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»Vor langer Zeit machten die Menschen nur einen kleinen Teil in einer Welt aus, die von Grüner Magie regiert und im Gleichgewicht gehalten wurde.« Seine Stimme verfiel in den Ton des Geschichtenerzählers, wenngleich ein bisschen stockend, als müsse er sich die uralten Texte erst in die Gemeinsprache übersetzen. »Es gab die kleinen Völker: die mit den Schmetterlingsflügeln, die über allen vier Winden spielten, und die Steinhauer, welche die Abendstunden dem helllichten Tage vorzogen. Dann die Naturvölker: die Sylvaner, Dryaden und Gestaltwandler, die in den Wäldern jagten und sich Territorialkämpfe lieferten. Sie alle sprachen mit den Geistern des Waldes und der Tiere.

Das Grüne Volk jedoch – gleich den Göttern, deren Kinder sie ja sind – vermehrt sich nicht schnell, und so begannen die Menschen, auch seinen Teil der Welt in Besitz zu nehmen. Während sie immer tiefer und tiefer in unsere Gebiete vordrangen, wurden sie von den Dryaden freundlich empfangen, wie diese stets alles und jeden herzlich willkommen heißen, während die anderen Völker sich zurückzogen und die Entwicklung aus der Ferne beobachteten. Als Erstes kamen die Händler, dann die Zauberer, die danach trachteten, die Geheimnisse unserer Magie zu erlernen, aber es waren die Bauern, die letztlich die Vorherrschaft der Grünen Magie beendeten.

Sie rissen das Land entzwei und holzten die Wälder ab. Die Geister der Bäume schrien, schwächten jene, die zu eng mit der Erdmagie verbunden waren. Das Land wurde besiedelt, das kleine Volk in den Untergrund vertrieben oder tiefer und tiefer in die Wälder des Nordens zurückgedrängt, wo die Grüne Magie am stärksten ist. Dort gab es aber nicht genug Platz für alle. Die Steinhauer zogen sich unter die Erde, die Gestaltwandler in sich selbst zurück. Die Sylvaner verbargen sich dort, wo niemand nach ihnen suchen würde: unter den Menschen selbst. Nur die Dryaden wichen nicht; doch nur wenige von ihnen hatten die Gewalt, die dem Land angetan worden war, überlebt. Dann kamen die Sklavenhändler, und die Dryaden entschwanden Richtung Osten.

Als die Magier begannen, sich um Macht und Einfluss zu bekämpfen, und als aus dem Nevrawald die Glaswüste wurde, verschwand auch das letzte Drachenkind mit dem Wind.«

Tris senkte dramatisch die Stimme. »Aber manchmal werden, ganz in der Tradition der Dryaden, unter den Menschen Empathen geboren, beschenkt mit grünen oder bernsteinfarbenen Augen wie ihre entfernten Verwandten. Und sie vermögen die Geister des Waldes und der Geschöpfe zu berühren – wie auch die tiefsten Geheimnisse in den Seelen der Menschen.«

Rialla wandte sich um, fixierte mit ihren klaren smaragdfarbenen Augen seinen grüngrauen Blick.

Er lachte unbeeindruckt auf.

Eine Frage, die lange unterschwellig an ihr genagt hatte, wollte nun in Worte gefasst werden. »Tris?«, begann sie leise. »In deiner Geschichte hieß es, die Magierkriege hätten die Drachen vernichtet. Stimmt das?«

»Ich weiß es nicht … ich war ja nicht dabei. Die Legenden berichten jedenfalls, dass Drachen Kreaturen der Magie seien, nicht ausdrücklich Anwender derselben. Wie dem auch sei, die Kriege zerstörten den natürlichen Fluss der Magie, und die Drachen verschwanden … so heißt es wenigstens in den alten Geschichten.«

Etwas in seiner Stimme veranlasste Rialla weiterzufragen. »Du scheinst mir nicht sehr überzeugt zu sein, dass die Legenden wahr sind, oder?«

»Nun ja«, meinte Tris und wandte sich nun ihren Füßen zu. »Tatsächlich habe ich mal einen Drachen gesehen.«

Spät in der Nacht stand Tris allein in der Dunkelheit des Waldes, der ganz in der Nähe von Winterseines Burg lag. Er lehnte die Stirn gegen den Stamm einer Eiche, konnte aber keinen Trost daraus ziehen, weil der Baum die unbedachte Tat, die den eisigen Atem der Schuld durch sein Bewusstsein jagte, nun einmal nicht ungeschehen machen konnte.

8

Das Labyrinth, das Sianim als Verwaltungsgebäude diente, war zu dieser nächtlichen Stunde verwaist. Doch als Ren sein Arbeitszimmer betrat, wartete er, bis sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, ehe er die Abschirmung von seiner Laterne entfernte.

Indem er einige Bücher auf seinem Schreibtisch zusammenschob, machte er Platz für die Leuchte. Bevor er am Nachmittag wie immer seinen Arbeitsplatz verlassen hatte, hatte er vorsorglich die schweren Vorhänge vor den Fenstern zugezogen, damit nun kein Lichtstrahl nach außen dringen konnte. Es ging ihm nicht wirklich um Geheimhaltung, sonst hätte er sich sein Dienstzimmer gar nicht erst für das nächtliche Treffen ausgesucht; Verschwiegenheit lag einfach in seiner Natur und war ihm im Rahmen seiner Tätigkeit in Fleisch und Blut übergegangen. Immerhin wurde er dafür bezahlt, so viele Informationen wie möglich für sich zu behalten.

Eine Irritation im Luftstrom sowie ein Hauch von süßlichem Parfüm ließen den Meisterspion wissen, dass ein Besucher zugegen war, noch bevor er sich zu ihm umdrehte.

Kisrah ae’Magi, einst ein unbedeutender rethischer Lord und nun Erzmagier, machte Eindruck auf jede Person, die ihm das erste Mal begegnete. Ren hatte Kisrah noch nie zuvor getroffen, aber genug über ihn gehört, um ob seiner außergewöhnlichen Erscheinung nicht sonderlich überrascht zu sein.

Des Erzmagiers Hut war von tiefvioletter Farbe, was einen charmanten Kontrast zu der flauschigen Feder in Hellrosa darstellte, die sich von der Krempe bis zu seinen Schultern herabkräuselte. Die Ärmel seines lavendelfarbenen Gewandes waren über und über mit Goldfäden bestickt, wie auch die Fußbekleidung und Handschuhe, die er trug. Eine goldene, mit Amethysten besetzte Preziose baumelte von seinem linken Ohr.

In Rens jadefarbenen Augen wirkte der Erzmagier noch recht jung – zu jung, um die Macht zu besitzen, die mit seinem Amt einherging, aber das war unter den mächtigen Zauberern nichts Ungewöhnliches. Jemand mit weniger geschultem Blick hätte den Mann nur für einen eitlen Gecken gehalten und die scharfe Intelligenz, die aus seinen dunklen Augen sprach, übersehen. Lord Kisrah hatte es verstanden, seine Macht während des Jahrzehnts seiner Amtszeit klug einzusetzen.

»Lord Kisrah«, hieß Ren ihn willkommen. »Es ist zu freundlich, dass Ihr diesem Treffen zugestimmt habt.«

»Meisterspion«, erwiderte Lord Kisrah nicht unamüsiert, »wie hätte ich einer so ungewöhnlichen Einladung fernbleiben können. Ich hatte ja keine Ahnung, dass der Gärtner meiner Mätresse ein Agent aus Sianim ist, bis er mich bat, mich hier mit Euch zu treffen. Nicht dass ich deswegen beleidigt gewesen wäre. Tatsächlich hatte ich mich schon gefragt, ob Ihr mich vielleicht für zu unbedeutend halten könntet, um mich auszuspionieren.«

Ren lächelte seinen Besucher an; eine ungewöhnlich offene Gefühlsregung, die sich auf dem Gesicht des Meisterspions zeigte. »Keine Sorge, ich habe noch andere Spione in Eurem Haushalt; andernfalls hätte ich mir eben einen anderen Weg gesucht, Euch eine Nachricht zukommen zu lassen. Der Magierrat hätte Euch nicht zum ae’Magi berufen, wenn man Euch so leicht übersehen oder gar übergehen könnte.«

»Ich fühle mich geschmeichelt«, erwiderte Kisrah und lächelte ebenfalls. »Aber ich schätze, ich bin aus einem anderen Grunde hier?«

Ren nickte und geleitete seinen Gast zu einem Stuhl, den er schon am Nachmittag von allem Gerümpel befreit hatte. Der Erzmagier ignorierte die Staubschicht auf der Sitzfläche und nahm Platz, bevor er die Beine ausstreckte und lässig übereinanderschlug. Ren zerrte seinen eigenen Stuhl hinter dem Schreibtisch hervor und setzte sich Kisrah gegenüber.

»Seid Ihr darüber informiert, was sich gerade jenseits des Großen Sumpfes abspielt?«, fragte er seinen Gast.

Kisrah nickte. »Ihr seid nicht der Einzige, der Späher aussendet. Leider wurde ich aber erst auf die Situation aufmerksam, nachdem jemand im Sumpf eine erhebliche Menge Magie zum Einsatz brachte, um die alte Überlandstraße frei zu machen.

Meine Quellen berichten auch«, fuhr Kisrah fort, »dass spätestens im nächsten Frühjahr ein Invasionsheer über die Straße gen Westen vorrücken wird. Es gab die Überlegung, dass die Magier der Sache Einhalt gebieten sollten, bevor die Straße ganz geräumt ist, aber ich stimmte dagegen.« Der Erzmagier beugte sich vor. »Ich erinnerte den Rat an die Magierkriege und die Zerstörung, die sie nach sich zogen. Wer auch immer sich gerade eine Passage durch die Sümpfe erschließt, besitzt große Macht. Ihn anzugreifen, ohne zu wissen, wozu er imstande ist, könnte verheerende Folgen haben.«