Выбрать главу

Man hat Tamas gefunden, ließ sie ihn wissen, und eine Suche eingeleitet. Sie blockieren die Treppenaufgänge und durchkämmen gerade das Erdgeschoss, bevor sie sich nach oben vorarbeiten.

Dann müssen wir hier irgendwo ein Fenster finden, meinte Tris leichthin.

Das Ganze scheint dir wohl auch noch Spaß zu machen!, unterstellte ihm Rialla aufgebracht.

Er grinste sie ohne Reue an und rannte zurück in den Gang, aus dem sie gekommen waren. Rialla folgte ihm kopfschüttelnd.

Die erste Tür, die Tris öffnete, gehörte zu einem Gästezimmer, das mit zwei hübschen Fensterflügeln aufwartete. Winterseine hatte keine Kosten und Mühen gescheut, sie zu verglasen, und als die beiden sie öffneten, sahen sie sich mit lediglich zwei Hindernissen auf ihrer Flucht aus der Burg konfrontiert: möglichen Wachen und der Schwerkraft.

Rialla schaute vorsichtig nach unten, doch niemand schien an der Rückseite der Feste zu patrouillieren. Dafür gab es einen guten Grund, denn die ersten Fenster auf dieser Seite des Gebäudes befanden sich erst im dritten Stock. Jeder, der dumm genug war, den Sprung aus dieser Höhe zu wagen, würde hart auf dem zusammengebackenen Boden hinter der Burg aufschlagen, was eine jede Flucht auf tragische Weise beendete.

Argwöhnisch betrachtete sie die efeubewachsene Außenwand. Ich weiß nicht, Tris. Sieht mir nach einem ziemlich langen Abstieg aus.

Hör auf, dir ständig Sorgen zu machen. Tris griff durch das Fenster nach einem Strang des Efeus.

Rialla sah genau hin, konnte aber keinen Unterschied an der Pflanze erkennen, nachdem er sie berührt hatte.

Ich will, dass du mir nachfolgst. Die Ranken werden unser Gewicht nur dann tragen, wenn wir schnurgerade an ihnen herabklettern. Ohne ihr Gelegenheit zu geben, Protest einzulegen, schwang er sich aus dem Fenster.

Beklommen blickte Rialla an dem Mauerbewuchs nach unten. Andererseits war alles, was dazu imstande war, Tris’ Gewicht zu tragen, auch dazu geeignet, sie zu halten. Sie wartete, bis ihr Gefährte schon ein Stück herabgeklettert war, bevor sie ihm folgte.

Der Efeuteppich fühlte sich unnatürlich steif an, bot aber guten Halt.

Die Blattränder waren scharf, als wären sie aus gewalztem Metall, und sie zog sich ein paar Schnitte zu, ehe sie heraushatte, wie man durch das Blattwerk greifen musste, um die Ranken darunter zu packen. Als sie sich dem Boden näherte, packte Tris sie um die Taille und hob sie kurzerhand herunter. Danach berührte er das Efeu erneut und verwandelte es wieder in seinen natürlichen Zustand zurück.

Rialla sah sich nervös um, doch auch jetzt schien niemand diesen Bereich hinter der Feste zu kontrollieren. Sie ließ ihre Empathiebarriere fallen, um Hinweise darauf zu erhalten, ob sie durch jemanden entdeckt worden waren, und hoffte inständig, dass Tamas weit genug entfernt war. Nie wieder wollte sie in Kontakt mit ihm treten müssen.

Also gut, sagte Tris. Lass mich deine Haarfarbe in einen etwas unauffälligeren Ton ändern. Die Torwachen suchen eine einzelne Sklavin mit rotem Haar. Angesichts der vielen Sklavinnen hier werden sie wohl nicht misstrauisch werden, wenn eine von ihnen mit einem Freien hier herumspaziert.

Es ist bekannt, dass Winterseine es durchaus schätzt, wenn auch seine älteren, weniger wertvollen Sklavinnen nicht völlig aus der Übung kommen, stimmte Rialla zu. Wenn du also etwas Grau ins Braun zaubern könntest, würde das glaubwürdiger aussehen.

Er berührte kurz ihr Haar und zog dann die Hände zurück. Fertig.

Ohne sich noch länger aufzuhalten, schlenderten sie gemächlich um die Burg herum und auf das Tor in der Außenmauer zu. Tris blieb für einen Moment stehen, wo er schon zuvor an der Pforte gearbeitet hatte, und nahm den schweren Werkzeugranzen an sich, den er hier abgestellt hatte. Niemand behelligte sie, bis sie das Fallgitter erreichten.

»Stopp«, rief dort die ältere der beiden Mauerwachen. »Was wollt ihr?«

»Ich bin Jord Schreiner. Dem Lagerhaus geht das Kirschholz aus. Diese Sklavin weiß, wo man so große Kirschbäume findet, dass man nach der Ernte Möbel daraus machen kann.«

Der Wachmann sah stirnrunzelnd zu Rialla. »Die kenne ich aber nicht.«

Tris nickte. »Sie ist Küchensklavin und muss des Öfteren Feuerholz suchen, also weiß sie auch, wo die besten Bäume stehen. Und wenn nicht, finde ich sie auch allein, aber sie kann mir dann trotzdem von Nutzen sein …«, fügte er mit einem anzüglichen Grinsen hinzu.

Der andere Mann lachte dreckig und zog das Fallgitter so weit in die Höhe, dass Tris und Rialla geduckt hindurchschlüpfen und das Tor passieren konnten. Rialla marschierte los und schlug den offenbar vielgenutzten Trampelpfad in den burgeigenen Forst ein.

9

Sobald sie im Schutz der Wälder untergetaucht waren, ließ Tris den Lederranzen zu Boden fallen und begann, ihn zielstrebig zu sichten, wobei er die meisten Werkzeuge herausnahm und neben der Tasche ablegte.

»Hast du Terrans Tagebuch an dich genommen?«, fragte Rialla ihn.

»Ja, ist auch in der Tasche.« Er löste seinen Gürtel und holte Winterseines Grimoire hervor.

»Warte.« Rialla lockerte eine Kordel an ihrer Tunika und brachte den Dolch zum Vorschein, den sie darunter versteckt hatte. Sie wickelte die Klinge sorgfältig in ein Stück Stoff und verbarg sie wieder an ihrem Körper.

Tris hüllte die verstreuten Werkzeuge in ein Öltuch ein, damit sie vor Regen geschützt waren. Er hoffte, dass irgendjemand sie finden und in Ehren halten würde.

Dann warf er sich den Ranzen wieder über die Schulter, ließ den Trampelpfad hinter sich und schlug sich tiefer in den Wald hinein. Rialla folgte ihm, dankbar dafür, dass das ausgiebige Tanztraining ihr die Ausdauer für den vor ihnen liegenden Marsch beschert hatte.

Tris marschierte mühelos voran und passte sogar sein Tempo an das von Rialla an. Der Weg, den er eingeschlagen hatte, erschien willkürlich gewählt, aber sie vertraute auf seine Waldläuferfähigkeiten. Auch wusste er ihre Belastbarkeit intuitiv einzuschätzen, und als ihr schlimmes Bein zu schmerzen begann, wurde er noch langsamer.

»Kannst du feststellen, ob uns jemand folgt?«

»Lass mich kurz anhalten, dann überprüfe ich es«, erwiderte Rialla und blieb stehen.

Schwer atmend wischte sie sich den Schweiß von der Stirn. Indem sie sich den unmittelbaren Einflussbereich vornahm, griff sie vorsichtig mit ihrer Gabe um sich. Es war schwierig, tierische Emotionen von menschlichen zu unterscheiden, also suchte sie nach einer ganzen Gruppe, konnte aber nichts erspüren.

»Nichts«, sagte sie und hoffte, dass sie recht damit hatte.

Tris griff nach der Borke eines Baums, streichelte ihn, bevor er seinen strammen Marsch fortsetzte. »Ich bin froh, aus dieser verfluchten Burg heraus zu sein. Es geht aufs Gemüt, von nichts außer totem Stein umgeben zu sein.«

Rialla sprach stockend; ein leichter Plauderton fiel ihr nach den Ereignissen der letzten Tage schwer. »Ich verstehe, was du meinst. Ich wuchs in einer Gemeinschaft auf, die sich nie lange an einem Ort aufhielt. Wir schliefen auf unseren Reisen nur dann in Zelten, wenn es regnete. Manchmal möchte ich schreien, wenn ich zu lange von dicken Steinmauern umgeben bin.«

»Und warum lebst du dann in der Stadt?«, fragte er.

»Weil Sianim der erste Ort war, wo eine Frau als Pferdeausbilderin arbeiten konnte.«

»Und warum bist du nach deiner Flucht nicht zu den Händler-Clans zurückgekehrt?«

Rialla zuckte die Achseln. »Aus meiner Sippe war ja niemand mehr am Leben. Ich schätze, eine der anderen hätte mich wohl aufgenommen, aber … ich hätte da nicht reingepasst.« In Wahrheit, dachte sie, fühlte sie sich Tris nach den vergangenen Wochen mehr verbunden als irgendjemandem sonst, einschließlich Laeth. Vielleicht lag es an dem mentalen Band: Ihr Blick wanderte hinüber zu den starken Schultern ihres Gefährten, und sie musste lächeln. Vielleicht war es auch etwas ganz anderes.