Letty brachte ihr Essen und erhielt dafür einige Kupfermünzen sowie einen Kuss von Laeth, bevor sie wieder im Trubel des Schankraums untertauchte.
»Hast du keine Angst?«, fragte Laeth leise, während er sich eine Scheibe Brot aus dem Korb nahm.
Rialla schluckte ihren Bissen hinunter und trank einen Schluck Bier, bevor sie antwortete: »Davor, wieder eine Sklavin zu sein?« Sie zuckte die Achseln. »Ich würde mit niemandem außer dir gehen, wenn du das meinst. Ich weiß, du würdest mich dort nicht hängenlassen. Für jemanden, der es nicht kennt, kann der Besitz einer Sklavin eine große Verlockung sein; noch dazu bin ich Tänzerin, also wertvoller als die meisten anderen. Ich könnte dir so viel Gold einbringen, wie es so mancher im ganzen Leben nicht sieht.« Während sie sprach, spürte Rialla, wie ihre Züge auf eine ihr vertraute Art erstarrten. Ihre Stimme wurde flach und verlor jegliches charakteristische Timbre.
»So etwas würde ich nie tun«, sagte Laeth sanft.
Sie lächelte ihn an und ließ ihre Sklavenmiene wieder fallen. »Das weiß ich. Was denkst du, warum ich nur mit dir gehen würde? Du hast beides gehabt: Sklaven und Grundbesitz, und du hast beides aufgegeben. Und selbst, wenn ich dich nicht kennen würde, würde ich eher dir folgen als einem Kerl aus dem Südwald, für den der Besitz eines Sklaven etwas völlig Neues wäre.«
Laeth beugte leicht den Kopf, um ihr für das Kompliment zu danken. Eine Weile aßen sie schweigend; es war die behagliche Stille, wie sie nur zwischen Freunden zu herrschen vermochte.
»Hat Ren dir gegenüber auch erwähnt, was er wegen der Tätowierung zu unternehmen gedenkt?« Rialla berührte leicht ihre Wange.
Laeth nickte und schluckte seinen Bissen herunter, bevor er antwortete: »Er hat da einen Magier, der deine Narbe verhüllen kann, indem er die alte Tätowierung durch eine Illusion ersetzt. Ren will, dass die neue Tätowierung exakt dem Original entspricht, für den Fall, dass dich jemand wiedererkennt. Kann man anhand dessen nicht deinen früheren Besitzer ermitteln?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich bin jetzt seit sieben Jahren fort; nach fünf Jahren der Trennung muss ein Sklave nicht mehr an seinen ursprünglichen Besitzer zurückgegeben werden. Obschon es wohl als in Ordnung angesehen wird, wenn man es dennoch tut. Wie auch immer, wenn Lord Karsten es sich nicht zur Gewohnheit gemacht hat, Sklavenschinder zu seinen Geburtstagsfeiern einzuladen, muss ich mir wohl keine Sorgen machen.«
»Nein«, sagte Laeth, nun beruhigter. »Ein Edelmann würde zu offiziellen Anlässen einen Sklavenabrichter genauso wenig einladen wie einen Schweinehirten.«
»Das dachte ich mir auch«, stimmte Rialla zu.
»Ren bat mich außerdem, dir mitzuteilen, dass, was auch immer dir dort zustoßen mag, er dich mit allen Mitteln aus Darran herausholen wird. Du musst dir also keine Sorgen machen, dass du am Ende wieder in die Sklaverei verkauft wirst.«
Rialla schenkte ihm ein böses Grinsen. »Nach all den Jahren des Trainings in Sianim mache ich mir darüber eigentlich keine Sorgen mehr.« Indem sie die Worte laut aussprach, fühlte sich die Aussage umso wahrhaftiger an, und ihre Nervosität legte sich.
Laeth erwiderte ihr Lächeln und stellte ihr gleichzeitig die Lieblingsfrage ihres Kampfausbilders: »Wie viele Wege gibt es, eine Person mit einem Messer zu töten?«
»Völlig egal«, erwiderte Rialla. »Es braucht nur einen, um die Sache zu erledigen.«
Gut gelaunt beendeten sie ihr Mittagessen und verließen die Schänke, als gerade eine neue Welle von Söldnern in den Schankraum quoll.
Draußen blieb Laeth stehen und legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Ich muss mich noch um ein paar Dinge kümmern, bevor wir aufbrechen. Ren hat dir gesagt, dass wir uns in fünf Tagen auf den Weg machen?«
Sie nickte.
»Ich kümmere mich um den Reiseproviant. Würdest du in der Zwischenzeit geeignete Pferde beschaffen und bereitmachen?«
»Ich besorge uns zwei gute Tiere«, sagte sie. »Und vielleicht auch ein, zwei Tanzkostüme, sicher ist sicher.«
»Falls du diesbezüglich nicht fündig wirst, versuch’s mal im Bordell von Midge. Schätze, dass das eine oder andere Mädchen dort was Passendes im Kleiderschrank hat.«
»Hattest du nicht mal erwähnt, dass du niemals dafür bezahlen würdest?«
Laeth grinste verschmitzt. »Tu ich ja auch nicht.«
Rialla lachte auf. »Hätte ich mir ja gleich denken können. Nun gut, ich mach mich jetzt mal auf die Suche nach jemandem, der sich um meine Pferde kümmert, solange ich nicht in Sianim bin.«
»Ja, tu das«, sagte Laeth. »Wir sehen uns dann morgen.«
Die Morgensonne erleuchtete noch kaum den Himmel, als Rialla ein Pferd sattelte und es hinausführte. Sie war nicht die einzige Pferdeausbilderin in Sianim, aber die anderen nutzten andere Trainingsarenen.
Sie saß auf, und die Füße ihres Hengstes stampften rhythmisch auf dem Boden mit dem zusammengepressten Sägemehl. Doch seine Aufmerksamkeit galt ganz der Stute, die gerade über die Sprunghindernisse jenseits des Zauns geritten wurde. Er wappnete sich, um die derzeitige Reiterin abzuwerfen, wie er schon so viele vor ihr aus dem Sattel gehoben hatte – und wurde mit der kurzen Leine liebevoll daran gehindert.
Sich daran erinnernd, dass er der neuen Gebieterin, die da jetzt auf seinem Rücken saß, gehorchen musste, folgte er mit flach angelegten Ohren dem Pfad, den sie gewählte hatte. Rialla lachte angesichts des schwerfälligen Galopps, der nun an die Stelle der für gewöhnlich beschwingten Gangart des Hengstes trat.
Der Hengst brauchte dieses Training eigentlich gar nicht. Sie hatte für all die Pferde, mit denen sie derzeit arbeitete, Ersatzausbilder gefunden. Und doch hatte sie den Fuchs lieber zu einem letzten Ausritt mit hinausgenommen, anstatt auf Laeth zu warten und sich um Dinge zu sorgen, die sie doch nicht ändern konnte. Wie zum Beispiel die Tätowierung in Gold, Schwarz und Grün, die ihr nun narbenloses Gesicht einmal mehr zierte.
Ihre momentane Unaufmerksamkeit ausnutzend, warf sich der rotbraune Hengst ein Stück in just der Bewegung zur Seite, die schon mehr als einem seiner Vorbesitzer zum Verhängnis geworden war. Rialla blieb ungerührt im Sattel. Mit einem verächtlichen Schnauben schlug das stattliche Pferd mit dem Schwanz und verfiel wieder in den kurzen Galopp, offenbar beleidigt, dass sie seine kleine Eskapade nicht mal bemerkt hatte.
Rialla trieb das Pferd so lange durch die verschiedenen Gangarten, bis es seine Kapriolen einstellte, und danach war auch sie so müde, dass sie nicht mehr wusste, worauf sie sich eigentlich eingelassen hatte. Doch die Erinnerungslücke währte nicht lange. Als sie dem Pferd seine wohlverdiente Strohabreibung verpassen wollte, erwartete Laeth sie schon in den Ställen.
»Bereit zum Aufbruch?«
Rialla nickte und übergab das Pferd einem der Stallburschen. »Ich zieh mich nur schnell um und hole meine Sachen. Bis gleich.«
In ihrem Zimmer streifte sie sich das einfache graue Sklavengewand über, das sie auf der Reise tragen würde. Sie betrachtete sich in der polierten Kupfertafel, die anstelle eines Spiegels an ihrer Wand hing, und konnte die Person, für deren Werden sie so hart gearbeitet hatte, nicht darin erkennen.
Stattdessen erblickte sie das bleiche Gesicht einer Unfreien mit einem Sklavenmal auf der linken Wange; auch hing ein unbekannter schlichter goldener Ring an ihrem linken Ohr – er projizierte die Illusion auf ihr Gesicht, obwohl sie das alte Wundmal mit ihren Fingerspitzen ertasten konnte.
Eine blasse Peitschennarbe durchbrach die dunkle Hauttönung auf einem ihrer Arme: Der Sklavenabrichter hatte den dafür verantwortlichen Diener seinerseits gezüchtigt, da er überaus wertvolles Eigentum beschädigt hatte.
Sie schluckte, erhob die Hand zu einem feierlichen Gruß: »Viel Glück, Sklavin.«