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Die Taschen geschultert ergriff Laeth sodann Riallas Hand und küsste sie formvollendet.

Rialla tätschelte seine Wange und schob ihn dann brüsk von sich. »Und jetzt zieht los, bevor man am Ende noch die Pferde findet. Geht zu Fuß, wann immer ihr könnt, die Tiere hatten eine harte Nacht hinter sich. Wenn ihr euch gen Nordosten wendet und Richtung Reth reitet, solltet ihr bis auf Weiteres sicher sein. Die meisten Soldaten werden im Südosten, also an der Straße nach Sianim, nach euch suchen.«

»Ja, das hatte ich auch so geplant«, meinte Laeth. »Ich habe Freunde in Reth, wo wir eine Weile bleiben und die Pferde ausruhen können. Viel Glück für dich, Ria.«

»Und für dich«, erwiderte sie.

Laeth wandte sich an Tris. »Habt Dank für Eure Hilfe in dieser Nacht.«

Der Heiler zuckte die Achseln. »Wenn Ihr und Eure Dame sicher in Sianim eintrefft, ist mir das Dank genug.«

Er begleitete die beiden nach draußen und versicherte ihnen, dass er ihre unmittelbaren Spuren verschleiern könne, zumal sich niemand etwas dabei dachte, wenn er im Wald umherstreifte. Es gab viele Pflanzen, die ihre Wirkung erst dann richtig entfalteten, wenn man sie bei Mondschein pflückte.

Allein in der Hütte ging Rialla zurück ins Schlafzimmer und ließ sich ächzend aufs Bett fallen. Unglaublich, wie zerschlagen sie war. Sie schloss die Augen und schien unfähig, sie je wieder zu öffnen. Unwillig knurrend musste sie aber genau das tun, als Tris sie wieder weckte.

»Tut mir leid, ich weiß …«, sagte er mitfühlend. »Aber ich muss dich ein wenig saubermachen, bevor sich noch jemand wundert, warum eine schwer verwundete Sklavin mit Erde und Zweigen bedeckt auf meinem Bett liegt.« Schon hatte er sie ihrer Kleidung entledigt.

Sie war viel zu erledigt und benommen, um dagegen zu protestieren. Mit einem feuchten Lappen rubbelte er sie ab und warf ihr schließlich mit nur wenig Hilfe von ihrer Seite ihre alte Sklaventunika über.

Sie fragte sich, warum sie so erschöpft war, und schaffte es gerade noch, hervorzustoßen: »Was ist denn verdammt noch mal bloß mit mir los?«

»Shhht, alles gut«, sagte Tris. »Eine Heilung kann den Körper sehr auszehren. Normalerweise schläft man danach einen ganzen Tag und liefert sich keine Verfolgungsjagd mit blutgierigen Wachmännern.« Während er sprach, arbeitete er sich mit einem Kamm durch ihr Haar und ignorierte ihre Beschwerden, wenn es zu heftig ziepte. »Wir müssen diese Blätter herausbekommen …«

Schließlich drückte er sie zurück aufs Bett, deckte sie aber nicht zu. Stattdessen setzte er sich neben sie und sagte: »Rialla, wach auf, nur noch ein einziges Mal. Mach schon, Liebes.«

Angesichts der Dringlichkeit seines Tons schlug sie noch einmal die Augen auf. Die Morgendämmerung fiel auf seine markanten Gesichtszüge, und sie konnte sehen, wie ihm das alles widerstrebte.

»Wenn man entdeckt, dass ich dein Bein vollständig geheilt habe, wird man Verdacht schöpfen …« Es fiel ihm sichtlich schwer, weiterzusprechen.

»… deshalb müssen wir ihnen also das geben, was sie erwarten: eine Sklavin mit verletztem Bein«, beendete sie seinen Satz.

Tris nickte.

Rialla zwang sich zu einem Lächeln. »Wenn Ihr mir das Messer gebt, erledige ich das.«

Er schüttelte den Kopf. »So brutal müssen wir’s nicht machen, wiewohl es immer noch schmerzen wird.«

Sie schloss wieder die Augen, doch sie lachte trotzdem. »Gebt mir eine Minute, und ich werde nicht mal den Tritt eines Mulis spüren.«

Sie sollte sich irren. Als er die ehemals verletzte Stelle an ihrem Bein wieder öffnete, schrie sie vor Schmerz laut auf – sie war einfach zu müde, um stark zu sein.

Sorgfältig setzte er beim Nähen die Stiche, um eine Narbenbildung zu verhindern, dann bedeckte er die frische Wunde mit einer betäubenden Paste und wischte ihr mit dem Daumen die ungewollten Tränen von der Wange.

»Besser?«, fragte er schließlich.

Sie nickte und schloss die Augen. Und öffnete sie viele Stunden nicht mehr.

6

Die Sonne hatte ihre Reise gen Westen fast beendet, als Rialla erwachte. Sie fühlte sich immer noch zerschlagen, und ihr Bein schmerzte. Mit dem Instinkt der Gejagten wusste sie im gleichen Moment, dass sie von einer Stimme aus ihrem Genesungsschlaf geweckt worden war. Noch einmal schloss sie die Augen und lauschte.

Draußen im Vorraum waren Leute; sie konnte sie reden hören. Als sie sich der Tür zum Schlafzimmer näherte, konnte sie Winterseines Stimme ausmachen. Als Erster betrat Terran den Raum, dicht gefolgt von Winterseine und Tris.

»Darf ich mir die Wunde mal ansehen?«, fragte Winterseine. »Nicht dass ich Eurer Heilkunst misstraue, aber ich möchte mir gern selbst ein Bild machen. Wenn sie sichtbare Narben zurückbehält, ist sie für uns nicht mehr von Nutzen.«

Wortlos schlug Tris die Bettdecke zurück und schnitt den ungebleichten Verbandstoff von Riallas Bein. Die Entzündung war abgeklungen, und die sorgfältig gesetzten Stiche verliefen über die ganze Länge ihres Oberschenkels. Die Wunde war zwar noch nicht vollständig verheilt, ihr Zustand aber auch nicht mehr als ernst zu bezeichnen.

Winterseine wirkte beeindruckt. »Da habt Ihr gute Arbeit geleistet, Heiler. Was habt Ihr unternommen, um das Gift aus dem Körper zu ziehen?«

Tris starrte den Adligen gerade so lange an, dass es an Unehrerbietigkeit grenzte, dann erwiderte er: »Einen Wickel.«

Winterseines Mund verzog sich zu einem Lächeln, aber seine Augen waren nicht daran beteiligt. »Wir haben alle unsere Geschäftsgeheimnisse, nicht wahr?«

»Wann wird sie in der Lage sein zu reisen?«, unterbrach nun Terran die angespannte Atmosphäre im Zimmer. Rialla hatte seine Anwesenheit fast vergessen; er gehörte zu den Menschen, über die man sofort hinwegsah, sobald sie einen Raum betreten hatten.

»Das kommt auf die Art der Reise an«, antwortete Tris so sachlich wie möglich. »Sie könnte in einer Woche schon reiten. Wenn Ihr einen Wagen habt, wäre sie bereits in zwei oder drei Tagen transportfähig, obwohl fünf besser wären. Reist sie erst in einer Woche, ist das Risiko, dass sich die Wunde wieder entzündet, natürlich geringer.«

Lord Winterseine nickte und fuhr mit dem Finger an der Naht entlang, um das frische Narbengewebe auf versteckte Entzündungen hin abzutasten. Rialla, die ihr unbeteiligtes Sklavengesicht aufgesetzt hatte, spürte, wie Tris mit einem Mal unsagbar wütend wurde. Überrascht angesichts der ersten direkten Emotion, die sie von dem Heiler empfing, hob sie kurz den Blick und sah ihn an. Der Ausdruck auf seinem Gesicht hatte sich nicht geändert; wie es schien, war sie nicht die einzige Person, die imstande war, ihre Gefühle von der Außenwelt abzuschotten. Im nächsten Moment schon verebbte die von ihm ausgehende Zorneswelle, und er wirkte so verschlossen wie eh und je.

»Sehr gut«, meinte Lord Winterseine. »Dann kommen wir sie in einer Woche holen. So lange wird es ohnehin dauern, bis alle anderen Angelegenheiten geregelt sein werden.«

»Doch vergiss nicht, Vater«, bemerkte Terran, »dass wir dann auch zügig aufbrechen müssen. Wie du weißt, erwarten wir auf Feste Winterseine in vierzehn Tagen eine Lieferung. Eine Woche können wir noch hier verweilen, aber keinesfalls länger.«

Ihre Rolle vergessend, starrte Rialla Winterseines Sohn an. Glücklicherweise bekam es niemand mit. Mit aller Kraft richtete sie ihre Gabe auf ihn, doch nichts kam zurück. Lord Winterseines Geist war undurchlässig, doch sie konnte seine Aura spüren. Mit Tris, darüber war sie sich im Klaren, verhielt es sich ganz anders, doch Terrans Präsenz war für sie beim besten Willen nicht erfassbar.

»Ja, natürlich.« Lord Winterseine wandte sich an den Heiler und fügte hinzu: »Ich hoffe, es bereitet Euch keine allzu großen Umstände, wenn Ihr sie bis zu unserer Abreise hierbehaltet?«

»Nein«, erwiderte Tris. »Ich werde Euch meine Rechnung beizeiten zukommen lassen. Habt Ihr die beglichen, könnt Ihr Eure Sklavin mitnehmen.«