«, sagte er, und an Marri gewandt: »Kann ich auf Eure Verschwiegenheit zählen.«
Marri nickte schweigend.
»Also gut«, meinte Tris und wandte sich zu Rialla um. Er zog sein Messer hervor und schnitt ihr die frische Bandage vom Bein. Die eingeweichten Blätter rochen nach wie vor schlimm. Mit grimmiger Miene entfernte der Heiler den Kräuterwickel.
»Ich vermag dein Bein so weit wiederherzustellen, dass du damit laufen kannst«, sagte Tris, »aber es ist eine riskante Sache. Wenn das Gift noch nicht aus deinem Körper heraus ist, kann es dich noch immer töten.«
»Wenn meine Zeit gekommen ist, dann soll es so sein«, erwiderte Rialla leidenschaftlich. »Allemal besser als tatenlos zuzusehen, wie Laeth getötet wird!«
»Deine Entscheidung, junge Dame«, sagte der Heiler förmlich, als handele es sich hier um irgendein feierliches Ritual.
Dann legte er seine Hände auf ihr Bein und schloss die Augen. Es kribbelte, dann wurde das Bein taub, und sie konnte seine Berührung nicht mehr auf ihrer Haut spüren. Ihr Herzschlag wurde schneller, bis ihr Puls raste, als würde sie um ihr Leben rennen, und ihr Atem stoßweise ging.
Tris’ Hände begannen in dem spärlich beleuchteten Zimmer orange aufzuglühen, als würden sie von einem inneren Feuer erleuchtet. Rialla hörte, wie Marri aufkeuchte, doch sie war zu gefesselt von dem, was geschah, um sich darum zu kümmern. Wenn er sie auf diese Weise heilen konnte, dann war Tris keinesfalls ein gewöhnlicher Magier, denn jedes Kind wusste, dass das Heilen nicht zu den Stärken eines Zauberers gehörte.
Tris zog seine Hände fort, und auf Riallas Bein war nicht mehr zu sehen als eine halbverheilte Narbe. »Mehr kann ich nicht tun, und ich habe dir genug Energie gelassen, damit du dich aus dem Bett erheben kannst.«