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Teilnahmslos ließ sie es geschehen, dass er ihren Arm umfasste, doch die damit einhergehenden Emotionen, die er ihr unfreiwillig aufzwang, verursachten ihr Übelkeit. Wie auch der Gedanke daran, was nun kommen würde.

Er führte sie in die Burg zurück und eine Hintertreppe hinauf. In der dritten Etage liefen sie einen langen Gang entlang, bis sie vor einer Tür standen, die Tamas mit einem vergoldeten Schlüssel öffnete.

Der Raum, in den sie geführt wurde, war groß und weitläufig, größer noch als das Gemach, das man ihr und Laeth auf Westholdt zugewiesen hatte. Auf dem Boden lagen weiche Webteppiche aus dunkler Wolle. Die Steinwände waren weiß gekalkt, wodurch der Raum noch größer wirkte.

»Bleib hier und warte auf seine Lordschaft.« Sie hörte, wie der Schlüssel im Schloss gedreht wurde, bevor Tamas davonging.

Sich in ihr Schicksal ergebend wanderte Rialla ein wenig im Zimmer herum. Es schien eine Art Salon und kein Schlafgemach zu sein, denn nirgendwo war ein Bett oder etwas Ähnliches zu sehen. Zu beiden Seiten standen lange, mit gelbem Samt bezogene Bänke, die den Blick auf die dem Eingang gegenüberliegende Wand lenkten.

Auf ihr war eine stilisierte Katze abgebildet; das Bild reichte von der Decke bis zum Boden und war in einem so dunklen Blau ausgeführt, dass es fast schwarz wirkte. Es wurde von zwei Türen in derselben Farbe flankiert. Vor dem Katzenbildnis gab es eine Art Empore, die von Türrahmen zu Türrahmen reichte. Darauf ein Altar aus rosafarbenem Marmor, der hinter einem kleinen Gebetsteppich im Zentrum der Plattform stand. Terran nahm, wie es schien, die Verehrung von Altis relativ ernst.

Neben der Ruhebank zu Riallas Rechten befand sich ein niedriger Tisch, auf dem zwischen zwei Stützen eine Reihe Bücher stand. Rialla kniete vor dem Tischchen auf dem Boden nieder, nahm eines der dünneren Bücher zur Hand und öffnete es. Das Darranische in seiner Schriftform fiel ihr schwer zu entschlüsseln, doch sie konnte genug entziffern, um festzustellen, dass sie ein Tagebuch vor sich hatte.

Plötzlich drang eine Männerstimme aus dem Gang vor dem Zimmer an ihr Ohr: »… scheint mir Wichtigeres zu geben.«

»Mit den Magiern an unserer Seite wird es einfacher werden.«

»Ich hab dir doch gesagt, dass es völlig einerlei ist, ob sich die Magier unserem Willen beugen oder nicht. Es gibt Dringenderes zu tun, und ich werde mich nicht mit Nebensächlichkeiten aufhalten.«

Rialla stellte das Tagebuch wieder an seinen Platz zurück und eilte zur Tür. Die Lautverzerrung im Gang war so stark, dass sie nicht ausmachen konnte, wer da mit wem sprach, aber sie erkannte das Schema von Winterseines Geist wieder. Da sie die andere Person in keinster Weise erfassen konnte, nahm sie an, dass es sich bei ihr um Terran handelte.

Als der Sohn des Lords seine Gemächer betrat, saß Rialla mit vorschriftsmäßig gebeugtem Haupt auf dem Boden. Zuerst schenkte er ihr keine Beachtung, ging geradewegs auf die Empore vor dem Altar zu. Er kniete sich auf den Teppich, senkte den Kopf zum Gebet. Rialla bekam einen steifen Hals, während sie wartete und wartete.

Schließlich sprang Terran leichtfüßig auf und kam auf sie zu. »Steh auf«, befahl er.

Rialla erhob sich. Terran umrundete sie einmal, dann hielt er wieder vor ihr an.

»Ich erinnere mich an dich aus der Zeit, als Vater dich zum ersten Mal herbrachte. Du hattest Angst vor allem und jedem.« Er berührte ihr Kinn.

Sie erschauderte sichtlich. Selbst zu der Zeit, da ihre Empathie nur eingeschränkt funktioniert hatte, hatte sie die schiere Präsenz anderer Kreaturen zumindest wahrnehmen können. Nicht so im Fall von Terran. Von jemandem angefasst zu werden, dessen Vorhandensein sich nur auf der rein körperlichen Ebene bestätigte, war, als würde man von einer Leiche berührt. Sie spürte Verzweiflung in sich aufsteigen, den fast unbändigen Wunsch zu fliehen.

»Ganz ruhig«, sagte er mit sanfter Stimme. »Ich weiß, du bist sehr lange bei Laeth gewesen, aber ich werde dir die Zeit geben, dich einzuleben. Komm mit, ich weiß einen besseren Ort dafür.«

Der tiefblaue Teppich fühlte sich weich an unter Riallas schwieligen Füßen, als sie sich aus dem Bett schwang. Schweigend warf sie sich das Gewand über, das sie auf dem Weg hierher getragen hatte. Ohne einen Blick auf den neben ihr schlafenden Mann zu werfen, verließ Rialla das Schlafgemach und schlüpfte hinaus in den Wohnraum. Sie kam direkt neben der Plattform mit dem Altar heraus.

Rasch ging Rialla zu dem Tischchen mit den Büchern, wobei sie der Katze auf der Wand einen argwöhnischen Blick zuwarf. Wenn irgendjemand wusste, was Winterseine im Schilde führte, dann Terran. Und vielleicht hatte er sich dazu ja auch seinem Tagebuch anvertraut. Tatsächlich hätte Rialla lieber den Dolch gehabt, um Winterseines Schuld an Karstens Tod zu beweisen, aber sie konnte das alles nicht noch einmal durchmachen, nicht einmal um der Beendigung der Sklaverei in Darran willen.

Sie warf einen Blick auf die Tagebücher, wusste aber von ihrer ersten Lektüre, dass die Einträge nicht datiert zu sein schienen. Während sie noch zögerte, vernahm sie aus dem Schlafzimmer ein gedämpftes Rascheln.

Sie schnappte sich das erste Buch, das in der Reihe ganz links stand, und hoffte, dass es sich dabei um das aktuellste handelte. Dann huschte sie nach draußen. Zu ihrer großen Erleichterung erwartete sie im Gang ein Wachmann und nicht Tamas, um sie wieder zurück in ihre Zelle zu bringen.

Mithilfe ihres Talents, das sie schon fast vergessen hatte, gelang es Rialla, die Aufmerksamkeit des Mannes von dem Buch abzulenken, das sie bei sich trug. Ja, er fand nicht einmal etwas dabei, dass eine Sklavin mit einem Buch aus Terrans Gemächern zurückkehrte. Wenn niemand ihn in den nächsten Stunden darauf ansprach, würde er diese Sache schon bald vergessen haben.

Ruhelos ging Tris in der Zelle auf und ab. Sie war spät dran. Viel später, als dass es sich noch mit einer der üblichen Verzögerungen erklären ließe. Er hatte das Badehaus nach ihr abgesucht, doch es war verwaist gewesen. Seit dem Vormittag hatte sie ihren Geist für ihn gesperrt, und er hatte nicht mehr zu ihr durchdringen können. Er blieb stehen, lauschte, als sich aus dem Gang Schritte näherten. Rasch schlüpfte er zurück in die Schatten, bevor sich der Schlüssel in der Tür drehte.

Stumm und mit gesenktem Kopf trat Rialla ein und ging zur Mitte der Zelle. Das Licht, das durch das Fenster fiel, überraschte, ja, verdross sie. Es schien ihr, als wären seit diesem Morgen nicht Stunden, sondern Tage vergangen; es hätte draußen zumindest dunkel sein können …

Sie wusste, dass Tris im Schatten stand, aber er schwieg. Sie hatte keine Ahnung, ob die Anwesenheit des Wachmanns oder ihr Gesichtsausdruck der Grund für seine Zurückhaltung war. Als sich hinter ihr die Tür wieder schloss, tauschte sie das Seidengewand gegen die saubere weiße Tunika aus, die man ihr zurechtgelegt hatte. Sie legte das Seidenhemd über das Buch; mochte sich Tris in den nächsten Stunden damit beschäftigen. Als es nichts mehr zu tun gab, ließ sie sich auf dem Strohlager nieder.

Nach einer ganzen Weile zog sie die Beine gegen ihre Brust und legte den Kopf an die Knie. Der Heiler war sehr geduldig; sie konnte ihn atmen hören und wusste, dass er sich seit ihrer Rückkehr nicht mehr vom Fleck bewegt hatte. Rialla wusste auch, dass sie ihm hätte erzählen sollen, wo sie gewesen war, aber sie hatte Angst, dass schon das leiseste Wort sie in Tränen ausbrechen lassen würde,

Stattdessen lockerte sie die Barriere, die sie um den Teil ihrer selbst errichtet hatte, der mit Tris verbunden war.

Tris, ich … Selbst in Gedanken konnte sie die Worte nicht formulieren, weshalb sie ihn stattdessen an ihren Erinnerungen teilhaben ließ.

Wie betäubt wartete sie danach auf eine Antwort von ihm – obwohl sie nicht wusste, ob die je erfolgen würde. Ärger vielleicht, oder gar Abscheu oder Mitleid, dies alles waren denkbare Reaktionen auf eine Vergewaltigung, wenngleich das Opfer dieser zugestimmt hatte.

Doch alles, was Tris fühlte, war kochendheiße, rasende Wut. Das erschien ihr so seltsam, dass Rialla den Kopf hob, um ihn anzublicken. Mit unbeweglicher Miene stand er noch immer dort, wo er seit geraumer Zeit gestanden hatte. Ohne ihre Geistverbindung hätte sie nicht mal sagen können, ob er in diesem Moment tatsächlich etwas fühlte.