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Tris’ Zähne blitzten in der Dunkelheit auf, als er lächelte. »Draußen scheint alles ruhig zu sein, also schaue ich mich mal ein bisschen in der Umgebung um. Wenn dir in der Zwischenzeit eine gute Idee kommen sollte, lass es mich wissen.« Er nahm zwei Hand voll grasartige Stängel aus seinem Ranzen, rollte sich auf den Rücken und schlüpfte aus der Dornbeerenhöhle.

Als Tris weg war, atmete Rialla auf. Es war gut, dass sie nun ein bisschen Zeit für sich hatte; sie war es nicht gewohnt, ständig unter Leuten zu sein. In Sianim war sie manchmal tagelang unterwegs gewesen, ohne mit jemandem zu sprechen, mit Ausnahme der Pferde, versteht sich. In den letzten Monaten hatte sie kaum Gelegenheit gehabt, einmal ganz für sich zu sein, und dieser Zustand begann allmählich, sie zu erdrücken.

Tris erforschte den dunklen Wald, als wäre es helllichter Tag. Seine Sicht war perfekt an das Dämmerlicht angepasst, das der Mond in dieser Nacht schuf. Er beschloss, den Abschnitt des Weges zu überprüfen, den sie bei ihrer Weiterreise nehmen würden, suchte gewissenhaft nach einem Zeichen, das darauf hindeutete, dass sie verfolgt wurden. Nach einer ganzen Weile zerbrach er die mitgebrachten Grashalme in kleine Stücke und verteilte sie auf dem Pfad. Schnaufkraut war noch viel effektiver als Pfeffer, wenn es darum ging, tierische Spürnasen dabei zu behindern, Witterung aufzunehmen. Als die letzten Schnipsel zerstreut waren, rieb er sich die Hände sauber und schaute sich um.

Er hatte an diesem Nachmittag völlig impulsiv reagiert, als er mitbekam, wie Rialla sich bei der Kontaktaufnahme mit dem Uriah in große Gefahr begeben hatte. Und während sie vor seinem Zorn zurückgewichen war, hatte ihre Furcht mit einem Mal an dem Band gezerrt, das zwischen ihnen bestand, und eine noch viel größere, fast atavistische Wut in ihm ausgelöst, auf die er nicht vorbereitet gewesen war. Man hatte ihn zwar gewarnt, dass jegliche Bedrohung für die Verbindung eine solche Reaktion hervorrufen könne, doch er hatte die Mahnung ignoriert, da die Vergewaltigung durch Terran nichts in dieser Richtung ausgelöst hatte. Offensichtlich war der Missbrauch nicht dazu angetan gewesen, ihre besondere Beziehung zu stören. Es war ihm indes möglich gewesen, seine Wut so weit zu kontrollieren, dass er sie weiter durch Worte angreifen konnte in der Hoffnung, dass sie sich dagegen verwehrte. Wäre sie ihm stattdessen fortgelaufen … Er wollte lieber nicht darüber nachdenken, was dann hätte passieren können. Sein Gelächter war aus Erleichterung wie aus Belustigung erfolgt. Und jetzt brauchte er erst einmal ein bisschen Abstand von Rialla, um sich wieder zu sammeln.

Nachdem er ihren Rückzug gesichert hatte, beschloss er, den Uriah aufzuspüren. Es wäre hilfreich, seinen Aufenthaltsort zu kennen, damit sie bei ihrer Weiterreise keine Zeit damit verschwendeten, ihm unnötigerweise aus dem Weg zu gehen. Ohne Rialla an seiner Seite konnte er sich dazu den Sylvanischen Pfad zunutze machen. Auf diese Weise konnte er nicht nur den Uriah finden, sondern wäre auch wieder zurück bei Rialla, bevor die sich Sorgen machte.

Er begann leise zu summen, rief die allgegenwärtige Magie herbei und versetzte sie in einen Wirbel, um einen Tunnel zu erschaffen. Er betrat den beschatteten Reisepfad, der ihn geradewegs durch die vor ihm liegenden Hügel und Täler führte. Die Fülle an Eiben und Eichen in diesem Wald intensivierte die Macht seiner Magie noch, sodass er in wenigen Minuten eine Strecke zurücklegen konnte, für die man ansonsten einen halben Tag unterwegs gewesen wäre.

Als er den Ort erreichte, an dem sie den Uriah zum letzten Mal wahrgenommen hatten, schloss er den Tunnel und kam neben dem Trampelpfad, dem sie gefolgt waren, wieder zum Vorschein. Durch die Baumkronen sank er auf den Boden herab. Er brauchte nicht lange, um die Beute ihres Verfolgers zu finden – es war ein Elch. Seine abgenagten Knochen lagen rund um den Pfad verstreut, und es schien, als hätte hier mehr als nur ein Uriah gewütet.

Fast stolperte er über einen schweren Beinknochen, der fein säuberlich in der Mitte durchgebrochen worden war. Kurz wunderte sich Tris über die Kraft, die dazu nötig gewesen sein musste. Sie konnten von Glück sagen, so dachte er, dass der Elch offenbar zur rechten Zeit am rechten Ort aufgetaucht war. Es war leicht, der Fährte der Uriah zu folgen, selbst im Dunkeln. Zerbrochene Zweige und aufgewühltes Erdreich überall dort, wo sie entlanggeschlurft waren, wiesen ihm so klar den Weg wie mit Kreide markierte Baumstämme.

Er erklomm eine Anhöhe und entdeckte auf einer Lichtung ein flackerndes Lagerfeuer. Er ließ von der Verfolgung der Uriah-Spuren ab, um sich die Sache genauer anzusehen.

Als er sich dem Feuerschein näherte, stieg Tris der salzig-süßliche Geruch von Pferden in die Nase. Er bewegte sich gegen den Wind auf das Lager zu. Die Tiere wurden unruhig, als er einen Baum bestieg, beruhigten sich aber rasch wieder, da er beim Klettern hektische Bewegungen vermied.

Von seinem Aussichtspunkt aus konnte er sehen, dass sich niemand auf der kleinen Lichtung unter ihm aufhielt, doch die Holzscheite im Feuer brannten noch nicht allzu lange. Wer auch immer das Lager errichtet hatte, richtete sich auf einen längeren Aufenthalt ein und würde bald zurückkehren.

Als Erstes drang Winterseines Stimme an sein Ohr.

»… verstehe nicht, warum du darauf bestanden hast, die Wachen zurückzulassen. Das ist ein verdammt gefährlicher Ort hier.«

»Eben deshalb, Vater. Je mehr Leute hier herumrennen, umso wahrscheinlicher ist es, dass wir die Aufmerksamkeit von Banditen oder Uriah auf uns ziehen. Mit denen käme ich schon zurecht, aber ich kann nicht auch noch eine ganze Truppe von Männern vor ihnen beschützen.« Terrans Stimme klang entschlossener, als Tris sie in Erinnerung hatte.

Tris kauerte sich in der Baumkrone zusammen, als Terran und sein Vater mit einer Reihe ausgenommener Fische an das Feuer traten.

»Wir können sie nicht mit diesem Dolch nach Sianim zurückkehren lassen. Wenn ich mit Karstens Tod in Zusammenhang gebracht werde, werde ich nie die Kontrolle über Darran erlangen. Bist du sicher, dass du weißt, wo sie ist. Mehr als ein paar Fußabdrücke haben wir ja bisher nicht gefunden.« Die Art, wie Winterseine sprach, weckte in Tris den Verdacht, dass der Vater nicht zum ersten Mal die Richtung in Frage stellte, die er und sein Sohn bei ihrer Verfolgung eingeschlagen hatten.

»Wenn ich’s dir doch sage«, erwiderte Terran bissig. »Sie hat ein oder zwei Wegstunden von hier Rast gemacht. Irgendwann morgen werden wir sie eingeholt haben. Du hast ihre Spuren nicht gesehen, weil wir nicht ihrer beider Fährte folgen. Diese Strecke verläuft direkter als die, welche sie nehmen.«

Winterseine stellte die Frage, die auch Tris umtrieb. »Was meinst du mit ›ihrer beider‹ Fährte? Ich dachte, sie ist allein unterwegs.«

Terran grunzte, dann sagte er langsam: »Nein, sie reist mit einer anderen Person. Ich kann nicht genau erkennen, um wen es sich dabei handelt, aber es könnte eine Art Magier sein.« Er machte eine kurze Pause, dann fuhr er fort: »Im Moment ist er nicht bei ihr, aber er war es den ganzen Tag über. Ich vermute, dass er ihr auch bei der Flucht aus der Burg geholfen hat.«

»Du meinst, sie reist … mit einem Magier?«, hakte Winterseine stockend nach.

Terran nickte und bereitete den Fisch für das Feuer zu.

Winterseine stand von Tris abgewandt, sodass er das Gesicht des Mannes nicht sehen konnte, aber seine Haltung verriet große Anspannung. »Sie hat mein Grimoire gestohlen. Wir müssen sie so schnell wie möglich finden, bevor dieser Magier erkennt, was er da hat.«

Terran unterbrach seine Tätigkeit und schaute seinen Vater eindringlich an. »Und was genau hat er da? Dein Zauberbuch? Das, was sie gestohlen haben, wurde verfasst, als du noch Lehrling warst. Sicherlich steht nichts darin, was ein halbwegs geschulter Magier nicht ohnehin schon weiß.«