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Sie lachte, reichte ihm einen der Fische und eine Hand voll Weidenzweige. Ihren eigenen Fisch spießte sie auf einen langen Ast und flocht aus den Weidenzweigen einen behelfsmäßigen Korb um die Mahlzeit herum. »Und jetzt sag mir, wie du die Strecke eines ›strammen Morgenspaziergangs‹ und zurück in so kurzer Zeit zurückgelegt hast.«

»Mit Magie«, erklärte er leichthin, während er seinen Fisch mit den Zweigen umwickelte.

Schweigend brutzelten sie ihren Fisch über dem Feuer, nur das Knacken des Holzes unterbrach ab und an die Stille. Während sie in die Flammen starrte, wälzte Rialla im Geiste alle nur denkbaren Möglichkeiten hin und her, bis nur noch eine übrig blieb.

»Wie lange würdest du brauchen, um allein nach Sianim zu reisen?«, fragte sie.

Tris schaute von seiner Mahlzeit auf; nach einer Weile zuckte er die Achseln. »Den schnellen Weg kann ich nur nehmen, bis ich die Überlandstraße erreicht habe – also würde es wohl zwei Tage dauern, vielleicht drei. Vorausgesetzt der Koch aus Winterseines Burg lag richtig, als er mir erklärte, wie lang eine Reise von der Wegkreuzung nach Sianim dauern würde.«

Er wandte seinen Blick wieder dem Feuer zu. »Aber ich werde dich nicht zurücklassen. Nur um den Dolch und die Bücher nach Sianim zu schaffen, werden wir dein Leben nicht aufs Spiel setzen.«

»Und deines auch nicht«, sagte sie. »Ich stimme dir zu, aber ich denke nicht, dass sie mich töten werden. Ich bin eine wertvolle Sklavin, schon vergessen? Ich bin inzwischen fest davon überzeugt, dass Terran die Stimme von Altis ist, und es ist ungemein wichtig, dass Sianim davon erfährt. Du sagtest, Terran kann meinen Weg verfolgen? Soll er nur! Ich werde dir die Zeit verschaffen, das Tagebuch in Sicherheit zu bringen. Wenn wir aber darauf warten, dass sie uns schnappen, kriegen sie womöglich alles wieder, was wir ihnen genommen haben. Es wäre dumm, zu glauben, deine Magie könnte es mit einem Zauberer und mit einem Propheten gleichzeitig aufnehmen. Tatsächlich könnte es mich in noch größere Gefahr bringen, wenn du bei mir bleibst. Die beiden denken ja immer noch, ich sei eine Sklavin. Sie wollen die Dinge, die wir ihnen gestohlen haben, unbedingt, und sie werden mich wenigstens so lange am Leben lassen, bis sie wissen, wo sie sind.«

Tris antwortete nicht, also fuhr Rialla fort: »Ich könnte ihnen immer wieder entwischen, während du die Bücher zum Meisterspion schaffst, und das so lange, bis du zurückkehrst, um mir zur Seite zu stehen. Wenn ich nicht mehr gezwungen bin, Richtung Sianim zu reisen, kann ich Wege nehmen, auf denen ich gegenüber einem berittenen Verfolger im Vorteil bin.« Sie wusste, dass man sie früher oder später kriegen würde, wenn Terran imstande war, sie mit seinen gottgegebenen Talenten aufzustöbern. Mit ein wenig Vorsicht war sie aber vielleicht in der Lage, die beiden so lange an der Nase herumzuführen, bis Tris es wieder zu ihr zurückgeschafft hatte und ihr bei der Flucht helfen konnte.

»Dein Fisch verbrennt«, war alles, was Tris darauf erwiderte. Er zog sein eigenes Abendessen aus der Glut.

Rialla drang nicht weiter in ihn. Auch sie holte ihren Fisch aus dem Feuer und begann zu essen.

Schließlich warf Tris seine Gräten mit einem schweren Seufzer in die züngelnden Flammen. »Ich werde in vier, fünf Tagen wieder zurück sein. Mach dir keine Sorgen, ich werde dich aufspüren. Und jetzt sag mir, wo genau ich diesen Ren finde.«

Rialla zögerte. Wie sollte sie das uralte Labyrinth beschreiben, in dem der Meisterspion sein Arbeitszimmer unterhielt? Schließlich sagte sie: »Ich glaube, es wäre einfacher, wenn ich dir den Weg zu Laeth erkläre. Er sollte inzwischen wieder zurück sein. Ren wird ihm wohl eher zuhören als einem ihm völlig Fremden.« Sie beschrieb Tris den Weg zu Laeths Zimmer in Sianim. »Wenn du das Haus nicht finden kannst, frag einfach jemanden auf der Straße nach der Schänke ›Zum Verirrten Schwein‹. Der Wirt ist ein Freund, er wird wissen, wo du Laeth erwischt.«

»Ich werde ihn finden«, sagte er knapp.

Dann kroch er in die Dornbeerenhöhle und kehrte mit dem Grimoire wieder zurück. Das Tagebuch steckte in seinem Hosenbund. Er ging zu seinem Ranzen, um den Dolch hervorzuholen. Als er sich dazu vorbeugte, erlangten die losen Pergamentseiten in Winterseines Zauberbuch vollends ihre Freiheit und flatterten zu Boden.

»Ich will sie auf keinen Fall Winterseine überlassen«, Tris schaute die Seiten grimmig an, »aber ich werde sie auch um keinen Preis anfassen.«

»Was ist mit dem Feuer«, fragte Rialla.

»Wäre einen Versuch wert«, meinte Tris.

Mithilfe der Bratspieße hob er die Seiten auf und manövrierte sie in das kleine Lagerfeuer.

Einen Moment lang geschah gar nichts, dann hallte ein dumpfer Knall durch die Wälder, und die Flammen neigten sich den Pergamentseiten entgegen, verzehrten das Holz, bis nur noch Kohlestückchen übrig waren. Nach und nach erstarben die Flammen und ließen die Seiten glühend und doch unversehrt zurück.

»Das könnte schwierig werden«, meinte Tris trocken.

»Sozusagen verflucht schwierig«, gab Rialla zurück.

Tris grinste sie an und deklamierte mit einigem Pathos: »Aber ich verfüge über die wohl zerstörerischste Naturgewalt aller Zeiten. Siehe zu und staune, werte Dame.«

Er huschte unter einen nahegelegenen Baum und erschuf ein Magierlicht zur Unterstützung. Plötzlich hielt er einen verschrumpelten sackartigen Ball hoch, den er zwischen zwei Fingern vorsichtig zum sterbenden Feuer trug. Er setzte das Ding behutsam auf die noch immer glühenden Seiten. In dem rötlich schwelenden Licht, das die Pergamente verströmten, sah der Ball für Rialla nicht sonderlich beeindruckend aus.

»Was ist das?«, fragte sie.

»Ein Sporensack.«

Mit seinem Bratspieß stupste Tris das ledrige Etwas leicht an. Rialla hielt sich die Ohren zu, als der Ball explodierte … mit einem lautlosen Knall. Ein seltsamer Rauch stieg von dem Ding auf, der sich in Form eines ascheartigen Nebels auf die Seiten legte.

Rialla begann zu kichern.

Tris schenkte ihr keine Beachtung, starrte unverwandt auf die sporenbedeckten Pergamentseiten. Das Glühen wurde etwas schwächer, dann breitete es sich in alle Richtungen aus. Rialla sah, wie das Gras vor ihren Augen zu wachsen und die Blumen zu blühen begannen ob der Magie, die an diesem Ort freigesetzt worden war. Sie konnte gar ein ganz leises Seufzen vernehmen, als die Blätter der nahegelegenen Büsche aneinander rieben, während sie mithilfe der Magie wuchsen, mit der der Menschenzauberer zwei hauchdünne Seiten aus Lammhaut getränkt hatten.

Nach und nach kehrte die Dunkelheit zurück, und das Licht erstarb. Tris stand über den fast erkalteten Kohlen des Feuers und erschuf ein Magierlicht.

In diesem Moment verspürten sie eine leichte Brise auf ihrer Haut, welche die gelblichen Seiten in kleine Stücke blies, die sich im Winde verloren. Zurück blieb ein Ring aus wilden Pilzen inmitten der Asche des Feuers.

Rialla lachte. »Die wohl zerstörerischste Naturgewalt aller Zeiten, was? Wahnsinn!«

Tris grinste. »Du sagst es.«

10

»Tris«, sagte Rialla, die ihren Begleiter dabei beobachtete, wie er einmal mehr den Inhalt seines Rucksacks überprüfte. »Ich weiß nicht, ob ich dir je dafür gedankt habe, was du für mich getan hast. Falls wir uns nicht mehr wiedersehen, wollte ich dir sagen«, sie schenkte ihm ein seltsames Lächeln, als sie die ihren Worten innewohnende Wahrheit erkannte, »dass ich deine Gesellschaft sehr genossen habe.«

Er sah mit indifferenter Miene zu ihr auf, dann schlich sich der Schalk in seinen Blick. »Falls ich dich nie mehr wiedersehen sollte, dann …« Für einen so großen Mann bewegte er sich nun mit erstaunlicher Eleganz auf sie zu und umfasste ihr Kinn mit seiner Hand.

Während seine Worte erstarben, fragte sich Rialla, ob sie sich seiner Berührung entziehen sollte. Sie zuckte im Geiste die Achseln und beschloss, seinen Kuss stattdessen zu genießen. Als er sich wieder von ihr zurückzog, ging sein Atem so stoßweise wie der ihre.