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Er blickte ihr tief in die Augen und sagte: »Wir sehen uns dann in drei oder vier Tagen.«

Rialla sah ihm nach, bis die Dunkelheit ihn verschluckte, bevor sie sich selbst auf den Weg machte. Falls Terran und sein Vater wirklich schon so nah waren, würde sie die ganze Nacht laufen müssen, um ihren Vorsprung zu halten.

Sie schlug die Richtung ein, in der sie und Tris schon vor ihrer Rast unterwegs gewesen waren, und bewegte sich so in gerader Linie vom Lager ihrer Verfolger fort.

Die Route, die sie wählte, führte durch das dichteste Unterholz, das sie finden konnte. Ohne sich an einem sichtbaren Pfad orientieren zu können, war sie gezwungen, sich durch ein fast undurchdringliches Geflecht aus Gesträuch und Geäst zu schlagen. Zweige verfingen sich in ihrem Haar, und wie aus dem Nichts erscheinende Bodenwurzeln ließen sie stolpern. Und als sie sich zum wiederholten Mal das Schienbein an einem herabgefallenen Ast stieß, musste sie sich grimmig daran erinnern, dass sie diesen Weg gewählt hatte, weil ein Reiter ihr in diesem Dickicht nur schlecht folgen konnte. Sie biss die Zähne zusammen und ging weiter.

Tris hatte ihr gesagt, dass der Untergrund in diesem Gebiet teilweise morastig war, daher war sie einige Male sogar gezwungen, sich einen Weg um sumpfige Moorwiesen herum zu suchen, die auf den ersten Blick überaus harmlos wirkten, für den arglosen Wanderer aber eine nicht zu unterschätzende Gefahr darstellen konnten. Sie überquerte einen flachen, steinigen Bachlauf, dem sie nasse und kalte Füße verdankte. Als das Licht des Morgens durch die Baumkronen fiel, hatte sie schon einige Meilen zurückgelegt. Auch wurde nach und nach die ständige Verbindung zu Tris immer schwächer.

Auf ihrer Flucht nahm sich Rialla die Position der Sterne und später den Stand der Sonne zu Hilfe, damit sie nicht von der gewählten schnurgeraden Route abkam, die Terran zu Pferde nicht abkürzen konnte. Sie lief, bis sie vor Erschöpfung nur noch voranstolperte, kletterte dann am späten Nachmittag einen großen alten Apfelbaum hinauf, um sich auszuruhen.

Als die Sonne unterging, war sie schon wieder unterwegs. Sie versuchte, Kontakt zu Tris aufzunehmen, aber der war dafür offenbar schon zu weit entfernt. Zweimal fand sie Bärenspuren, doch kein Zeichen von den Uriah. In den Wüsten ihrer Kindheit hätte sie sich jetzt wohler gefühlt als im gemäßigten, teils feuchten Klima Süddarrans, aber es hatte auch seine Vorteile. Aufgrund der starken Niederschläge um diese Jahreszeit waren an den Hügelflanken und in den Tälern zahlreiche Bächlein entstanden.

Da sie wusste, dass Terran ihren Weg mithilfe welch göttlicher Gabe auch immer verfolgen konnte, versuchte sie gar nicht erst, ihre Spuren zu verwischen. Stattdessen watete sie durch sumpfige Gebiete und durchquerte Dickichte, die ein Mann zu Pferde in jedem Fall weiträumig umgehen musste.

Am Nachmittag des zweiten Tages fand man sie.

Sie trank gerade aus einem Wasserlauf, als sie hörte, wie sie sich auf ihren Pferden näherten. Sie blieb hocken, wo sie war, und wartete auf das Unvermeidliche.

Winterseine trieb, als er seine Beute entdeckt hatte, sein Pferd zum Galopp an und kam kurz vor Rialla zum Stehen. Mit ausdruckslosem Gesicht starrte sie auf die Beine des Tiers und stellte dabei gedankenverloren fest, dass es dringend neu beschlagen werden musste.

Winterseine sprang aus dem Sattel und zerrte Rialla an den Haaren auf die Beine.

»Miststück!«, schleuderte er ihr entgegen. »Wo ist es? Wo ist das Buch?«

»Wenn du sie so hart angehst, wird sie dir kaum antworten können, Vater«, sagte Terran mit ruhiger Stimme.

Winterseine ließ von ihr ab und schnappte sich etwas, das an seinem Sattel hing. »Antworte, du Aas! Wo ist das Buch, das du gestohlen hast. Wo ist der Dolch?«

Sich ihrer Rolle erinnernd, die sie zu spielen hatte, erwiderte Rialla kleinlaut: »Er hat es.«

Pfeifend sauste die Peitsche auf ihren Rücken nieder. Terran fiel seinem Vater in den Arm, bevor der ein weiteres Mal zuschlagen konnte.

»Sie sagt die Wahrheit, Vater.« Kalte Gewissheit lag in der Stimme des jungen Mannes. »Warum lässt du sie nicht erklären, bevor du ihren Körper unrettbar ruinierst. Deine Unbeherrschtheit wird dich am Ende noch eine wertvolle Tänzerin kosten.«

Ohne die Antwort seines Vaters abzuwarten, wandte sich nun Terran an Rialla: »Wer hat sie genommen?«

Eingeschüchtert sah Rialla zu Winterseine auf. Er kochte vor Wut wegen Terrans Einmischung.

Mit kraftloser Stimme, doch um die Wahrheit bemüht, antwortete sie: »Der Mann, der mit mir reiste. Der, von dem Laeth gesagt hat, er würde mich holen kommen. Er meinte, es wäre an der Zeit, Eure Burg zu verlassen und nach Sianim zu gehen – also haben wir das getan. Nach einem Tag oder so sagte er mir dann, dass Ihr uns verfolgt – also verschwand er mit dem Dolch.«

»Und hat er auch das Buch gestohlen?«, blaffte Winterseine.

Rialla nickte.

»Wie lange ist es her, dass ihr euch getrennt habt?«, hakte der Sklavenausbilder nach.

»Zwei Tage«, sagte Rialla.

»Und dieser Mann«, fragte Terran mit ruhiger Stimme, »ist er ein Magier?«

»Ja.«

»Wie heißt er?«

»Er nannte sich selbst ›Sylvaner‹.«

»Nach diesem Waldvolk?«, fragte Terran erstaunt. »Vater, hast du je von einem solchen Magier gehört?«

»Nein.« Winterseine schüttelte den Kopf. »Und ich glaube auch nicht, dass das sein wahrer Name ist.«

Terran wandte sich wieder an Rialla. »Wie hat er den Dolch gefunden?«

»Er hatte mehrere Tage danach gesucht, bevor ihm zufällig das Buch in die Hände fiel, in dem es versteckt war«, gab Rialla zurück. »Er hatte sich auf Eurer Burg als Schreiner ausgegeben. Dieses Handwerk erlernte er wohl in seiner Jugend.«

»Und warum bist du mit ihm gegangen? Ich nahm an, du hättest deine Lektion gelernt.« Es war Winterseine, der diese Frage stellte.

Rialla senkte den Kopf und erwiderte im Ton einer Person, die das Offensichtliche aussprach: »Er sagte, es wäre Zeit zu gehen. Dass Laeth mich in Sianim erwarten würde …«

»Verstehst du denn nicht, Vater? Sie ist nicht wirklich geflohen. Streng genommen ist Laeth noch immer ihr Besitzer. Er hat ihr befohlen, diesem Sylvaner zu folgen. Es war nicht an ihr, Laeths Befehl in Frage zu stellen.« Terran tätschelte Rialla die Wange, wie ein Mann seinen Hund streichelte. »Sie ist nämlich ein braves Mädchen, nicht wahr?«

Rialla blieb passiv, wiewohl angsterfüllt. War das Sarkasmus gewesen, der in Terrans Stimme mitgeschwungen hatte? Es war schwer, dies allein an seinem Tonfall festzumachen, und ihn direkt anzuschauen, das wagte sie nicht.

»Nur weil du mit ihr im Bett warst, heißt das nicht, dass sie die Wahrheit sagt«, schnappte Winterseine.

»Vater«, sagte Terran, nun kein bisschen unterwürfig, »nur weil meine Magie auf andere Art funktioniert als deine, ist sie noch lange nicht weniger mächtig. Lass dir gesagt sein: Ich vermag Wahrheit von Lüge zu unterscheiden.« Seine Stimme nahm einen fast drohenden Unterton an. »Wenn du es allerdings weiterhin vorziehst, meine Fähigkeiten zu unterschätzen, wird es allein dir zum Schaden gereichen.«

»Ich verstehe nicht, was du meinst«, sagte Winterseine. Es klang gekränkt und gleichzeitig so falsch wie ein Glasrubin.

»Natürlich tust du das nicht. Vergiss einfach niemals, dass ohne mich deine Chancen, König von Darran zu werden, denkbar gering wären. Besonders wenn dieser Dolch nach Sianim gelangen sollte.« Terrans Stimme war so kalt wie Eis. Rialla hielt den Kopf gesenkt.

»Ich glaube, es ist alles gesagt«, erwiderte Winterseine rasch. Dann legte er Rialla das schwere Lederhalsband um und zog sie auf die Füße. Als er sie berührte, konnte Rialla seine Furcht spüren … und seinen Hass. »Wollen wir nun zurückreiten?«

Es gab für Rialla kein Pferd für die Rückreise; das Packpferd war schwer mit Ausrüstung und Proviant beladen. Stattdessen musste sie neben Winterseines Wallach herlaufen. Der Untergrund in dieser Gegend war schwierig, weshalb das Pferd auch nicht wesentlich schneller vorankam als sie. Dennoch nahm es stets den einfachsten Weg durchs Gelände, weswegen Rialla sich ein ums andere Mal abmühen musste, Schritt zu halten.