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Nach einem kurzen Fußmarsch stand Tris vor einem Gebäude, das an allen vier Ecken mit schweren, rostigen Eisenketten am Boden befestigt worden war. Über dem Eingang hing ein Schild, auf dem ein orangefarbenes Schwein lauernd mit den Augen rollte. Hier musste es sein.

Er betrat die Schänke und wich fast zurück vor dem irren Geräuschpegel, der ihm entgegenschlug. Am anderen Ende des Gastraums erschien in einem Durchgang gerade eine dralle Kellnerin mit einem Tablett überschäumender Bierkrüge. In der Annahme, dass sich auch der Wirt irgendwo da hinten befinden musste, begann Tris, sich einen Weg durch den Raum zu bahnen.

Auf halber Strecke wurde er plötzlich am Ärmel festgehalten. Er fuhr herum und fand sich einem Mann in einer Lederrüstung gegenüber, der schweigend auf einen der langen Tische deutete.

Tris’ Augen folgten der Geste, und da entdeckte er Laeth und Marri, die gerade ihrerseits versuchten, sich einen Weg durch den überfüllten Schankraum zu kämpfen. Laeth versuchte ihm etwas zu sagen, doch selbst auf diese kurze Entfernung war er in dem Lärm nicht zu verstehen.

Als das Paar Tris erreicht hatte, setzten sie sich wortlos wieder Richtung Eingangstür in Bewegung. Endlich standen die drei draußen.

»Tris, was macht Ihr hier«, fragte Laeth. »Und wo ist Rialla.«

»Irgendwo im Darranischen Wald, hoffe ich«, erwiderte Tris erschöpft und massierte sich den Nacken. »Ich muss das hier ausliefern.« Er holte die Bücher unter seinem Wams hervor und zog den Dolch aus dem Futteral, in dem normalerweise sein eigenes Messer steckte. »Und zwar an den Meisterspion Ren. Dann kehre ich zu Rialla zurück. Könnt ihr mir sagen, wo ich den Mann finde?«

»Warum habt Ihr Rialla nicht mit hierhergebracht?«, fragte Marri besorgt.

»Winterseine und sein Sohn sind uns gefolgt. Rialla hoffte ihnen entkommen zu können, bis ich meinen Auftrag in Sianim erledigt habe. Nach allem, was wir durchgemacht haben, wäre es eine Schande gewesen, wenn Winterseine die Beweismittel wieder in die Hände gefallen wären.«

»Ich könnte Ren die Sachen bringen«, bot sich Laeth an. »Dann könntet Ihr umgehend zurückkehren. Wenn Ihr uns außerdem beschreiben könntet, wo wir euch finden, könnte ich ein paar Freunde zusammentrommeln und sie euch zur Verstärkung schicken.«

Tris dachte darüber nach, schüttelte dann aber den Kopf. »Nein«, meinte er, »das Tagebuch, das ich bei mir trage, bedarf der Erläuterung. Wenn ich Euch erst alles, was damit zusammenhängt, darlegen muss, kann ich es dem Meisterspion genauso gut selbst erklären – und zudem dafür sorgen, dass er mir die Geschichte auch abkauft. Wenn Ihr mich also zu Ren bringen könntet, wäre ich Euch sehr dankbar.«

»Da habt Ihr recht«, sagte Laeth. »Folgt mir.

Er und Marri führten Tris durch die Straßen zu einem großen Gebäude, das vermutlich genauso alt war wie die Stadt selbst. Über die Jahrhunderte war immer wieder etwas angebaut oder umgeändert worden, sodass der Bau irgendwie schief und ungeordnet auf den Betrachter wirkte. Die Steinstufen im Innern waren ausgetreten unter dem Gewicht von Generationen.

Oben angekommen klopfte Laeth kurz an eine zerkratzte Holztür.

»Geht weg!«, rief von drinnen eine Stimme. »Ich hab den Bericht gestern abgegeben!«

Laeth sah zu Tris, zuckte die Achseln und öffnete die Tür. »Ich bin’s nur«, sagte er, während er in den Raum hineinlugte.

Tris folgte Marri und Laeth in das Zimmer. Es roch muffig, als wäre hier schon länger nicht mehr gelüftet worden. Hinter einem Schreibtisch, der für den Raum viel zu groß bemessen war, saß ein gebrechlich wirkender Mann, der sich das schüttere Haar raufte.

Davor hatte es sich ein weiterer Mann in einem gepolsterten Stuhl gemütlich gemacht, doch als er die Frau hereinkommen sah, sprang er auf flink auf. Tris war bewusst, dass er ein wenig fassungslos dreinschaute, aber er hatte noch nie jemanden in einem so bizarren Aufzug gesehen, nicht einmal unter den geckenhaftesten Darranern. Die teuren Lederstiefel des Mannes waren in einem abscheulichen Orangeton gefärbt. Damit standen sie in einem auffälligen Kontrast zu den smaragdgrünen Samthosen, die allerdings mit orangefarbener Spitze besetzt waren. Das Übergewand war ebenfalls smaragdgrün, mit Ausnahme der langen, wallenden Ärmel – die leuchteten wiederum Orange. Das Haar des Mannes war in Locken gelegt und wallte hinab bis zu den Schultern; eine Pracht, um die ihn so manche Frau beneidet hätte.

»Welch Freude, von einer solch liebreizenden Besucherin bei der Arbeit unterbrochen zu werden«, flötete er. Er trat vor und gab Marri einen Handkuss. »Erlaubt mir, mich Euch vorzustellen. Ich bin Lord Kisrah.«

Bevor irgendjemand antworten konnte, sprang der Mann hinter dem Schreibtisch, von dem Tris annahm, dass dies der Meisterspion war, ebenfalls auf und ergriff das Wort: »Laeth, ich sagte Euch doch, dass ich jemanden da draußen habe, der bei Winterseines Besitzungen nach Rialla Ausschau hält. Ich werde Euch wissen lassen, wenn es in dieser Hinsicht Neuigkeiten gibt.«

»Ich habe Neuigkeiten für Euch, mein Herr«, sagte Laeth und ignorierte Rens offensichtliche Verstimmung, während er Marri entschieden von Lord Kisrah fort und hinter seinen Rücken zog.

Tris kniff die Augen zusammen, als er sich an den menschgewordenen Pfau wandte: »Lord Kisrah«, sagte er langsam, »der Erzmagier.«

Kisrah verbeugte sich formvollendet. »Ebendieser.«

Ren räusperte sich, um sich Gehör zu verschaffen. »Ich bin Ren«, verkündete er mit fester Stimme. »Und dieser junge Narr dort ist Laeth, einst ein kleiner darranischer Lord und derzeit Söldner von Sianim.« Irgendwie gelang es Ren, die zweite Bezeichnung weitaus eindrucksvoller klingen zu lassen.

Seine Stimme wurde sanfter, als er fortfuhr: »In seiner Begleitung befindet sich Lady Marri, die Witwe von Lord Karsten zu Darran und schon bald Laeths Verlobte. Lord Kisrah war so höflich, sich selbst vorzustellen, aber ich bin mir nicht sicher, wer Ihr seid, mein Herr.« Die letzten Worte waren an Tris gerichtet.

»Ich bin Tris«, erwiderte der. »Für eine Weile Heiler von Tallonwald, momentan Bote für eine gewisse Rialla, einer Sklavin, die zur Pferdeausbilderin wurde, bevor man sie zur Kundschafterin machte. Ich habe einige Dinge bei mir, die ich dem Meisterspion von Sianim übergeben muss.«

Tris händigte Ren die Bücher aus, zog dann Laeths Dolch aus seinem Stiefelschaft. »Mit dieser Waffe wurde Lord Karsten ermordet. Rialla und ich fanden sie auf Winterseines Burg.«

Lord Kisrah machte eine Geste, und Ren reichte ihm den Dolch. Der Erzmagier schloss seine Hand um den Griff und murmelte dann etwas. »Unzweifelhaft hat Winterseine den Knauf gehalten, als die Waffe das letzte Mal tötete – aber ich kannte Lord Karsten nicht persönlich. Ich brauche etwas aus seinem Besitz, um zu bestätigen, dass er das Opfer war. Allerdings muss ich gestehen, dass ich neugierig bin, ob ein darranisches Gericht dem Wort eines Magiers Glauben schenken wird.«

»Rialla war davon überzeugt, dass Ren eine solche Meisterleistung zu vollbringen imstande wäre«, erwiderte Tris knapp, »aber wir haben noch etwas anderes gefunden, das vielleicht dabei helfen könnte. Das dickere der beiden Bücher ist Winterseines Grimoire, praktischerweise trägt der Einband eine Prägung mit seinem persönlichen Siegel. Es ist vollständig bis auf einige lose Pergamentseiten, die verlorengingen, als wir flohen.«

Kisrah nahm das Zauberbuch vom Schreibtisch. Sobald er es berührte, wurde sichtlich sein Interesse geweckt. Einen Moment lang hielt er das Buch in den Händen, dann legte er es wieder beiseite. »Was habt Ihr mit diesen Seiten gemacht?« Seine gelangweilte Art war von ihm abgefallen. An ihre Stelle war die Macht und Präsenz getreten, die einem ae’Magi zu eigen war.

»Sie waren so sehr mit Magie erfüllt worden, dass ich mir nicht sicher war, ob man sie gefahrlos berühren konnte. Als sie herausfielen, habe ich sie zerstört, damit sie Winterseine nicht wieder in die Hände fielen.«

»Zerstört? Wie?«, fragte Lord Kisrah. Er war leichenblass, und seine Stimme zitterte.