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»Bravourös«, bemerkte Tris hinter ihr. Er machte keine Anstalten, ihr zu helfen, als Rialla den leblosen Körper des Dieners sorgfältig auf dem Boden ablegte.

»Hast du Winterseines Arbeitszimmer gefunden?«, fragte Rialla, die noch immer neben Tamas hockte.

»Ja.« Tris nickte. »Einer der Bediensteten hat es ausgeplaudert. Obwohl ich allerdings annahm, dass wir ihm erst in der Nacht einen Besuch abstatten. Tagsüber ungesehen durch die Burg zu schleichen, wird schwierig werden.«

Rialla berührte das Gesicht des bewusstlosen Dieners und verfluchte gleichzeitig die Tatsache, dass ein körperlicher Kontakt die mentale Berührung so viel einfacher machte.

Das Zusammenprallen mit den äußeren Rändern von Tamas’ Geist war halb so schlimm, doch als sie tiefer grub, war es, als wühle man sich durch Filz. Sie sorgte dafür, dass er noch ein Weilchen länger schlafen würde, und zog sich dann aus seinem Bewusstsein zurück. Als sie sich wieder erhob, schwitzte sie. Rasch schleifte sie den leblosen Körper ins Zwielicht unter den Treppenaufgang. Sie zitterte; es war mühevoll gewesen, den Kontakt zu Tamas’ verzerrtem Bezugsrahmen aufrechtzuerhalten. Tris’ warme Hände auf ihren Schultern brachten ihr ein wenig Frieden zurück.

»Mit manchen Leuten ist es schwieriger, Verbindung aufzunehmen, als mit anderen«, meinte Rialla heiser, während sie sich den Schweiß mit dem Stofftuch aus dem Nacken wischte, das sie schon im Tanzsaal benutzt hatte. »Ich hoffe, ich muss das nie wieder bei ihm machen.«

»Wenn wir es hier rausschaffen, sicher nicht«, sagte Tris. »Folge mir, sei auf der Hut und lass mich rechtzeitig wissen, ob wir womöglich jemandem in die Arme laufen.«

Leise schlichen sie weiter den Gang entlang, bis sie eine weitere, schmalere Treppe erreichten, die sich bis zu einer Eichentür hinaufschlängelte. Anhand der Form der Wände nahm Rialla an, dass sie sich in einem der Burgtürme befanden.

Die in die Tür geschnitzte Katze von Altis beäugte sie von oben herab. Tris zeigte auf die Tür. Rialla versuchte hastig, mit ihrer Gabe herauszufinden, ob der Raum dahinter leer war oder nicht.

Tris wartete, bis Rialla erleichtert nickte; dann gingen sie hinauf. Lautlos schwang die Tür nach innen auf. Auf der Innenseite steckte ein goldener Schlüssel im Schloss; Rialla drehte ihn vorsorglich herum und sperrte sich und Tris damit in Winterseines Arbeitszimmer ein.

Schwere Vorhänge hielten das meiste Tageslicht draußen, und als Rialla sich nach rechts wandte, stieß sie mit der Schulter gegen ein Bücherregal. Es war fast so hoch, wie Rialla groß war, und von oben bis unten mit Folianten bestückt. Es wirkte so massiv, dass ein Pferd es nicht hätte umreißen können.

Umso erstaunter war sie, als das Regal ins Wanken geriet und umzufallen drohte. Tris griff im letzten Moment danach und drückte es wieder an die Wand.

»Ich dachte, du bist die Anmut in Person«, neckte er sie, während sie begannen, die Bücher, die herausgerutscht waren, wieder an ihren Platz zu stellen.

»Das bin ich, aber Tänzerinnen müssen nicht über Nachtsicht verfügen, um ihre Aufgabe zu erfüllen.« Während sie sprach, hob sie ein dicken Wälzer vom Boden auf, der aus dem obersten Regalbrett gefallen war. Er war kunstvoll in Leder eingebunden und verfügte über eine Messingschließe, um die Seiten zusammenzuhalten. Ansonsten unterschied er sich kaum von den anderen Büchern hier, außer dass irgendetwas darin klapperte.

»Tris, könntest du ein wenig Licht machen?«, fragte Rialla, die sich an dem Messingschloss zu schaffen machte.

Flackernd entstand eine Lichtquelle. Rialla öffnete das Buch, und sie stellten fest, dass es innen ausgehöhlt worden war. In der Vertiefung lag ein schlichter Silberring mit einem einfachen blauen Stein; er war beim Sturz aus dem Tuch gerutscht, in das man ihn eingeschlagen hatte. Der Edelstein war sorgfältig poliert, und das nachtdunkle Blau glitzerte auf höchst seltsame Weise im Schein von Tris’ Magierlicht. Rialla erschauderte unter dem Eindruck, dass der Ring sie betrachtete, genau wie sie gerade ihn.

»Es liegt Magie darin«, bemerkte Tris leise. »Alte Magie.« Er verschloss den Ring wieder in dem Buch, ohne ihn zu berühren, und stellte den Folianten wieder an seinen Platz.

Nun nahm er das nächste Buch vom Boden auf und öffnete es. Es war ebenfalls innen hohl. Den Dolch mit seinem unverwechselbaren Griff fanden sie im übernächsten Buch. Für einen Moment funkelten ihnen beim Betrachten die Rubinaugen der Schlange entgegen, dann verstaute Tris die Waffe in seinem Lederbeutel, den jeder Schreiner bei sich trug.

Auch dieses Buch stellte er wieder ins Regal zurück. Hastig brachten sie noch die letzten Regalreihen in Ordnung, bis das Möbelstück so unangetastet wirkte wie alle anderen im Raum.

Rialla seufzte. »Kannst du dir vorstellen, was diese Bücher wert waren, bevor er sie ruiniert hat?«

Tris schnaubte auf. »Das waren niemals Bücher, auf den Seiten findet sich nicht die geringste Spur von Tinte. Ich schätze, er hat sich einen Haufen leere Blätter binden lassen, nur um den Buchblock dann als Geheimversteck zu nutzen.«

»Daran hab ich nicht gedacht«, gab Rialla zu. Sie sah sich in dem Arbeitszimmer um.

Der Läufer auf dem Boden war fast genauso kostbar wie die Teppiche in Terrans Gemächern. Tris’ Magierlicht offenbarte die reichen Rot- und Goldtöne der kunstvoll gewebten Muster. Der Raum war klein, doch in ihm befanden sich noch zwei weitere Regale sowie ein großer Schreibtisch.

»Hier«, sagte Tris, der nun an eben diesem Schreibtisch stand. Er schenkte den Kontenbüchern, die obenauf lagen, keine Beachtung, und fuhr mit seinen Händen über die Außenseiten der abgeschlossenen Schubladen. Plötzlich hielt er inne.

»Diese hier enthält etwas sehr Mächtiges«, meinte er. Er holte den Ring mit den Dietrichen und Hauptschlüsseln aus seiner Gürteltasche und machte sich am Schloss der Schublade zu schaffen.

»Sind das Clan-Schlüssel? Woher hast du sie?«, wollte Rialla wissen.

»Ich glaube, jemand hat sie als eine Art Honorar bei mir zurückgelassen«, erwiderte Tris, während er den Generalschlüssel vorsichtig drehte.

Das Schloss klickte, und er zog die Schublade auf. Darin lag ein dickes Buch mit Silberschnalle. In den teuren weißen Ledereinband war ein Symbol geprägt worden, das Rialla nur zu gut kannte.

Tris’ Blick wanderte von dem Buch zu Rialla. »Das ist das gleiche Zeichen, das er auch für deine Tätowierung benutzt hat.«

»Ja, Winterseines Wappenzeichen«, stimmte Rialla zu. »Aber das hier ist doch ein Grimoire, oder?«

»Gut möglich, und ich werde es nicht öffnen«, sagte Tris bestimmt. »So wie es sich anfühlt, enthält dieses Buch genug Magie, um diese Burg und die Hälfte aller dazugehörigen Ländereien in Schutt und Asche zu legen.«

»Es ist Magie, und es trägt Winterseines persönliches Zeichen«, sagte Rialla. »Das reicht mir.«

Tris nahm das Buch heraus, machte die Lade wieder zu und verschloss sie. Er löste seinen Gürtel und schob das Zauberbuch unter sein locker sitzendes Wams, bis es in der natürlichen Vertiefung unter seinem Rippenbogen lag. Dann zurrte er seinen Gürtel ein bisschen fester um seine Taille. Unter dem groben, schweren Stoff seiner Schreinerjacke war das Buch nun kaum mehr zu erkennen.

»Kannst du überprüfen, ob irgendjemand in der Nähe ist?«

Rialla entspannte sich kurz und konzentrierte sich. »Nein, niemand, es sei denn, Terran ist hier.«

Tris zog eine Augenbraue hoch: »Was soll das heißen?«

»Terran könnte uns auf der anderen Seite der Tür auflauern, und ich würde es nicht wissen. Aus irgendeinem Grund kann meine Empathie ihn nicht erfassen. Wie dem auch sei«, fügte sie hinzu, »ich denke, wir können es wagen.«

Ohne besondere Vorkommnisse stiegen sie die Wendeltreppe wieder hinab. Als sie die große Steintreppe erreichten, die sie weiter nach unten bringen sollte, hielt Rialla ihren Begleiter an seinem Wams fest.