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»Mit Magie, Lord Kisrah, wie auch sonst?« Tris hob die Augenbrauen.

»Gut, gut«, meinte Ren. »Zumindest sind sie nicht wieder in Winterseines Besitz gelangt. Und was hat es mit diesem schmalen Buch auf sich?«

»Das«, erwiderte Tris, »ist das interessanteste Ding, das wir beschaffen konnten. Rialla erwähnte, dass Ihr Euch wegen eines Propheten Sorgen macht, der sich unserer Länder bemächtigen könnte.«

»Und das Buch verrät, dass es sich dabei um meinen Onkel handelt, hab ich recht?«, fragte Laeth ohne große Überraschung.

Tris schüttelte den Kopf. »Es ist das persönliche Tagebuch der Stimme von Altis. Ihr werdet sie wohl eher unter dem Namen Terran kennen.«

Erstaunt sahen Laeth und Marri den Heiler an; die anderen beiden hatten offenbar keine Ahnung, wer dieser Terran überhaupt war.

»Mein Cousin Terran«, fragte Laeth schließlich ungläubig.

»Winterseines Sohn«, bestätigte Ren.

Lord Kisrah versteifte sich. »Winterseines Sohn ist aber kein Magier. Ich war bei seiner Eignungsprüfung zugegen.«

»Nein«, stimmte Tris ihm zu. »Terran ist kein Magier, er ist ein Prophet.«

»Winterseine missbrauchte seine Magie, auf dass sein Sohn sich zu einem Propheten erklären konnte?«, fragte Ren skeptisch.

»Nein«, sagte Tris abermals. »Terran ist ein Prophet Altis’ – zumindest denken das Rialla und ich.«

»Götter …«, schimpfte Laeth leise.

»Ja«, stimmte Tris zu. »Ich denke, Ihr werdet Terrans Tagebuch sehr –« Er brach ab und zuckte zusammen, als er einen bohrenden Schmerz im Rücken verspürte.

Laeth berührte seine Schulter. »Was ist mit Euch?«

Grimmig schüttelte Tris den Kopf, als er einmal mehr vergeblich versuchte, durch das Band, das zwischen ihnen bestand, Rialla zu erreichen. Doch alles, was über die große Entfernung zu ihm durchgedrungen war, war das kurze Aufflammen ihres Schmerzes.

»Ich muss gehen«, sagte er. »Lest das Tagebuch … und tut es möglichst unvoreingenommen.«

Tris hatte für sich ein Pferd verlangt, weil er wusste, dass er so schneller vorankommen würde, bis er wieder die Wälder erreicht hatte. Laeth begleitete ihn zu den Ställen und besorgte ihm einen rassigen grauen Wallach.

In der ersten Stunde seines Ritts verdrängte die Sorge um Rialla jede Müdigkeit. Der Wallach lief geschmeidig in einem raumgreifenden Trab. Hinter ihm wurde Sianim immer kleiner, während nach und nach das Ackerland, das den gesamten Stadtstaat umgab, die Oberherrschaft gewann und schließlich in die sanfte Hügellandschaft im Norden überging. Sobald die letzte Feldbegrenzung hinter ihm lag, verließ Tris die Überlandstraße.

Obwohl die Entfernung noch immer zu groß war, um Rialla mental klar zu erfassen, wies ihm das Band zwischen ihnen die ungefähre Richtung. Wenn der Schmerz, den er empfangen hatte, bedeutete, dass sie sich wieder in Winterseines Händen befand, dann musste er sich beeilen, um sie noch vor Erreichen der Burg abzufangen.

Tris hoffte, die Gruppe noch im Wald einzuholen, wo seine Kräfte am stärksten waren, anstatt Rialla aus dem kalten Steingebäude befreien zu müssen, das zu allem Überfluss auch noch Terrans Altis-Schrein beherbergte. Er nahm an, dass seine Weggefährtin recht hatte: Terran und Winterseine waren zu mächtig, um sie direkt anzugreifen. Doch wie dem auch sei, der Wald war seine Domäne, und in ihr galten andere Kampfgesetze.

Er ritt weiter, bis der Hengst vor Erschöpfung den Kopf hängen ließ, und auch er war in kaum besserer Verfassung. Seine Verbindung zu Rialla mochte ihm erlauben, sie zu lokalisieren, doch das erforderte Konzentration; schon zwei Mal hatte er die Richtung korrigieren müssen, als die Müdigkeit ihn abgelenkt hatte.

Widerstrebend kam Tris zu dem Schluss, dass er entweder eine Pause einlegte oder riskierte, sowohl das Pferd als auch die Spur zu verlieren. Die Entscheidung fiel, als ihm klar wurde, dass es niemandem etwas nutzte, wenn er die Gruppe am Ende sterbensmüde erreichte und er sich Winterseine und seinem Sohn allein deshalb geschlagen geben musste.

Steif bewegte sich Rialla hin und her, nachdem Terran ihre Hände losgemacht hatte. Die unbequemen Fesseln hatten sie fast die ganze Nacht wachgehalten. Ihre Finger waren taub, und ihre Arme schmerzten, trotz Terrans sanfter Massage.

Als sie ihre Hände wieder gebrauchen konnte, reichte ihr Terran eine Tasse mit einem heißen Gebräu, das nach Kräutern roch, die sie nicht kannte. Vermutlich hatten sie einen medizinischen Nutzen, denn sie fühlte sich danach beträchtlich besser.

Als das Lager abgebrochen und die Pferde gesattelt und bepackt waren, löste Winterseine ihre Leine von dem Baum und befestigte sie an seinem Sattelring.

Rialla brauchte eine Weile, bis sie sich von der Strapaze, die ganze Nacht über gefesselt gewesen zu sein, erholte. Auch die lange Verfolgungsjagd und der Schlafmangel forderten ihren Tribut. Ihr schlimmes Bein protestierte unter der Belastung, die sie ihm zumutete, und gegen Mittag begann die Narbe zu brennen.

Endlich hatten sie sich durch das dichte Unterholz gekämpft und erreichten eine Lichtung, die von einem flachen Wasserlauf durchschnitten wurde. Winterseine trieb sein Pferd in den Trab. Rialla schaffte es, ihm einige Schritte zu folgen, dann verkrampften sich die Muskeln in ihrem verletzten Bein. Als sie versuchte, das Gleichgewicht zu halten, zerrte die Leine an ihrem Halsband, wodurch sie ungebremst zu Boden fiel.

Winterseine zog sie noch einige Meter hinter sich her, bevor er sein Pferd anhielt, und fügte ihren ohnehin schon zahlreichen Prellungen und Schürfwunden noch einige hinzu. Rialla setzte sich auf, würgte und hustete und versuchte verbissen, ihr krampfhaft angewinkeltes Bein durchzustrecken, doch der große Muskel in ihrem Oberschenkel wollte sich einfach nicht entspannen.

Terran stieg vom Pferd, platzierte ein Knie auf Riallas Schulter sowie beide Hände auf der Kniescheibe ihres verletzten Beins. Mittels dieses Hebels war er imstande, ihr Bein so weit zu strecken, dass der Muskel sich wieder dehnte. Während sich ihr Bein allmählich wieder beruhigte, rutschte sein Knie bis hinunter auf ihre Hüfte, und er begann, den störrischen Muskel zu kneten.

Rialla starrte auf die langen Finger seiner Hände, die das nackte Fleisch ihres Oberschenkels bearbeiteten, und musste an jenen schrecklichen Moment denken, wo sie beinahe dasselbe getan hatten. Sie erschauderte vor Ekel. Müde und schmerzgeschüttelt, wie sie war, besaß sie nicht mehr die Kraft, ihre Gedanken zu kontrollieren. Und so traf in dem gleichen Augenblick, in dem sie sich mit einem Ruck von Terran abwandte, ihre Abscheu ihn mit der Wucht eines Schlags.

Terran wich instinktiv zurück, verlor sowohl den Halt an ihrer Hüfte als auch den an ihrem Bein. Rialla krümmte sich vor Schmerz, als der Muskel sich wieder zusammenzog und ihr Bein sich unter dem Krampf erneut anwinkelte. Sie kämpfte dagegen an und versuchte alles, konnte jedoch das Bein nicht wieder durchstrecken und gleichzeitig verhindern, dass das Halsband ihr die Luft abschnitt.

Winterseines Pferd mochte zwar daran gewöhnt sein, störrische Sklaven zu führen, doch das Ding, das sich gerade wie verrückt am Boden herumwälzte, war etwas anderes. Der Hengst schnaubte unruhig, dann bäumte er sich auf. Doch er wurde erst so richtig wild, als Riallas Schutzwall zusammenbrach und er mit ihrer ungehemmten Raserei konfrontiert wurde.

Terran zog sein Messer hervor und versuchte das zähe Leder der Leine durchzuschneiden. Winterseine schaffte es irgendwie zu verhindern, dass das Pferd mit ihm durchging, doch sowohl Rialla als auch Terran drohten von den stampfenden Hufen erwischt zu werden.

Terran hatte die Leine fast durchtrennt, als ein besonders harter Ruck – niemand konnte sagen, ob von Rialla oder dem Pferd – das Leder gänzlich durchreißen ließ. Vernünftigerweise gab Winterseine seinem Tier Gelegenheit, sich einige Meter von Terran und Rialla zu entfernen, bevor er daran dachte, es zu beruhigen.

Halb stranguliert sowie blind vor Panik und wegen des zerzausten Haars in ihrem Gesicht, kämpfte Rialla gegen jeden Versuch Terrans an, sich ihr auch nur zu nähern. Hustend schlug sie am Boden liegend um sich und konnte noch immer nicht aufstehen, weil das Bein nach wie vor nicht mitspielte.