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Rialla! Sein dringlicher Ton brachte sie wieder zu sich, und sie versuchte, ihn erneut zu erreichen.

Sprich mit mir … Der Versuch, ja nichts von dem Wasser in ihre Lungen zu bekommen, wurde von Mal zu Mal schwieriger. Bitte … du musst mir etwas geben, auf das ich mich konzentrieren kann … Ihr Gesicht war schon ganz taub durch die Kälte, sodass sie kaum noch spürte, wann ihr Kopf sich wieder über Wasser befand.

Erst als ihre Stirn das eiskalte Nass einmal mehr berührte, wurde ihr klar, dass sie ihren Atem diesmal zu lang angehalten hatte. Sie schaffte es, kurz Luft zu holen, bevor das Wasser wieder über ihrem Kopf zusammenschlug.

Rialla? Was … Er brach ab, und sie spürte, wie er sich zusammenriss. Langsam, als wenn er laut rezitierte, schickte er ihr, worum sie gebeten hatte. Die Schwarze Tollkirsche, auch als Nachtschatten oder Belladonna bekannt, kann in kleinen Dosen als Beruhigungs- oder Schmerzmittel eingesetzt werden …

Sie klammerte sich an seine Worte wie an eine Rettungsleine, merkte, wie sie ruhiger wurde, vergleichbar mit einem Mönch, der sich in Trance sang. Es war ihr völlig egal, was er sagte, solange er nur einfach weitersprach.

Tris schien zu spüren, was sie brauchte, und versorgte sie mit einem nicht enden wollenden Strom an nutzlosen Informationen. Rialla stellte fest, dass sie auf diese Weise auch die Pein der anderen Gefangenen in der Kammer aus ihrem Geist aussperren konnte. Als sie endlich ruhiger war und sie die Emotionen der anderen nicht mehr erreichten, konnte sie sogar vorhersagen, wann sie wieder ins Wasser eingetaucht werden würde.

Tris sprach weiter zu ihr, aber sie hörte seine Worte schon lange nicht mehr. Inzwischen war sie sogar in der Lage zu erspüren, wie das Wasser sich näherte. Das war seltsam, aber sie war derzeit nicht imstande, der Sache auf den Grund zu gehen. Einmal glaubte sie sogar, von Tris diesbezüglich eine Warnung zu empfangen, aber das war lächerlich – sie wusste, dass er sich in den oberen Etagen der Burg aufhielt.

Als man sie schließlich vom Rad pflückte, war sie zu benommen, um aufrecht zu stehen, und so mussten die Wachen sie in ihre Zelle tragen. Immer noch vernahm sie Tris’ beständige Stimme in ihrem Geist und zog aus seiner Präsenz nie geahnte Kraft. Ein Handtuch und trockene Kleidung erwarteten sie auf dem Strohballen. Vor Kälte zitternd, rubbelte sie sich mit dem dicken Baumwolltuch ab, bis ihr Haar nur noch feucht war. Dann warf sie sich die frische Tunika über.

Gift, das die blühende Coralis einsetzt, um ihre Beute zu betäuben, kann auch dazu verwendet werden, Warzen und …

Tris? Erschöpft unterbrach Rialla seinen Gedankenfluss, während sie auf den Strohballen zutaumelte. Danke. Du kannst jetzt aufhören. Ich bin wieder in meiner Zelle.

Zu ihrer Überraschung fragte er sie nichts, sagte nur: Ich komme.

Rialla zog die Beine an und schlang ihre Arme darum, ließ ihren Kopf auf die Knie sinken. Es wollte ihr einfach nicht warm werden. Diesmal verfolgte sie nicht, wie Tris durch die Wand in ihre Zelle kam. Einmal war genug …

»Geht’s dir gut. Sind sie jetzt endlich fertig mit dir?« Tris’ Stimme klang sanft und gefährlich zugleich, aber als er ihre Schulter berührte, strömte seine Wärme in ihren Körper.

Rialla wandte den Kopf, schenkte ihm ein müdes Lächeln und sagte mit heiserer Stimme: »Glaube schon. Es besteht kein Grund mehr, die Sache noch weiterzutreiben. Danke für deine Hilfe.«

»Gut«, sagte er, ohne auf ihre Dankesbekundung einzugehen.

Schweiß sammelte sich in Riallas Kreuz, als sie mit vierzehn anderen Sklavinnen die Kombinationen wiederholte, die der Tanzmeister ihnen zurief. Das Gesicht des Mannes war ihr neu, wiewohl er sehr erfahren wirkte. Denn wenn die Sklavinnen mit den Übungen fertig waren, waren sie aufgewärmt und ihre Muskeln geschmeidig, doch sie waren nicht überanstrengt.

Indem sie ganz bewusst tief und regelmäßig durch die Nase atmete, bog Rialla ihr heiles Bein hinter sich nach oben, bis die Ferse ihren Hinterkopf berührte, und zählte im Stillen die Trommelschläge mit. Dabei versuchte sie das Brennen in ihrem verletzten Oberschenkel zu ignorieren, der nun das ganze Gewicht tragen musste.

Sie versuchte es mit dem anderen Bein, schaffte es aber nicht, es die letzten Zentimeter bis hinauf zu ihrem Scheitel zu beugen. Das Brennen im Oberschenkel wurde immer schmerzhafter, und sie befürchtete, dass die Wunde wieder aufreißen könnte. Also senkte sie das Bein wieder ein Stück ab, wohl wissend, dass der Tanzmeister in der Nähe stand. Als die Übung vorbei war, befahl der Meister den Tänzerinnen sich auszuruhen, und die Sklaven ließen sich dankbar auf die Matten fallen.

Dann betrachtete er Riallas rote Narbe, die dort, wo das Sumpfbiest sie erwischt hatte, noch gut sichtbar über ihrem Oberschenkel verlief.

»Beuge es«, sagte er knapp.

Auf seinen Befehl hin winkelte sie das Bein so stark an wie sie konnte und ließ es dann wieder los.

Der Tanzmeister grunzte. »Winterseine meinte, du wärst eine fertig ausgebildete Tänzerin. Schon aus diesem Grund würde ich das Bein noch einen weiteren Monat schonen, aber er hat verfügt, dass du in der Fortgeschrittenen-Gruppe tanzen sollst. Ich möchte nicht, dass du dich dabei überanstrengst, aber sollte Winterseine mal zugegen sein und zuschauen, solltest du dir alle Mühe geben. Er glaubt nämlich nicht, dass man Wunden Zeit geben muss, um zu verheilen, hält das alles nur für faule Ausreden.«

Überrascht, dass der neue Tanzmeister Winterseine vor einer Sklavin kritisierte, nickte Rialla nur schwach. Sie sah, wie er über den Holzboden zur Mitte der Übungshalle schritt und einmal in die Hände klatschte. Dann ging die Übungsstunde weiter. Sich seiner Mahnung erinnernd, schonte sie ihr linkes Bein, so gut es ging, und achtete gleichzeitig darauf, ob Winterseine nicht plötzlich hier auftauchte.

Die anderen Mädchen verhielten sich ihr gegenüber zurückhaltend und grüßten sie auch während der Pausen nicht. Schweigend setzte sich Rialla ein wenig abseits, doch nahe genug, um die Gespräche der Sklavinnen zu belauschen.

Das meiste, was gesagt wurde, war uninteressant; es schien, keine wollte sich über Lord Winterseine oder etwas anderes von Belang äußern; die Angst, wegen eines unbedachten Worts Schwierigkeiten mit dem Meister zu bekommen, saß einfach zu tief. Rialla beschloss, sich auch weiterhin im Hintergrund zu halten; vielleicht würden die anderen ja irgendwann vergessen, dass sie da war, aber es würde seine Zeit dauern.

Seufzend schloss sie die Augen und entspannte sich. Vorsichtig ließ sie ihre Verteidigung fallen und griff mit ihrer Gabe um sich. In diesem Moment hörte sie eines der Mädchen kichern. Sie fokussierte sich auf diese Sklavin und erhaschte ein Bild von Terran, das indes durch die persönliche Wahrnehmung des Mädchens leicht verändert wirkte – so gut sah er nun auch wieder nicht aus, das wusste Rialla.

Die Sklavin war erst kürzlich mit ihm intim geworden und schien jede Minute davon genossen zu haben. Rasch zog sich Rialla zurück, bevor sie am Ende noch körperlich teilhaben musste an der Begegnung mit Winterseines Sohn. Gerade, als sie sich abwenden wollte, schnappte sie ein anderes Bild auf … das Bild einer Katze, einer blauen Katze.

Es war schon dunkel, als man sie in einer frischen Tunika in ihre Zelle zurückbrachte. Wenngleich die Tanzübungen in einem Gewand absolviert wurden, das kaum den halben Körper bedeckte, war es in der Burg einfach zu kalt, um in diesem Aufzug die ganze Zeit herumzulaufen. Ihr Haar war frisch gewaschen, und man hatte einige hübsche Zöpfchen eingeflochten, sodass es nun offen herabfiel und ihre Schultern berührte.

Sobald die Wachen verschwunden waren, legte sich Rialla mit dem Gesicht nach unten auf den kühlen Steinboden.