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Sie schritten kräftig aus, dann verfielen sie in einen Dauerlauf, doch der Uriah schien auf einem parallel zu ihrer Route verlaufenden Pfad mit ihnen mitzuhalten, da von Zeit zu Zeit sein charakteristisches Geschrei zu ihnen drang.

»Glaubst du, er verfolgt uns?« Nervös blickte Rialla in die Richtung, aus welcher das Gebrüll gekommen war, aber die Bäume hier standen zu dicht, um etwas zu erkennen.

Ein neuerlicher Schrei hallte durch den Wald, gefolgt von einem Chor aus weiteren aufgebrachten Rufen. Rialla blieb stehen, griff mit ihrer Gabe hinaus, um zu sehen, was die Aufregung verursacht hatte. Ihr Geist wanderte durch den Wald. Ja, da war etwas. Die Bäume, durch die sie eben noch versucht hatte, etwas zu erkennen, raschelten, als fände zwischen ihnen ein Kampf statt …

Sie schrak zusammen, als Tris sie plötzlich grob am Arm packte und hastig mit sich zog. Rialla protestierte. Jetzt rannte er los, und er lockerte den Griff erst wieder, als sie sich nicht mehr dagegen sträubte. Stolpernd musste sie mit ihm Schritt halten, bis das Geheul so weit entfernt war, dass sie zumindest wieder reden konnten.

Rialla lief noch ein kleines Stück weiter, bevor sie begriff, dass Tris stehengeblieben war. Sie wandte sich um und sah nichts als Verärgerung auf seinem Gesicht.

»Was um alles in der Welt hast du da getan?«, schrie er.

»Ich … hab versucht herauszufinden, was diesem Uriah geschehen ist. Es schien, als wäre er in irgendwen oder irgendwas hineingerannt. In etwas Großes. Schätze, der Uriah ist eine Weile damit beschäftigt, und wir müssen uns keine Sorgen mehr um ihn machen«, erwiderte Rialla, wobei sie einen kleinen Schritt auf ihn zu machte.

Mit undurchdringlicher Miene starrte er sie an, dann ging auch er auf sie zu. »Das war dumm! Uriah sind keine Menschen. Ja, sie sind nicht einmal wie Tiere. Du hättest dabei verletzt werden können, verstehst du das?«

Sie presste die Zähne aufeinander, machte einen weiteren Schritt auf ihn zu, bis sie sich direkt gegenüberstanden. »Ich verstehe, dass das allein meine Sache war!«

»Du hättest dich im Todeskampf des Tieres, das er gerade tötete, emotional verfangen können«, zischte er und starrte böse auf sie herab.

»Sehr unwahrscheinlich. Ich hatte alles unter Kontrolle. Ich war mit der Kreatur im Tanzsaal von Westholdt weitaus stärker verbunden«, erwiderte sie frostig.

Tris wandte sich ab, wohl in dem Versuch, sich wieder zu beruhigen. Im nächsten Moment begriff Rialla, dass er mitnichten versuchte, seinen Zorn niederzukämpfen und tief durchzuatmen – sie sah, dass seine Schultern verräterisch zuckten.

»Du … du machst dich über mich lustig!?« Wenn sie in diesem Moment eine Waffe zur Hand gehabt hätte, sie hätte sie benutzt. »Und spar dir irgendwelche faulen Ausreden, du falsche Schlange, du hast dich über mich lustig gemacht!«

»Teils, teils«, sagte Tris mit gedämpfter Stimme. »Diese Kreatur im Tanzsaal hat dich verletzt, Rialla. Uriah sind nicht wie andere Tiere – sie werden von Hunger und Raserei angetrieben, das weiß jeder. Jeder Empath, der mit einem solchen Ding Kontakt aufnimmt, riskiert leichtsinnigerweise Kopf und Kragen. Die Situation eben hat eine solche Aktion einfach nicht gerechtfertigt.«

Rialla dachte über seine Worte nach. »Du hast recht, ich entschuldige mich dafür, ein unnötiges Risiko eingegangen zu sein. Aber du hast mir immer noch nicht gesagt, warum du gelacht hast.« Ihre Stimme war noch immer kühl.

Tris drehte sich um und sah sie an. »Vermutlich zunächst vor Erleichterung. Ich war besorgt, dass …« Der Schalk aus seinen Augen verschwand, und Rialla konnte wieder die dunkle Wut in ihm spüren, die nie wirklich verraucht war. »Ich war besorgt, dass die letzten Wochen dich mehr beeinflusst haben könnten, als sie tatsächlich haben. Ich musste an die kleine Rede denken, die du Laeth in meinem Haus hieltest – die, wo du meintest: einmal Sklave, immer Sklave –, während du mich angeschrien hast. Ich fand das irgendwie lustig.«

»Lach mich noch mal aus, wenn ich wütend bin, und ich werde dafür sorgen, dass das kein weiteres Mal passieren wird«, sagte Rialla feierlich.

»Ich freue mich drauf«, erwiderte Tris höflich. Er trat auf sie zu und bot ihr seinen Arm an.

Nach einem kurzen Zögern legte Rialla ihre Hand in die Beuge seines Ellbogens. Gemeinsam gingen sie auf dem Pfad weiter, den Tris ausgewählt hatte.

»Wie sehen Uriah eigentlich aus?«, fragte Rialla neugierig. »Ich hab noch nie einen gesehen.«

Sie hatten ihren Verfolger schon eine Weile hinter sich gelassen. Die Bäume warfen lange Schatten über den Boden, und der Osthimmel verdunkelte sich in einem Farbenspiel aus Rot und Gold.

Tris zuckte die Achseln. »Wie Menschen, die schon monatelang tot sind, dann aber beschlossen haben, sich Reißzähne wachsen zu lassen, um auf die Jagd zu gehen. Und sie riechen auch so …«

»Also nichts, dem man mitten in der Nacht begegnen möchte«, bemerkte Rialla.

»Eigentlich möchte ich sie zu keiner Tageszeit treffen, um ehrlich zu sein«, erwiderte Tris abwesend, während er einen in der Nähe stehenden Busch prüfte.

»Wonach suchst du?«, wollte Rialla wissen.

»Ich rieche hier irgendwo Dornbeeren … Zu dieser Jahreszeit verströmen die Sträucher einen starken Duft. Man könnte mit seiner Hilfe dafür sorgen, dass die Uriah nicht wieder unsere Witterung aufnehmen, falls sie doch noch hier vorbeikommen sollten.« Er kniff die Augen zusammen und zeigte nach links. »Dort drüben, neben der Eiche! Komm, wir machen jetzt Rast und warten, bis die Uriah diese Gegend wieder verlassen haben, bevor wir weiterziehen.«

Tris führte sie zu einer Gruppe von dichtem Gestrüpp, das nur wenige Schritte neben einem riesigen Eichenbaum stand. Die Spitzen der Büsche waren mit dicken gelben Blüten besetzt, die stanken wie ein trockengefallener Burggraben im Hochsommer. Fingerlange scharfe Dornen bewehrten die Sträucher von unten bis oben.

»Wenn du unter den Zweigen herkriechst, kannst du dich an den Dornen nicht verletzen«, riet ihr Tris, der den empörten Gesichtsausdruck Riallas, die sich die Nase zuhielt, ignorierte. »Sie zeigen alle nach oben, also halte dich dran.«

Er ließ sich auf den Rücken fallen und rutschte vorsichtig unter den Strauch, bis er nicht mehr zu sehen war. Rialla betrachtet argwöhnisch die Dornen, doch dann tat sie es ihm gleich.

Zu ihrer Überraschung mündete der enge Tunnel, den Tris geschaffen hatte, in einen großen Hohlraum im Zentrum der Strauchgruppe, in der gut und gern zwei oder drei Leute hätten Platz finden können. Die Buschkronen bildeten ein natürliches Dach über ihren Köpfen, aber es war zu niedrig, um sich bequem aufzurichten. Der Boden war weich von alten Laubschichten.

Tris musste grinsen, als er Riallas Miene sah. »Es kann wirklich sehr gemütlich sein, wenn man sich erst mal an den Geruch gewöhnt hat. Das Blätterdach ist sogar so dicht, dass nur wenig Regen durchdringen kann.«

Er öffnete seinen Rucksack und sichtete einmal mehr seine Pflanzensammlung. Mit bedauerndem Gesichtsausdruck sortierte er die Exemplare aus, die die Reise nicht so gut überstanden hatten.

Rialla sah ihm eine Weile dabei zu, dann kramte sie aus seinem Ranzen die Bücher hervor, die sie Winterseine gestohlen hatten. Sie schüttelte sie, um sie von zerdrückten Blättern und welken Kräutern zu befreien. Als sie das Grimoire beiseitelegte, bemerkte sie, dass einige Seiten halb herausgerutscht waren, und dies trotz der Schließe, die den weißen Ledereinband zusammenhielt.

»Tris«, sagte sie.

»Hmm?« Er schaute von seiner Pflanzenkollektion auf.

Sie hielt ihm das Buch vor die Nase, und die Seiten schoben sich noch ein Stück weiter heraus. Rasch drehte Rialla den Folianten nach oben, damit die Blätter nicht ganz herausfielen.