Etwas am Hals der Kreatur begann plötzlich violett aufzuleuchten; das Licht wurde stärker und stärker. Es war eine Art Halsband, und sie schlug danach, ohne von ihrem Mahl abzulassen.
Doch das Leuchten wurde immer intensiver, und die Kreatur knurrte und fauchte und zog sich schließlich unwillig von dem toten Körper zurück; ein Blutstropfen rann aus ihrem Mundwinkel und fiel zu Boden wie eine einsame Träne. Gereizt riss das Biest an dem Halsband, doch es hielt stand.
Wie Tris feststellte, stank das Halsband förmlich vor Menschenmagie. Und er hätte seinen Kopf darauf verwettet, dass es einige Fluchgelübde enthielt, welche die Kreatur dazu zwangen, Laeth zu finden und zu töten.
Widerstrebend ließ sie die Leiche zurück und ging auf die Treppe zu. Tris erstarrte nur eine Armbreite von ihr entfernt zu Stein. Er hätte sie ziehen lassen, wäre Laeth nicht gewesen – geschwächt, unbewaffnet und auf der Treppe auf seinen Retter wartend.
Als sie an ihm vorbei war, erhob sich Tris geräuschlos und hielt seinen Stab bereit. Er wartete so lange wie möglich, bevor er angriff. Je mehr er über die Kreatur erfuhr, umso besser konnte er sie bekämpfen.
Tris sah, wie sie sich versteifte, als sie Laeth über sich erblickte. Er hatte sich auf den Stufen niedergelassen und war sich des Dramas, das sich weiter unten anbahnte, nicht im Geringsten bewusst. Die Kreatur fauchte. Tris konnte Laeth von seinem Platz aus nicht sehen, aber er konnte hören, wie der Darraner nun eilig die Treppe hinauf- und dann wieder hinabstieg.
Die Kreatur bellte leise, was vielleicht eine Art Lachen sein mochte, bevor sie ihre Magie wirkte. Der wortlose Zauber, den sie sang, war so stark, dass selbst Tris, der sich außerhalb ihres Magiefokus befand, den Sog noch spüren konnte.
Laeth bewegte sich an der Kreatur vorbei in den Raum, in dem sie kurz zuvor ihr Nachtmahl gehalten hatte. Die Sumpfbestie war ganz auf ihr nächstes Opfer fixiert und bemerkte deshalb den Heiler nicht, der neben ihr und von seiner eigenen Magie geschützt mit den Schatten verschmolz.
Laeth machte zwei Schritte in den Raum hinein, dann hielt er inne und presste sich beide Hände gegen die Ohren. Die Kreatur erhöhte die Intensität ihrer Betörung, beschwor bei ihrem Opfer sowohl körperliche als auch emotionale Begierde herauf. Schweiß trat auf die Stirn des Darraners, als er gegen die Verführung ankämpfte und sich gleichzeitig zwang, sich nicht von der Stelle zu rühren.
Genug, dachte Tris schließlich, und zog ihr das metallverstärkte Ende seines Stabes über den Kopf. Ein Schlag, der jeden Menschen auf der Stelle getötet hätte, doch sie wurde nur quer durch den Raum geschleudert und landete zwischen Tischen und Gerätschaften, deren Zweck im wahrsten Sinne des Wortes im Dunkeln lag. Schweigend und schwungvoll kam sie wieder auf die Beine.
Sich an Laeths frühere Reaktion erinnernd, schloss Tris die Augen und beschwor einen hellen Blitz aus Magierlicht. Stark genug, um die Kreatur zu blenden. Gleichzeitig machte er zwei schnelle Schritte zur Seite. Sie verfehlte und schlug den Tisch direkt neben ihm zu Kleinholz, und er schwang abermals seinen Stab und traf sie an der Schulter.
Die Kreatur schien aufgrund der Dunkelheit weniger eingeschränkt zu sein als er, also beschwor er noch einmal ein erträglich helles Magierlicht.
Ihre Fangzähne waren beeindruckend, jedoch dünn und spitz, insofern eher dazu geeignet, sich in den Hals eines Opfers zu schlagen, als sich mit ihm einen großen Kampf zu liefern. Die Augen waren geschlitzt wie bei einer Katze und verrieten Tris, dass sich die Kreatur des Sumpfes im Halbdunkel wohler fühlte als im hellen Licht. Er hatte sie offenbar verletzt, denn einer ihrer Arme hing schlaff herunter, und das von ihrem Kopf tropfende Blut schränkte vermutlich die Sicht aus ihrem rechten Auge ein.
Auch der harte, rutschige Steinboden schien ihr nicht zu behagen; fast unsicher bewegte sie sich auf ihm voran. Tris war gerade zu dem Schluss gelangt, dass er hier und jetzt in vielerlei Hinsicht im Vorteil war, als sie mit ihrer funktionsfähigen Hand etwas nach ihm zu werfen schien.
Er riss seinen Eichenstab in die Höhe und fing den Schadzauber ab, absorbierte ihn größtenteils, wurde jedoch von der Wucht dessen, was übrig geblieben war, trotzdem gegen die Wand geschleudert.
Die Kreatur lachte und klang dabei ganz wie ein junges Mädchen. Wieder erhob sie die Hand, doch dann hielt sie abrupt inne. Ein überraschter Ausdruck trat in ihr Gesicht, bevor ihr ein Blutfaden aus dem Mund rann. Sie hustete kurz auf, dann fiel sie mit dem Gesicht nach vorn wie ein gefällter Baum. Im nächsten Moment trat Laeth aus den Schatten hinter den leblosen Körper, in der Hand eine blutverschmierte Metallstange mit gebogenem, spitzem Ende. Tris vermutete, dass die Waffe den Wachen als Folterinstrument gedient hatte.
Laeth sah auf die Leiche der Kreatur herab und meinte: »Glaube nicht, dass wir uns hier noch wegen irgendwelcher Wachleute Sorgen machen müssen.«
Tris schüttelte den Kopf. »Es sei denn, wir haben so viel Lärm gemacht, dass die Männer im Wachhaus alarmiert wurden. Wir sollten sehen, dass wir schleunigst von hier verschwinden.«
Laeth nickte zustimmend und folgte dem Heiler, inzwischen fast schon wieder so geschmeidig wie vor seiner Gefangenschaft.
Im Untergeschoss stießen sie auf die Leichen der anderen beiden Wachmänner, die nahe dem Eingang lagen. Tris ging um sie herum und trat hinaus in die Nacht. Laeth folgte ihm.
Der Heiler führte seinen Begleiter zur Außenmauer der Feste an die Stelle, über die er und Rialla in den Burghof gelangt waren. Langsam und ohne weitere Vorkommnisse erklomm Laeth die Festungsmauer. Tris wartete, bis der Darraner oben angekommen war, dann klemmte er sich seinen Stab unter den Gürtel und heftete sich an seine Fersen.
Sie hatten den schützenden Waldrand gerade erreicht, als die Alarmglocken von Westholdt losbimmelten. Laeth stutzte, doch Tris packte ihn am Arm und zog ihn tiefer ins Unterholz. Der Darraner wartete auf eine Erklärung, bis sie im Herzen des Waldes untergetaucht waren. Dort angekommen hielt er an und lehnte sich an einen Baumstamm, um zu verschnaufen.
»Meinen Dank für Euer rechtzeitiges Eingreifen, Heiler«, sagte er mit ungläubigem Blick. »Doch Ihr werdet entschuldigen, dass ich frage, warum Ihr das getan habt.«
Tris zuckte die Achseln und ließ sich auf einem umgestürzten Baumstamm nieder. »Glaubt Ihr an Prophezeiungen?«
»Was?«
»Man hat mir ein Rätsel aufgetragen«, fuhr der Heiler fort. »Demnach gilt es, einem Pfad zu folgen, der zu etwas für mich Wichtigem führt.«
»Und das Rätsel erfordert, dass Ihr Euer Leben riskiert für jemanden, dem gegenüber Ihr offenbar eine tiefe Abneigung hegt? Für einen Mann gar, der des Mordes am Lord der Feste angeklagt ist?«, hakte Laeth ungläubig nach.
Tris lächelte listig. »Nun, Laeth von Sianim«, sagte er, »meine heutigen Taten mögen vielleicht der Tatsache geschuldet sein, dass Eure Verbündete die einzige Person ist, die mich in ›Drachenraub‹ zu schlagen vermag.«
»Rialla?«, fragte Laeth, und sein Ton wurde eindringlicher. »Wo ist sie? Ist sie in Sicherheit«
Tris nickte. »Es geht ihr gut.« Er zögerte und fügte dann ehrlicherweise hinzu: »Hoffe ich zumindest. Sie sollte uns mit den Pferden bei meiner Hütte erwarten. Eure Lady ist übrigens auch dort.«
»Marri?« Erleichterung und Überraschung gleichermaßen schwangen in diesem Wort mit.
»Ja, sie kam, um Rialla mitzuteilen, dass man Euch am Morgen in Stücke reißen würde«, sagte Tris.
»Aber hat sie euch auch erzählt, dass Lord Jarroh beabsichtigt, sie wegen Verschwörung im Zusammenhang mit dem Mord an ihrem Gatten anzuklagen? Dass sie bis zum Prozess eigentlich in ihrem Zimmer eingeschlossen werden sollte? Dieses dumme Ding kam in meine Gemächer, um mich vor etwas zu warnen, das zu diesem Zeitpunkt schon jeder Idiot begriffen hatte, und dabei hat man sie beobachtet. Aber das habt Ihr bestimmt auch schon gehört. Und dann hat sie auch noch darauf bestanden, mich im Gefangenenturm aufzusuchen, und damit alles nur noch schlimmer gemacht.« Laeth schüttelte verdrießlich den Kopf, doch es hatte auch Bewunderung in seinen Worten mitgeschwungen.